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„Niemand muss Journalisten lieben“

Die Skepsis gegenüber den Medien geht weit über das Pegida-Milieu hinaus. Dagegen müssen sie was tun, fordert Giovanni di Lorenzo in seiner Dresdner Rede.

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© Ronald Bonß

Von Heinrich Maria Löbbers

So ist das, wenn man dieser Tage, sagen wir von Hamburg aus, nach Sachsen fährt. „Jeder, dem ich erzählt habe, dass ich in Dresden sprechen werde, reagierte, als ob ich in die Höhle des Löwen fahre.“ So erzählt es Giovanni di Lorenzo an diesem Sonntag im Schauspielhaus zu Dresden, in jenem Bundesland, dessen Bild beherrscht wird von pöbelnden Menschen, brennenden Flüchtlingsheimen und Pegida-Demonstrationen.

Dass er beinahe gar nicht gekommen wäre, hat indes damit nichts zu tun, sondern mit einem Infekt, der ihm merklich zugesetzt hat. Sein Arzt hatte abgeraten, aber der 56-Jährige wollte die über 800 Menschen nicht enttäuschen, die auf seine Dresdner Rede warteten.

Anders als vielleicht mancher erwartete, war er aber nicht als Prediger gekommen oder um Leviten zu lesen. „Dafür habe ich viel zu großen Respekt vor den Menschen in Sachsen, die zum größten Teil eben keine Hetzer und Pöbler sind.“ Sagt energisch der Chefredakteur der Wochenzeitung Die Zeit, der die wohlwollenden, anständigen Menschen ermutigen will. „Bleiben Sie bei Ihrer Meinung! Zaudern Sie nicht, denn Sie sind die Mehrheit, nicht die anderen! Sachsen braucht Sie! Das ganze Land schaut auf Sie! Lassen Sie sich bitte nicht Ihren Mut nehmen!“

Bevor jemand wie Giovanni di Lorenzo, der für seine charmante Art bekannt ist und sich stets gepflegt auszudrücken versteht, „Worte dieser erlesenen Preisklasse“ benutzt, muss viel passieren. Und das ist es auch: „Was für ein Stück Scheiße du bist, leck mich am Arsch!“ So habe ihn Pegida-Frontfrau Tatjana Festerling, mit der er nie persönlichen Kontakt hatte, vorab mit einem Eintrag auf Facebook begrüßt – auf Italienisch. Der Deutsch-Italiener nahm es als Offenbarung: So etwas verstünden Menschen wie Frau Festerling also unter dem deutschem Anstand, den sie einfordern. „Unter Meinungsfreiheit verstehen sie in Wirklichkeit die uneingeschränkte Lizenz, andere Menschen zu beleidigen, zu diffamieren, an den Pranger zu stellen.“

Doch von solcher Hetze lasse er sich sein Vertrauen nicht nehmen: „Die ganz, ganz große Mehrheit der Deutschen wendet sich bei solchem Gerede angewidert ab und will mit diesen Leuten nichts zu tun haben – ganz gleich, wie drückend die Probleme werden.“ Von Lügenpresse-Rufen und Systempresse-Parolen dürften sich Journalisten nicht verrückt machen lassen. „Trotzdem müssen wir uns die Fehler und Fehlentwicklungen unserer Branche anschauen, denn längst herrscht gegenüber den Medien eine Skepsis, die weit über das Pegida-Milieu hinausreicht.“

Ach, wenn’s nur um ein paar verlorene Abonnenten ginge, um geringere Auflage, wirtschaftliche Einbußen. Es geht um viel mehr: Wenn immer weniger Menschen auf die Informationen seriöser Medien vertrauten, sei unsere Staatsordnung in Gefahr. „Stell dir vor, die Tagesschau läuft, und keiner guckt hin.“

Die „Vierte Gewalt“ sehe sich konfrontiert mit der „Fünften Gewalt“ – einer kritischen Öffentlichkeit, die sich im Internet Gehör verschafft. Grundsätzlich durchaus begrüßenswert, hätte sich da nicht eine Parallelwelt gebildet, in der Spekulationen, Gerüchte und Verschwörungstheorien blühen, in der sich die Leute sicher sind, die Berichterstattung sei falsch, manipuliert und unwahr. Gängigste Verschwörungstheorie: Frau Merkel steuere mithilfe ihres Staatsapparates die Berichterstattung.

