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Notorische Querulanten

Im Landkreis Bautzen leben rund 120 Reichsbürger. Sie halten Polizei und Verwaltungen auf Trab. Ein Thema auch in Radeberg.

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© dpa

Von Sebastian Kositz

Bautzen/Radeberg. Einsicht? Fehlanzeige. Die Zulassung für das Auto war schon vor fünf Jahren abgelaufen, trotzdem gondelte der 62-Jährige mit dem Peugeot weiter munter durch die Gegend. Doch damit nicht genug. Als Polizisten den Mann Mitte Januar bei einer Verkehrskontrolle in Bretnig von der Straße winken, müssen die Beamten feststellen, dass gegen den Fahrer auch ein offener Vollstreckungshaftbefehl über 3 300 Euro vorliegt. Weil der 62-Jährige nicht zahlen kann, soll er festgenommen werden. Was nicht so einfach ist. Erst nach wüsten Beschimpfungen und Versuchen, sich loszureißen, klicken die Handschellen.

Bei dem renitenten Herren handelte es sich nach eigenem Bekunden um einen sogenannten Reichsbürger. Menschen, die in ihrer ganz eigenen Welt leben, die Bundesrepublik Deutschland als Staat mitsamt seiner Gesetze für null und nichtig erklären, sich eigene Ausweise basteln, auf ihrem Grund und Boden Fantasiereiche gründen – und deshalb auch immer wieder mit den Vertretern der Behörden aneinander geraten. Erstmals hat die Polizei jetzt für den Landkreis eine konkrete Zahl bekannt gegeben, verweist auf etwa 120 Personen, die der Reichsbürgerbewegung zuzurechnen sind. Sachsenweit gehen die Behörden inzwischen von 1 300 Reichsbürgern aus, hatten die Zahl erst zum Jahresende deutlich nach oben korrigiert. Bei den 120 Reichsbürgern, die im Landkreis leben, handelt es sich um Personen, die „sich selbst der sogenannten Reichsbürgerbewegung zurechnen“, sagt der zuständige Polizeisprecher Thomas Knaup. Dass die Zahl rasant steigt, heiße aber nicht, dass es in der Region tatsächlich immer mehr Reichsbürger gibt, erklärt er. Vielmehr werden den Beamten einfach nur mehr Menschen aus der Reichsbürgerszene bekannt. Die Statistik dazu gibt es erst seit wenigen Jahren.

Als Extremisten eingestuft

Dennoch spricht Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) von einem Krebsgeschwür, hat Reichsbürgern und ihren kruden Theorien den Kampf angesagt. Weil sie die Institutionen des Staats nicht anerkennen, komme es immer wieder zu Konflikten mit Behörden – und Verstößen gegen Gesetze. Sachsens Verfassungsschutz hat die Reichsbürger längst als Extremisten eingestuft. Die Reichsbürger sind für viele Straftaten verantwortlich, erklärt der Regierungschef.

So wie jüngst in Bretnig. Wegen des Vollstreckungshaftbefehls kam der 62-Jährige sofort ins Gefängnis, zudem wurde er wegen des Verstoßes gegen das Pflichtversicherungsgesetz und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte angezeigt. Übliche Verfehlungen, mit denen Reichsbürger immer wieder auffallen. Dazu gehören Nötigung, Amtsanmaßung, Bedrohungen und Beleidigungen. Immerhin: Schwere Straftaten sind in der Region nicht bekannt.

Polizeisprecher Thomas Knaup nennt für die vergangenen beiden Jahre 230 Fälle, bei denen Reichsbürger in den beiden zur Polizeidirektion gehörenden Kreisen Bautzen und Görlitz aufgefallen waren. „Davon betrafen 79 Sachverhalte den Landkreis Bautzen“, sagt Thomas Knaup. Die große Mehrzahl der Fälle, so erklärt er, seien aber strafrechtlich nicht relevant gewesen. Denn die Beamten müssen sich beispielsweise oft mit seitenlangen Briefen an Behörden befassen, in denen die Absender erklären, warum es die Bundesrepublik gar nicht gebe. Für die Polizei geht es dabei vor allem darum, zu prüfen, ob in den Schreiben strafrechtlich relevante Inhalte stecken. Eine Aufgabe, die „eine nicht zu unterschätzende Anzahl an Beamten“ bindet, so Knaup. Die könnten nicht für andere, wichtigere Aufgaben eingesetzt werden.

Mehr noch als die Polizei haben indes die Mitarbeiter in den kommunalen Behörden mit den Reichsbürgern zu tun. Im Ordnungsamt der Kreisverwaltung trudeln beinah täglich Briefe von Reichsbürgern ein, gelegentlich werden Mitarbeiter angepöbelt. Auch im Jobcenter sei die Zusammenarbeit mit den einschlägigen Kunden „problembelastet bis unmöglich“, erklärt Peter Stange von der Pressestelle im Landratsamt. Auf 50 bis 80 Personen schätzt er die Anzahl der bekannten Querulanten.

Radeberg lässt Mitarbeiter schulen
Und auch in den Rathäusern haben die Bediensteten immer wieder mit Reichsbürgern zu tun. Dazu zählen auch jene, die ihren Pass und den Personalausweis abgeben wollen. Etwa drei bis vier solcher Fälle gab es beispielsweise bisher in Radeberg – „damit liegt die Zahl bei unter 0,03 Prozent der Einwohnerschaft“, sagt Radebergs Stadtsprecher Jürgen Wähnert. Eine ansteigende Tendenz sei bisher nicht festzustellen. Beschimpfungen oder Gewaltandrohungen habe es bisher nur in einem Fall gegeben, so der Stadtsprecher. „Mit Reichsbürgern konfrontiert sind dabei neben der Pass- und Meldestelle, ja zum Beispiel auch der Vollzugsdienst bei Nachermittlungen zu Geschwindigkeitsüberschreitungen oder das Standesamt“, fügt er an. Der Umgang mit dem Reichsbürger-Thema ist im Radeberger Rathaus übrigens auch ein Schulungsthema, macht Jürgen Wähnert deutlich. „Es gibt Seminarangebote und Informationen über die Landesdirektion und den Sächsischen Städte- und Gemeindetag“, beschreibt er. (mit SZ/JF)