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Noch Luft nach oben

Innerhalb von sechs Jahren hat Ralph Denk seinen Radrennstall Bora-Hansgrohe an die Weltspitze gebracht. Am Ziel ist er damit aber noch nicht.

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© Ronald Bonß

Von Cornelius de Haas

Die Ansage lautet: „Wenn Sie da sind, fahren Sie mit dem Fahrstuhl in den achten Stock.“ Klar, der deutsche Rad-Rennstall Bora-Hansgrohe – seit diesem Jahr als World Team in die erste Liga aufgestiegen – will hoch hinaus, das zeigt auch die Verpflichtung des Doppel-Weltmeisters Peter Sagan. Aber dass sich in dem knapp 11 500 Einwohner zählenden Städtchen Raubling am Fuße der Alpen ein derart hohes Gebäude befinden soll, überrascht dann doch. An der Rosenheimer Straße angekommen, steht da ein Plattenbau, der die anderen Gebäude in der Umgebung um einiges überragt. In der obersten Etage befinden sich die Büros der Mannschaft.

Von da hat Ralph Denk nicht nur einen fantastischen Blick auf das Panorama der Alpen, sondern auch auf den flachen Rundbau auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Dort ist noch immer der Fahrradladen ansässig, den der Teamchef von Bora-Hansgrohe im Jahr 2000 gegründet hat. Sein Traum ist schon damals ein anderer. „Es war immer mein Wunsch, ein richtig großes deutsches Team zu leiten“, sagt der 43-Jährige, der in seiner Jugend selbst Rennen fuhr und mehrfach bayerischer Meister wurde. Parallel zu seinem Geschäft baut er erfolgreich ein Mountainbike-Team auf, doch der Straßenradsport lässt ihn nicht los. Den Laden verkauft er vor zwei Jahren – seither gilt die „volle Konzentration dem Radsportmanagement“.

Dabei steht Denk schon seit 2010 an der Spitze seines Rennstalls. Der wurde damals vom Weltverband UCI als drittklassiges Continental Team geführt, der Sponsor hieß Netapp. Das IT-Unternehmen aus den USA, das seinen deutschen Sitz in Kirchheim bei München hat, bleibt fünf Jahre dabei. „Ich hatte schon die Hoffnung, dass Netapp mit uns mitwächst“, sagt Denk. Doch mit dem Aufstieg zum Professional Continental Team und den Teilnahmen am Giro d’Italia 2012, der Vuelta a Espana 2013 und der Tour de France 2014 – als erstes deutsches Team seit 2010 – sieht der Sponsor seine Marketingziele erreicht.

Sponsor mit versteckter Radaffinität

Für Denk kein Grund, an der Verwirklichung seines Traumes zu zweifeln. Das ebenfalls in Raubling ansässige Unternehmen Bora steigt 2015 vom Unterstützer zum Hauptsponsor auf. In den Räumen des Küchenexperten, der sich die Revolution der Dunstabzugshaube auf die Fahnen geschrieben hat, sind die Büros des Rennstalls beheimatet. Dass auch Bora-Chef Willi Bruckbauer ein Radsport-Herz hat, lässt sich an den Namen der Besprechungsräume erkennen. Sie heißen Sanremo oder Flandern – in Anlehnung an die großen Klassiker, die sogenannten Monumente des Radsports.

Wie wichtig Sponsoren sind, macht Denk darum noch einmal deutlich: „Andere Einnahmequellen haben wir kaum. Unsere Etats werden zu 95 Prozent von unseren Geldgebern gedeckt.“ Das ist das Los der Freiluftveranstaltung Radrennen – es werden keine Eintrittskarten verkauft, die Fernsehgelder gehen nicht an die Rennställe, sondern an die Veranstalter. Von denen gibt es immerhin ein Antrittsgeld.

Auch wenn Denk keine konkreten Zahlen für sein Team nennt, die Durchschnittswerte gehen ihm leicht über die Lippen: „In der World Tour liegt der Etat bei 16 Millionen Euro, bei den Top-Mannschaften munkelt man, dass es Richtung 30 Millionen geht.“ Mit dem Einstieg des Sanitärtechnik-Experten Hansgrohe im vergangenen Jahr kommen die Bayern mindestens der erstgenannten Zahl nahe, denn der Aufstieg zum UCI World Team gelingt.

Ein Kraftakt, vor allem auch aus logistischer Sicht. Die Mannschaft wird um sechs auf 27 Fahrer aufgestockt. Die stammen aus elf verschiedenen Ländern, acht von ihnen sind Deutsche. Mit Rüdiger Selig und Marcus Burghardt gehören auch zwei Sachsen dazu, wobei der gebürtige Zschopauer Burghardt bereits seit ein paar Jahren am nahe gelegenen Samerberg zu Hause ist – und dort Nachbar von Denk.

