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Festung Striezelmarkt

Auf Dresdens Weihnachtsmärkten waren keine Sperren geplant. Doch nach dem Terror von Berlin ändert sich das.

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© Robert Michael

Von A. Schneider, A. Weller, L. Kühl und C. Springer

Ein Lkw-Fahrer lässt am Dienstagmorgen entlang der Wilsdruffer Straße schwere Teile mit einem Kran durch die Luft schweben. Kaum zwölf Stunden sind nach dem Terroranschlag auf einen Weihnachtsmarkt in Berlin vergangen. Nun werden sie also doch vor dem Striezelmarkt errichtet: Betonblöcke, die Laster und andere Autos daran hindern, auf den Altmarkt zu fahren. Insgesamt werden bis zum Abend 55 dieser Poller aufgestellt.

Striezelmarkt wird Sicherheitszone

Noch in der Nacht hatten sich Polizei, Feuerwehr und Stadt verständigt, wie die Dresdner Märkte zu sichern seien. Die Firma Nestler erhielt den Auftrag, die Betonklötze vom Lagerplatz in der Friedrichstadt zu holen. „Das ist die erste Sicherheitsmaßnahme“, erklärt Robert Franke, Chef der Wirtschaftsförderung im Rathaus. „Es gibt eine abstrakte Gefährdung für den Striezelmarkt.“ Die Einschätzung führt er auf dessen große Bekanntheit zurück, der Markt sei mit dem an der Berliner Gedächtniskirche vergleichbar. „Anschlagsziele werden gezielt ausgesucht“, so Franke.

Polizisten dirigieren, wo das nächste Teil platziert wird. Zwischen Café Kreutzkamm und McDonald’s reihen sich nun die schweren grauen Brocken aneinander. In Höhe der Seestraße ist die Lücke etwas breiter. Terrorprävention hin oder her, Feuerwehr und Rettungswagen müssen den Altmarkt erreichen können. Journalisten und Schaulustige verfolgen das Schauspiel neugierig, bisweilen fassungslos. „Ich gebe der Merkel noch einen halben Tag Zeit“, schimpft ein Mann mit Reisegepäck und schwäbischem Akzent. „Es musste doch so weit kommen.“ Eine Frau fragt, warum die Sperre nicht längst errichtet worden sei.

Wie reagieren die sächsischen Weihnachtsmärkte?

Sächsische Märkte bleiben offen: Sachsens Sicherheitsbehörden haben keine Hinweise auf geplante Terroranschläge im Freistaat. Innenminister Markus Ulbig (CDU) kündigte daher an, dass kein Weihnachtsmärkte geschlossen werde. Allerdings soll es mehr Polizeistreifen geben. „Robuste Streifen“ mit Maschinenpistolen würden an Zufahrtsstraßen eingesetzt und mehr zivile auf den Märkten selbst. Ein Rucksackverbot solle es nicht geben, allerdings sollten Besucher auf sie verzichten. Für kommende Großveranstaltungen vor Weihnachten werde das Sicherheitskonzept angepasst. (dpa/szo)

Christvesper am Neumarkt: „Die Weihnachtliche Vesper vor der Frauenkirche am Freitag liegt neben dem Striezelmarkt im Focus unserer Maßnahmen. Deshalb haben wir uns entschlossen, auch in diesem Bereich unseren Einsatz anzupassen“, sagt Polizeipräsident Horst Kretzschmar. Tausende Gläubige werden dazu erwartet. Einen Kontrollbereich, in dem die Polizei jederzeit Taschen- und Personenkontrollen machen kann, wird es nicht geben. Am Dienstag wurden Betonelemente an verschiedenen Zufahrtsstellen zum Neumarkt aufgestellt. Die Kleine Kirchgasse sowie die Salzgasse zwischen Coselpalais und Steakhaus ist für den Fahrverkehr komplett gesperrt. Der Zugang zum Bereich des Neumarktes ist für Fußgänger uneingeschränkt möglich.

Striezelmarkt in Dresden: Der inzwischen rundum mit Betonklötzen gegen Fahrzeuge gesicherte Markt wird regulär bis 24.12. geöffnet. Allerdings wird er Betrieb auf dem Weihnachtsmarkt am Mittwoch (21.12.) kurz unterbrochen, wenn es um 19 Uhr ein Friedensgebet in der Kreuzkirche am Altmarkt geben wird, zu dem Dresdens OB einlädt. Die Beleuchtung der Fichte, des Schwibbogens und der Herrenhuter Sterne wird ausgeschalten, die restliche Beleuchtung wird gedimmt, die Musik ist aus und das Bühnenprogramm unterbrochen. Danach ist der Markt regulär bis 21 Uhr geöffnet. (szo)

