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Null Kalorien, süßer als Zucker

Sie ist viel süßer als Zucker, hat keine Kalorien und kommt aus der Natur: Die Stevia-Pflanze begeistert die Lebensmittelhersteller. Ein halbes Jahr nach der Zulassung durch die EU liegen die ersten Bonbons und Lakritzen mit dem neuen Zuckerersatz im Supermarkt.

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Von Daniela Wiegmann

München. Eine Tafel Vollmilchschokolade hat rund 550 Kalorien, ein kleiner Beutel Lakritzen 330 und zehn Gummibärchen etwa 70. Seitdem die Hersteller die Nährwertinfos auf die Packungen drucken, ist auch Ahnungslosen klar geworden, was Süßigkeiten in sich haben. Alternativen zum Zucker gab es kaum: Kalorienreduziertes Weingummi mit künstlichem Süßstoff entpuppte sich in Deutschland als Flop. Nun aber versetzt ein rein pflanzliches Süßungsmittel die Hersteller in Aufregung, mit dem Lebensmittel und Getränke deutlich kalorienärmer hergestellt werden können: die südamerikanische Pflanze Stevia.

300 Mal süßer als Zucker

„300 Mal so süß wie Zucker, unschädlich für die Zähne und Null Kalorien“, jubeln die Firmen - und tüfteln seit der Zulassung durch die EU vor einem halben Jahr in ihren Labors am Einsatz des neuen Zuckerersatzes. Seit einigen Wochen sind die ersten Bonbons und Lakritzen mit dem aus den Blättern der Stevia-Pflanze gewonnenen Steviolglykosid auf dem Markt und lassen die Branche auf gute Einnahmen hoffen.

Der Bonbon-Hersteller Pulmoll hat gleich sein gesamtes Sortiment zuckerfreier Produkte auf Stevia umgestellt. „Ausgetauscht wurden die künstlichen Süßstoffe Aspartam und Acesulfam K“, sagt eine Firmensprecherin. Der Weg dahin war nicht einfach. „Die Entwicklungszeit war sehr langwierig und intensiv, das Ergebnis ist jetzt sehr vielversprechend.“ Auch Haribo brachte im April sein erstes „Stevi-Lakritz“ auf den Markt, das 40 Prozent weniger Kalorien hat als normales Lakritz. Im Visier hat das Unternehmen dabei vor allem figurbewusste Frauen. Die Rückmeldung aus den Supermärkten ist gut: „Wir haben schon Nachbestellungen“, sagt Haribo-Sprecher Marco Alfter.

Getränkeindustrie wittert ihre Chance

Die Molkerei Andechser hat drei Jahre geforscht, bevor sie ihre ersten Stevia-Joghurts in den Handel brachte. „Die Pflanze wurde bereits im privaten Gebrauch beim Süßen von Tee mit den Blättern erfahren und getestet - da lag die Idee nicht fern, dass man mit einem Sud aus getrockneten Stevia-Blättern auch den Joghurt verfeinern kann“, sagt Firmensprecherin Stefanie Miller.

Auch die Getränkeindustrie, die zu den größten Zuckerverarbeitern überhaupt gehört, wittert Morgenluft. Der Getränkekonzern Coca-Cola hat kalorienreduzierte Produkte mit Stevia schon in den USA und Frankreich auf dem Markt und plant dies auch in Deutschland.

Entdeckt wurde die Pflanze aus Südamerika schon vor mehr als 100 Jahren, über den kommerziellen Einsatz in der Lebensmittelherstellung wurde aber lange gestritten. Als die EU Ende vergangenen Jahres nach langwierigen Prüfungen grünes Licht gab, sorgte das bei den Firmen, die schon lange nach Alternativen zu künstlichen Süßstoffen suchten, für Erleichterung. Der Agrarwissenschaftler Udo Kienle von der Universität Hohenheim sieht Stevia als „Zucker des 21. Jahrhunderts“.

Schwierig zu verarbeiten

Kaum eine andere Neuheit hat die Branche in den vergangenen Jahren so sehr beschäftigt. „Es ist ein sehr interessantes Thema für die Hersteller“, sagt Solveig Schneider vom Bundesverband der Süßwarenindustrie. Allerdings ist die Verarbeitung nicht ganz einfach. Stevia schmeckt leicht bitter, was in Halsbonbons oder Lakritz nicht stört - in Vollmilchschokolade aber schon. Eine Lösung für dieses Problem haben die meisten Hersteller bislang noch nicht gefunden - aber sie arbeiten daran. „Es ist sehr aufwendig, ein Produkt zu entwickeln aber man tastet sich heran“, sagt Schneider. Wegen der extremen Süßkraft kann Stevia zudem nur in minimalen Mengen eingesetzt werden, so dass bei der Verarbeitung das Volumen des Zuckers fehlt.

Aber auch aus gesundheitlichen Gründen sind dem Verzehr Grenzen gesetzt. Die EU schrieb nach langen Diskussionen über mögliche Gesundheitsgefahren bei der Zulassung vorsorglich einen Höchstwert von täglich rund 10 Milligramm pro Kilo Körpergewicht vor. Vor allem Diabetiker sollten eine Überdosierung vermeiden, warnten Diabetiker-Verbände vor wenigen Wochen. Worin mögliche Gesundheitsgefahren bestehen könnten, ist bislang allerdings nicht geklärt.

Auf die Verarbeitung von Zucker wird die Lebensmittelindustrie deshalb auch in Zukunft nicht verzichten können. Stevia-Süßigkeiten werden nach Einschätzung von Haribo eher eine Nische für Kunden bleiben, die auf Kalorien achten - und das sind längst nicht alle. Gummibärchen mit Stevia sind bislang nicht geplant. (dpa)