SZ +
Merken

Nur noch wenig Geburten in Radebeul

Vor einem Jahr wurde der Kreißsaal geschlossen. Die Radebeuler kommen jetzt in Dresden und Meißen zur Welt.

Teilen
Folgen
NEU!

Von Ines Scholze-Luft

Sie bedauert es immer noch, dass die Geburtenstation im Radebeuler Krankenhaus Ende des vergangenen Jahres schließen musste, sagt Waltraud Frietsch. Sie hat dort drei Jahre als Honorarhebamme gearbeitet. Und nennt das Klinik-Aus traurig für ganz Radebeul, vor allem aber für die Frauen, die gern dort entbunden hätten.

Dass die Schwangeren deshalb jetzt mehr zu den Hebammen in der Stadt kommen statt in eine Klinik, hat sie bisher nicht festgestellt. „Die Frauen, die ins Krankenhaus gehen wollen, gehen dorthin.“ Das erlebt auch sie in ihrer Praxis. Nur einmal, zum Jahresende 2013, sei eine Frau da gewesen, die bei ihr entbinden wollte, weil die Geburtsklinik schließt.

Waltraud Frietsch kümmert sich jährlich um 20 bis 40 werdende Mütter. In diesem Jahr werden es 30 Praxisgeburten. Die gebürtige Baden-Württembergerin, die seit zwölf Jahren in Radebeul lebt und arbeitet, ist einer Liste des sächsischen Hebammenverbandes zufolge derzeit die einzige Lößnitzstädterin, die außerklinisch Geburten versorgt. Und Vor- und Nachsorge wie weitere sieben Radebeuler Hebammen anbietet. Außerdem gibt es noch Hausgeburten in der Stadt, die von Kolleginnen aus Dresden, Coswig oder Meißen betreut werden, sagt Kerstin Köhler vom Verband, selbst Hebamme in Radebeul. Für Schwangere, die im Krankenhaus entbinden wollen, ist Waltraud Frietsch ebenfalls da. Sie weiß, viele gehen nach Dresden-Neustadt. Dort gab es allein bis Ende Juli mit 973 Geburten schon 168 mehr als im gleichen Zeitraum des Vorjahres.

Manche Radebeulerin wählt das Elblandklinikum Meißen. Dort sind die Geburtenzahlen gleichfalls gestiegen. Waren es im gesamten Jahr 2013 noch 682, sind es bis 31. Oktober dieses Jahres bereits 626. Im Durchschnitt monatlich sechs Geburten mehr. Woher die Mütter stammen, konnte Jana Gäbler von der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Elblandkliniken nicht sagen. Wie viele Radebeulerinnen jetzt zur Geburt nach Meißen gehen, werde dort nicht analysiert, hieß es.

Vor dem Weg in die Klinik ist für manche Frau Waltraud Frietschs Praxis in Radebeul-Ost Anlaufpunkt. Sie steht tagtäglich für Beratung und Untersuchung offen. Urlaub hat die Hebamme dieses Jahr keinen gemacht. Immer neue Schwangere hatten sich angemeldet. Um die bemüht sie sich dann fast ein Dreivierteljahr. In den letzten vier Wochen vor der Geburt bei ständiger Rufbereitschaft. Klagen will sie nicht, sagt die Frau mit den blonden Haaren. Sie habe die Freiberuflichkeit ja bewusst gewählt, nach langen Jahren in Kliniken ihrer früheren Heimat, in Karlsruhe und Pforzheim. Für sie ist das der schönste Beruf der Welt. Etwas anderes kann sie sich nicht vorstellen. „Ich mach’ das einfach von Herzen gern.“ Da nimmt sie den Verzicht auf Theater oder Ausflüge in Kauf. Und dass sie Fortbildungen nur belegen kann, wenn sie in der Nähe stattfinden. Dabei ist Waltraud Frietsch eigentlich schon im Rentenalter. Aber als junge Frau mit drei Kindern hätte sie das alles gar nicht leisten können, sagt sie. Mal abgesehen von der fehlenden Erfahrung.

Nun hat sie sich doch zum Urlaub durchgerungen. Schließlich will sie noch lange für die Frauen da sein. Und die Ferien auch nutzen, um mal Abstand zu gewinnen zu einem Problem, das derzeit alle in ihrem Berufsstand beschäftigt: die Haftpflichtversicherung. Denn diese Frage ist bisher nicht geklärt. Waren vor zwölf Jahren dafür noch 128 Euro im Jahr fällig, sind es heute über 6 000 Euro. Wegen der relativ kleinen Berufsgruppe und den stark gestiegenen Forderungen im Schadensfall. Der nach wie vor nur sehr selten eintritt, sagt die Radebeulerin.

Sie könne mit der Belastung leben, doch für manche Hebammenarbeit bedeute dies das Ende. Bei jährlich zehn Geburten – für jede gibt es rund 600 Euro von der Krankenkasse – sei das nicht zu schaffen. Zwar summieren sich Vor- und Nachsorge sowie Geburt auf rund 1 500 Euro. Doch das reicht nicht überall. Weil noch viele andere Kosten anstehen, für Hebammenverband, Qualitätsmanagement, Miete.

Zwar wurde im Sommer ein Kompromiss gefunden: Die Kassen zahlen 68 Euro pro Geburt dazu, zum Ausgleich. Und die Versicherung hat sich bereiterklärt, die Hebammen bis zum Juni 2015 weiter zu versichern. Doch danach? Waltraud Frietsch hofft auf eine ordentliche Lösung. Sie weiß, wie sehr sie und ihre Kolleginnen gebraucht werden. So manche Mutter kommt noch viele Monate nach der Geburt zu ihr, um sich Rat und Hilfe zu holen.

www.saechsischer-hebammenverband.de