Augustusmarkt in Dresden-Neustadt: Der Weihnachtsmarkt entlang der Hauptstraße soll wie der Striezelmarkt ebenfalls mit Betonelementen gegen eindringende Fahrzeuge gesichert werden. Dafür sollen noch am Dienstag Elemente am Jorge-Gomondai-Platz (aus Richtung Albertplatz) aufgestellt werden. Das Sicherheitspersonal wurde nach Angaben des Betreibers bereits verdreifacht, allerdings bereits kurz nach der Eröffnung des Marktes. Wegen des Anschlages in Berlin seien weitere Sicherheitsmaßnahmen aber nicht geplant. (dpa)

Dresdner Winterlichter Prager Straße: Auf dem Weihnachtsmarkt zwischen Hauptbahnhof und Dr. Külz Ring werden aus Respekt vor den Opfern des gestrigen Anschlags auf einen Weihnachtsmarkt in Berlin am heutigen Dienstag keine Weihnachtslieder abgespielt, teilte der Betreiber mit. Aber nicht nur die Beschallung fällt aus: Auch der halbstündlich angeschaltete Baum auf dem Markt geht heute nicht in Betrieb. Der Markt selber bleibe geöffnet. (SZ)

Advent auf dem Neumarkt: Keine Änderungen soll es dagegen auf dem Neumarkt geben. „Unser Markt ist ein offener Markt, wir können da keine Securitys mit Kalaschnikows hinstellen“, sagt Peggy Schindler. Sie leitet die Agentur „Neuland-Zeitreisen“, die den Markt an der Frauenkirche organisiert. Straßensperrungen lasse der Neumarkt nicht zu, Hotels und Gaststätten müssten beliefert werden. „Und als privater Veranstalter können wir das ohnehin nicht bewerkstelligen“, so Schindler mit Blick auf die Sperren am Striezelmarkt. (SZ)

Weihnachtsmarkt Meißen: Der Meißner Gewerbeverein hat als Veranstalter des Weihnachtsmarktes sofort gehandelt. Nach Angaben von Markt-Organisator Peter Görig sei mit Ordnungsamt und Polizei am Morgen die Gefahrenlage analysiert worden. Für die Meißner Weihnacht gelte ein ähnliches Sicherheitskonzept wie für das Weinfest. Es gehe vor allem darum, die Händler und alle Beteiligten zu sensibilisieren. Sie sollten wissen, wie Ernstfall zu handeln und wer zu alarmieren ist. Durch die Enge der Gassen in der Altstadt wird die Gefahr einer ähnlichen Terrortat wie in Berlin allerdings deutlich gemindert. (SZ/pa)

Canalettomarkt Pirna: In Pirna werden wegen des Anschlags in Berlin zusätzliche Sicherheitsvorkehrungen auf dem Canalettomarkt getroffen. Laut Polizei-Sprecherin Jana Ulbricht wurde eine mobile Wache auf dem Markt eingerichtet, die zunächst bis einschließlich 23. Dezember präsent sei. „Nach Weihnachten werden wir die Lage dann noch einmal neu betrachten“, so Ulbricht. Zusätzlich seien mobile Streifen in der Altstadt unterwegs. Zu Betonsperren wie in Dresden werde es nicht kommen. (SZ/nr)

Leipziger Weihnachtsmarkt: Nach dem mutmaßlichen Terroranschlag in Berlin verstärkt die Stadt Leipzig die Sicherheitsmaßnahmen auf ihrem Weihnachtsmarkt. Eine Zufahrtsstraße und der Augustusplatz im Zentrum seien für den Auto- und Straßenbahnverkehr gesperrt worden, teilte die Stadt mit. Der Markt bleibe bis auf weiteres geöffnet, die Polizei werde ihre Streifen allerdings auch in der restlichen City ausweiten. (dpa)

Weihnachtsmarkt Annaberg-Buchholz: In Annaberg-Buchholz soll der Opfer des Anschlags in Berlin mit einer Schweigeminute gedacht werden. Oberbürgermeister Rolf Schmidt kündigte am Dienstag für 18 Uhr eine Gedenkminute auf dem Weihnachtsmarkt für die Opfer an. Wie die Stadt mitteilte, solle anschließend die Musik nicht mehr angestellt werden. Am Rathaus werde Trauerbeflaggung angebracht. Der Weihnachtsmarkt soll wie geplant bis zum Freitag fortgeführt werden. (dpa)

Chemnitzer Weihnachtsmarkt und Erzgebirge: Die Polizeidirektion Chemnitz hat ihre Präsenz auf den Weihnachtsmärkten der Region zum Teil massiv verstärkt. Wie eine Sprecherin mitteilte, patrouillieren Beamte auch mit Schutzwesten und Maschinenpistolen. Auf dem Weihnachtsmarkt der Stadt Chemnitz sei dies bereits am Montagabend geschehen. Die Maßnahme gelte für die verbleibende Dauer der Märkte. Die Polizeidirektion Chemnitz ist zuständig für die Stadt Chemnitz sowie die Landkreise Mittelsachsen und Erzgebirgskreis. (dpa)

