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Notenkrimi gelöst

200 Jahre lang war ein Musikstück aus Wehlen verschollen. Nun erklingt es erstmals wieder auf der Bühne.

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© Andreas Weihs

Von Nancy Riegel

Stadt Wehlen. Spielen, schreiben, spielen, schreiben. Detektivarbeit ist ganz schön monoton, wenn es um ein mehr als 200 Jahre altes Musikstück geht. Und vor allem langwierig. Der Leiter des Wehlener Chors, Gernot Jerxsen, hat sich dieser Aufgabe trotzdem angenommen. Zusammen mit dem Ortschronisten Wolfgang Thomas hat er eine verschollen geglaubte Weihnachtskantate übersetzt und bringt sie jetzt zusammen mit einem Kammerorchester erstmals wieder auf eine Bühne. Der Notenkrimi begann vor zwei Jahren. Damals weckte der Kantor Christian Gottlob Krille, der Ende des 18. Jahrhunderts in Wehlen tätig war, das Interesse des Chronisten. In Büchern wird ihm zugesprochen, der Wehlener Bevölkerung einen regen musikalischen Sinn gebracht zu haben. Wolfgang Thomas recherchierte viel über Krille und dessen beide Söhne und fand heraus, dass der Vater eine Vielzahl von Kantaten und Motetten in Wehlen komponiert hatte. Sein musikalisches Talent hatten offenbar auch die beiden Söhne geerbt, vor allem Gottlob August, der sogar zum Kantor an der Kreuzkirche in Dresden ernannt wurde.

Doch keines seiner Musikstücke war auffindbar. Bis Wolfgang Thomas einem alten Hinweis aus einem Buch folgte und bei der Kirchgemeinde Ehrenfriedersdorf im Erzgebirge anfragte, die angeblich Unterlagen der Krilles lagerten. Und tatsächlich wurde man dort fündig. Kurz darauf lag ein Stapel Kopien von handgeschriebenen Noten Gottlob August Krilles auf dem Tisch von Wolfgang Thomas. Und hier kommt Chorleiter Gernot Jerxsen ins Spiel. Einfach die Blätter in den Notenständer stellen und losspielen, das ist bei 200 Jahre alten Zeilen kaum möglich. Viele Stellen sind verwischt, die Bassschlüssel schon mal verrückt, und der Text der Kantate kaum zu entziffern. „Als ich den Stapel Blätter sah, wusste ich: Da kommt eine Riesenaufgabe auf mich zu“, sagt Gernot Jerxsen. Was ihn aber nicht abschreckte, sondern neugierig machte. So entstand die Neufassung von „Heute ist Christus geboren“.

Zunächst tippte er die Noten – so gut es ging – in ein spezielles Computerprogramm, um sie so auf ordentliche Notenzeilen zu bringen. Dann kam der Feinschliff, der allerdings ein halbes Jahr in Anspruch nahm. Takt für Takt, Note für Note, rund 40 Seiten insgesamt, spielte Gernot Jerxsen am Klavier. Immer dann, wenn ihm etwas unharmonisch vorkam, griff er zum Stift und unterstrich die betroffene Stelle. Und das kam nicht selten vor. Das Ganze wiederholte er unzählige Male, bis die Kantate schließlich passte.

Zwei Jahre nach seiner Wiederentdeckung wird das Stück nun in Wehlen zu hören sein. Bei einem Konzert am dritten Advent in der Stadtkirche. Dort, wo vor 200 Jahren auch der Komponist wirkte. Die Chöre aus Wehlen und Dohna, rund 50 Sänger zusammen, werden von einem Dresdner Kammerorchester unterstützt. Großaufgebot für ein besonderes Stück, so wollte es der Dirigent. „Angemessen, wenn man bedenkt, dass keiner der Zuhörer dieses Stück jemals zuvor gehört hat.“ In Gernot Jerxsens Schublade liegt im Übrigen auch noch eine Osterkantate Krilles, die noch überarbeitet werden möchte. Das wird er aber bis zum nächsten Osterfest nicht schaffen, sagt der Dirigent. Noten übersetzen ist eben Detektivarbeit.

Konzert am 11. Dezember, 16 Uhr, Stadtkirche Wehlen, Karten an der Abendkasse