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Niesky wird kleiner

Die Bevölkerungszahlen gehen weiter zurück. Im Rathaus würde man das Ruder gern rumreißen. Aber wie?

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© SZ/Archivfoto: André Schulze

Von Thomas Staudt

Niesky. Strich drunter: Das Jahr ist so gut wie gelaufen. Zeit für einen Blick auf die Einwohnerzahlen. Hat sich Niesky im Vergleich zum letzten Jahr sehr verändert? „Nun ja, die Zahlen gehen zurück“, sagt Ordnungsamtsleiterin Simone Sturm, in deren Zuständigkeitsbereich das Einwohnermeldeamt liegt. Groß ist der Unterschied nicht. Offizielle Zahlen des Statistischen Landesamtes Kamenz gibt es noch nicht. Die Letzten sind datiert vom 30. September 2016. Damals bezifferte Kamenz Nieskys Bevölkerung auf 9 555 Einwohner. Fast eine Schnapszahl. Wohin die Reise geht, wird jedoch nur im Überblick klar: Zum Tag der Einheit 1990 zählte die Stadt noch 12 972 Einwohner, 2011 waren es nur noch 9 936. Niesky schrumpft. Das bestätigen Studien der Bertelsmann-Stiftung oder des Berliner Forschungs- und Beratungsinstituts Empirica vom vergangenen Jahr nicht nur für Niesky, sondern auch für Görlitz, Löbau oder Weißwasser. Und für die nächsten 15 Jahre.

So schlecht stehe die Stadt gar nicht da, relativiert Oberbürgermeisterein Beate Hoffmann. Tatsächlich haben andere Kommunen prozentual mehr Einwohner verloren. Kottmar zum Beispiel. Die heutige Einheitsgemeinde gibt es erst seit 2013. Die drei Dörfer mit ihren vier Ortsteilen waren 1990 zusammen fast ebenso bevölkerungsreich wie Niesky, büßten seitdem aber 28 Prozent ihrer Einwohner ein – Weißwasser sogar über 50, Niesky dagegen nur 26 Prozent. „Bei den Zuzügen sieht es eigentlich ganz gut aus, aber die Geburtenrate ist zu schwach, um die Zahl der Todesfälle auszugleichen und den Schrumpfungsprozess zu stoppen“, so Beate Hoffmann.

Weniger Menschen bedeuten weniger Umsatz in den Geschäften, weniger Geld von Land und Staat, weniger Spielraum. In diesem Jahr hatte Niesky beispielsweise 2,7 Millionen Euro zur Bewältigung der Aufgaben, wie den Unterhalt von Straßen, Kitas oder Schulen, auf dem Konto, die sogenannten Schlüsselzuweisungen. 2018 werden es nur noch zwei Millionen Euro sein. Das liegt allerdings nur zum Teil an den sinkenden Bevölkerungszahlen. Bemessungsgrundlage ist unter anderem die Steuerkraft einer Gemeinde.

Für Entspannung auf dem Wohnungsmarkt sorgt die rückläufige Bevölkerungsentwicklung allenfalls bei Quartieren ab einer Größe von drei Zimmern aufwärts. Ein- und Zweiraumwohnungen sind Mangelware. Die Gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft (GWG) bietet derzeit gerade einmal 90 Wohnungen an. Die Leerstandsquote beträgt sechs Prozent, der sächsische Schnitt liegt bei 13 Prozent. „Wir liegen damit in der Region sehr gut“, sagt GWG-Geschäftsführer Wilhelm Fischer.

Allein gegen den Trend hat Niesky kaum eine Chance. Der demografische Wandel wirkt wie ein Strom, gegen den zu schwimmen dem Kampf gegen Windmühlen gleicht. Kaum verwunderlich, dass es im Rathaus kein generelles Konzept gegen den Schrumpfungsprozess gibt. Kinder kann sich die Stadt schließlich nicht backen. Attraktiv bleiben, das kann sie sehr wohl. „Genau das wollen wir: die Stadt attraktiv machen“, sagt Hoffmann. Um den Zuzug zu fördern, hat die Stadt eine Reihe von Baugrundstücken ausgeschrieben. Sie sollen auch Häuslebauer von auswärts anlocken. Sobald die Niederschlesienmagistrale fertig ist, soll das Gewerbegebiet aufgehübscht werden. In beiden Punkten setzt die Stadt auf Wachstum.

Wie das bei den Einwohnerzahlen aussieht, veröffentlicht das Statistische Landesamt mit einigem zeitlichen Abstand. Dennoch gibt es aktuelle Werte: Laut der im Nieskyer Einwohnermeldeamt geführten Statistik lebten am 14. November – der Tag ist willkürlich gewählt – genau 9 724 Menschen in der Stadt. Hat Niesky etwa Einwohner dazugewonnen? Nicht wirklich. „Schon seit der Volkszählung 2011 haben das Statistische Landesamt und wir unterschiedliche Zahlen“, sagt Simone Sturm. Die Differenz betrug in der Vergangenheit bis zu 280 Einwohner, die in Kamenz fehlten, in Niesky aber zu Buche standen.

Der Fehler liege sozusagen im System, erklärt Ina Augustiniak, Referentin für Bevölkerung, private Haushalte und Gesundheit beim Statistischen Landesamt. Die Zahlen aus dem Zensus 2011, sind für die Meldeämter in den Kommunen insofern wertlos, da sie sie nicht zu einem Datenabgleich verwenden können, um so Karteileichen oder Fehlbestände zu korrigieren. Denn die personenbezogenen Daten aus dem Zensus sind tabu. Ihre Verwendung im Zusammenhang mit den Verwaltungen hat das Bundesverfassungsgericht bereits 1983 verboten. Niesky hätte nach dem Zensus klagen müssen, um die eigenen, höheren Zahlen anerkannt zu bekommen. Einige Gemeinden – Niesky ist kein Einzelfall – haben zunächst Widerspruch eingelegt, aber letztlich auf eine Klage verzichtet.

Gewicht erhält die Differenz mit Blick aufs Geld. Nach Adam Riese fließen rund 1 000 Euro pro Einwohner an Schlüsselzuweisungen vom Staat. Das will Kämmerer Steffen Kluske so nicht bestätigen. Die Berechnung sei viel komplizierter. Das Gros der Schlüsselzuweisungen reiche die Stadt in Form der Kreisumlage ohnehin an den Landkreis Görlitz weiter, immerhin zwischen 50 und 75 Prozent, so Kluske.

Wie viele Einwohner Niesky 2017 offiziell tatsächlich zählt, wird letztlich aus der Veröffentlichung des Statistischen Landesamtes zu ersehen sein. Wie viel Geld die Stadt vom Staat fürs nächste Jahr bekommt? Eins ist sicher: Beide Zahlen werden im Vergleich zu den Vorjahren nicht steigen.