Zwickauer Weihnachtsmarkt: Der Weihnachtsmarkt in Zwickau bleibt stumm. Aus Anteilnahme gegenüber den Opfern und ihren Familien werde es am Dienstag keine Musik und kein Bühnenprogramm geben, teilte die für die Organisation zuständige Gesellschaft Kultour Z. auf ihrer Internetseite mit. Auf der Bühne würden zwölf Kerzen zum Gedenken an die zwölf Toten der Amokfahrt auf dem Berliner Weihnachtsmarkt aufgestellt. Die Händler wurden gebeten, aus Solidarität ebenfalls eine Kerze aufzustellen. (dpa)

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Manch Standbetreiber auf Deutschlands bekanntestem Weihnachtsmarkt beäugt die Szenerie skeptisch. Dana Henke von Dürrröhrsdorfer steht am Holzkohlegrill ihres Imbissstandes nur wenige Meter von der Straße entfernt. „Ich glaube nicht, dass die Sperren einen Laster abhalten“, sagt sie. „Was die hier machen, dient der Beruhigung.“

Noch sind wenige Gäste unterwegs. Die aktuellen Nachrichten und Gerüchte wabern über den Markt. Direkt an der Wilsdruffer Straße steht Jana Ulbricht, die Sprecherin der Dresdner Polizei, und gibt ein Interview nach dem anderen. „Nein, wir haben keine Hinweise auf Anschläge“, sagt sie. „Ja, wir prüfen auch andere Weihnachtsmärkte in Dresden.“

Der Striezelmarkt sei in der Stadt am einfachsten mit einem Laster zu erreichen, erklärt Franke. Deshalb bleibt die Wilsdruffer Straße während der Öffnungszeiten in Richtung Pirnaischer Platz ab sofort gesperrt. Dennoch gebe es keinen Grund zur Panik. Zusätzliche Polizisten sichern den Markt mit Maschinenpistolen.

Nicht nur dort. Auch an der Frauenkirche stehen bewaffnete Beamte und haben das weihnachtliche Treiben an der Münzgasse im Blick. Vorm Markt im Stallhof passen ebenfalls zwei Polizisten auf. Am Nachmittag kommt ein Lkw. Die Uniformierten halten ihn an, lassen sich Papiere zeigen. Alles klar, über die Augustusstraße kann das Lieferauto weiterfahren.

Am Neumarkt, wo am Freitag Tausende zur Christvesper unter freiem Himmel erwartet werden, werden ab Dienstagabend Betonbarrieren aufgebaut. Die Kleine Kirchgasse und die Salzgasse sind damit komplett dicht, kündigte Polizeipräsident Horst Kretzschmar an. Alle anderen Zufahrten kontrollieren Beamte. Zusätzlich werden Betonsteine so gesetzt, dass Autos langsam im Slalom um sie fahren müssen, wenn sie auf den Platz wollen, beispielsweise um die Hotels und Gaststätten zu beliefern. Ansonsten wünscht sich Peggy Schindler von der Agentur „Neuland-Zeitreisen“, die den Markt vor der Frauenkirche organisiert, dass die Besucher nicht in Panik versetzt werden.

Am Neustädter Gomondai-Platz stellen Nestler-Leute am Nachmittag ebenfalls zehn Poller auf. Diese schützen den Augustusmarkt an der Hauptstraße. „Das ist die einzige mögliche Zufahrt“, sagt Betreiber Holger Zastrow. Er hat in diesem Jahr die Zahl der Sicherheitsleute verdreifacht. Sechs private Schützer streifen über den Markt. Laut Zastrow merke man deutlich, dass weniger Touristen in der Stadt sind und Menschenaufläufe gemieden werden.

Dass weniger Besucher nach den Terror-Nachrichten vom Montag kommen, war zu erwarten. Es ist nicht nur ein Gefühl – die Lücken auf allen Weihnachtsmärkten im Zentrum sind am Dienstagnachmittag schon auffällig groß.

Bei den „Dresdner Winterlichtern“ auf der Prager Straße blieb sogar die Beschallung aus. Betreiber Frank Schröder hat das entschieden und angeordnet: „Aus Anteilnahme und Mitgefühl mit den Opfern und Angehörigen.“ Schutzmaßnahmen braucht Schröder aber nicht. „Wir lassen uns davon nicht beeindrucken, der Markt bleibt geöffnet.“ Auch wenn er befürchte, dass mögliche Besucher sich von den Bildern aus Berlin abschrecken lassen. „Das ist doch aber genau das, was solche Attentäter erreichen wollen.“

Ein Zeichen des Friedens gibt es am Mittwoch um 19 Uhr in der Kreuzkirche. Bei einer Gedenkandacht gedenken die Besucher mit Oberbürgermeister Dirk Hilbert, Superintendant Christian Behr und Kreuzkirchenpfarrer Holger Milkau der Opfer von Berlin. Auf dem benachbarten Striezelmarkt gehen zu Beginn die Lichter an der Fichte, dem Schwibbogen und den Herrnhuter Sternen aus. Die Beleuchtung der Buden wird gedimmt. Keine Musik ist zu hören. Das Treiben auf dem Striezelmarkt steht für diesen Moment still.