Auch die Zahl der Rennen nimmt zu. „Bis 2016 haben wir uns gefreut, wenn wir zu den Klassikern und den großen Rundfahrten eingeladen wurden. In diesem Jahr sind wir gesetzt. Das heißt, statt einer Veranstaltung sind jetzt bis zu drei in einer Woche zu besetzen. Das ist schon ein deutlich höherer Aufwand“, sagt Denk – und wirkt dabei ziemlich entspannt.

Koordiniert werden die Reisen der Fahrer sowie der zehn Mechaniker, sechs Sportlichen Leiter und zwölf Physiotherapeuten von Raubling aus. Auch der Transport der Räder und die Einsatzplanung der Teamfahrzeuge, -Lkw und -busse wird dort organisiert. Inklusive der Rennfahrer, die – bis auf Burghardt – kaum vor Ort anzutreffen sind, arbeiten inzwischen 80 Menschen für das Team Bora-Hansgrohe, doppelt so viele wie noch 2016. Zu ihnen zählt sogar eine eigene Köchin – aus Raubling. Denn auch wenn die Mannschaft international zusammengestellt ist, eine regionale Verwurzelung seines Rennstalls ist Denk wichtig: „Deswegen fährt auch der Marcus bei uns, deswegen kocht die Vroni bei uns und deswegen kaufen wir unser Rindfleisch am Tinninger See, wenn wir zur Tour de France fahren.“

Doch heimelig wird es dadurch noch lange nicht. Schließlich steigen mit den höheren Investitionen auch die Ansprüche der Sponsoren an das Team. Einer, der die erwarteten Erfolge einfahren soll, ist Sagan. Die Verpflichtung des 27 Jahre alten Slowaken sei nicht schwer gewesen, sagt Denk, „weil wir ein ganz menschliches Gespräch geführt haben, ich für schnelle Entscheidungen stehe und Versprechen gebe, die ich auch einhalte“. Nach dem ersten Austausch gab es darum gleich das Angebot: „Peter, ich will dich, ich nehm dich so, wie du bist“, habe er dem Superstar gesagt.

In dieser Deutlichkeit ist das etwas Besonderes. „Natürlich will jeder Sagan“, ist sich Denk darüber im Klaren, nicht als Einziger um den derzeit wohl komplettesten Fahrer gebuhlt zu haben. „Doch dann kommt das Aber: Das und das können wir nicht machen. Und deine Helfer, die brauchen wir eigentlich auch nicht.“ Bei Denk sind sie willkommen – Sagan bringt seinen eigenen Techniker und Trainer sowie gleich sieben Kollegen, die in der Vorsaison mit ihm beim russischen Team Tinkoff fuhren, mit zu Bora-Hansgrohe. Darunter ist mit dem Polen Rafal Majka auch einer, der als Klassementfahrer eine ähnlich wichtige Position wie Sagan einnimmt.

Zwei deutsche Fahrer für die Balance

Und so müssen die Sportlichen Leiter um den gebürtigen Görlitzer Enrico Poitschke die richtige Balance bei der Zusammenstellung der Mannschaft für die Tour de France finden. „Wir wollen mit Peter auf Etappensiege und das Grüne Trikot gehen, werden aber auch versuchen, mit Rafal im Klassement anzugreifen“, benennt Teamchef Denk die Ziele für die große Schleife, die am 1. Juli in Düsseldorf und damit nach 30 Jahren wieder in Deutschland startet.

Das ist zwar Motivation, aber auch Fluch: „Natürlich wollen unsere deutschen Fahrer alle dabei sein, aber wir müssen die Balance finden zwischen Bergfahrern für Majka und Sprintvorbereitern für Sagan“. Mindestens zwei passen ins Profil: Burghardt und Emanuel Buchmann.

Während sich der mit acht Tour-Teilnahmen erfahrene Burghardt als verlängerter Arm des Sportlichen Leiters im Rennen um die Umsetzung der Strategie kümmert, ist Buchmann die Hoffnung auf die Zukunft. Bei dem 24-Jährigen, 2015 überraschend schon deutscher Meister, „läuft der Aufbau nach Plan. Perspektivisch ist er auch bei einer großen Rundfahrt für die Kapitänsrolle vorgesehen“, blickt Denk bereits voraus.

Und so soll es in den nächsten Jahren im besten Fall auch um das Gelbe Trikot bei der Tour de France gehen. Trotz Majka würde es den Teamchef nicht überraschen, wenn „eines Tages Peter Sagan ankommt und sagt, er will die Tour gewinnen“. Das würde zu diesem Rennstall passen, der sich innerhalb von sechs Jahren kontinuierlich vom Amateurteam zu einer Top-Mannschaft entwickelt hat. Ob dann die achte Etage noch hoch genug ist?