Aber auch dieses Gerücht wird im Netz verbreitet: Angela Merkel sei die Tochter amerikanischer Juden und nehme Rache an der deutschen „Volkssubstanz“, indem sie alle Flüchtlinge, vor allem muslimische, ins Land lasse. Di Lorenzo fasst es nicht: „Das geben nicht nur Spinner in der Anonymität des Internets von sich, das erzählen auch Menschen, von denen ich bislang dachte, sie hätten noch alle Tassen im Schrank.“

Und noch ein absurdes Beispiel schildert er, diesmal über die Kollegen des Magazins Eltern. Die hatten für das Thema „Warum jede Mutter die beste für ihr Kind ist“ fünf unterschiedliche Titelbilder entwickelt, die für verschiedene Muttertypen stehen sollten. Eines zeigte eine junge, lachende Frau mit Kopftuch. Daraufhin hagelte es Beschwerden bis zu Drohungen. Und im Internet entstand das Gerücht: Der Verlag Gruner+Jahr, in dem Eltern erscheint, gehöre doch zu Bertelsmann und Bertelsmann gehöre doch Liz Mohn und Liz Mohn sei doch eine gute Freundin von Angela Merkel und habe offensichtlich in ihrem Auftrag diesen Muslima-Titel gedruckt, um die Islamisierung Deutschlands voranzutreiben.

Warum glauben Menschen solche Absurditäten? Woher kommt das Misstrauen? Nur vier von zehn Deutschen haben „sehr großes“ oder „großes“ Vertrauen in die politische Berichterstattung der Medien. Die Mehrheit, insgesamt 60 Prozent, vertraut ihnen dagegen wenig oder gar nicht. So hat es eine Umfrage im Auftrag der Zeit ergeben. Irgendwas läuft da doch schief.

Bevor Giovanni di Lorenzo mit seiner Branche hart ins Gericht geht, stimmt er erst mal ein Loblied an: „Die deutschen Medien gehören zu den besten, unabhängigsten Medien der Welt.“ Dann das Aber: „Leider gab es gerade in jüngster Vergangenheit Vorfälle, die Verschwörungstheorien schüren.“ Zum Beispiel die Ereignisse der Silvesternacht in Köln, über die tagelang nicht berichtet wurde. „Auch ich kann mich in der Frage, warum die Meldungen über diese Vorfälle so spät kamen, des Eindrucks nicht erwehren, dass bei einigen nicht sein durfte, was nicht sein sollte.“ Unbegreifliche Versäumnisse einerseits, andererseits aber: „Sobald das Thema erst einmal bekannt war, gab es eine hervorragende und ausgewogene Berichterstattung.“

Vier Gründe hat di Lorenzo für den Vertrauensverlust der Medien ausgemacht.

Zum einen die Tendenz, alles zu skandalisieren, statt ein Gegengewicht zu der Hysterie im Netz zu bilden – ob bei Wulff, Kachelmann oder Hoeneß. „Es kann nicht ernsthaft überraschen, dass das Misstrauen und die Häme, die wir beständig gesät haben, nun auf uns selbst zurückfallen.“

Dann „ein besorgniserregender Hang zum Gleichklang“, Konformität also. Sprecht ihr euch eigentlich ab?, fragt mancher Leser. Nein, natürlich nicht! „Aber dass dieser Eindruck überhaupt entstehen kann, ist für mich ein Alarmzeichen.“

Hinzu kommt, dritter Punkt, der Hochmut gegenüber Lesern oder Zuschauern. Gehören Journalisten zu einer Elite, die die normalen Menschen nicht mehr versteht und ihnen nicht die gebührende Aufmerksamkeit widmet? Vor allem zu Beginn der Flüchtlingskrise sei meist von der Begeisterung und Offenheit im Land berichtet worden, während Probleme oft ausgespart und kritische Stimmen diffamiert worden seien. „Eine solche Politik und Berichterstattung gerät zur permanenten moralischen Erpressung“, sagt di Lorenzo. „Probleme werden nicht dadurch groß, dass man sie erwähnt, sondern dadurch, dass man sie verschweigt.“

Ein besonders krasses Beispiel für diese Entfremdung habe er bei einem Fernsehkollegen erlebt. Es ging um Florian Silbereisen. Dessen Sendungen seien „faschistoid“, auf Verdummung und Täuschung des Publikums ausgelegt, dieses Publikum sei sowieso „AfD-minded“, erzählte der TV-Mann. Lorenzo fand’s nicht lustig: „Diese Art, Zuschauer zu verachten, die einfach Freude an Roland Kaiser und von mir aus auch Bernhard Brink haben, das sagt viel über uns, aber wenig über die Zuschauer.“

Außerdem wäre da noch, Punkt vier, der „mangelhaft souveräne Umgang von Journalisten mit ihren eigenen Fehlern“. Da allerdings hätten viele Medien dazugelernt und neuerdings den Mut, sich für Fehler offen zu entschuldigen.

Aber auch nicht jede Medienschelte ist berechtigt. Da kann der nette Herr di Lorenzo rigoros werden: „Niemand muss uns Journalisten lieben. Aber wo Kollegen und Kolleginnen Anfeindungen und Bedrohungen ausgesetzt sind, da haben jedes Verständnis und jede Toleranz ein Ende. Diese Übergriffe müssen aufhören, sie sind eine Schande für unser Land und ein Generalangriff auf die Freiheit der Berichterstattung.“

Problem erkannt – was nun? Beziehungen, es ist eine alte Weisheit, bedeuten Arbeit. Was können Journalisten tun, um das nötige Vertrauen wiederzugewinnen? Di Lorenzos journalistisches Rezept ist die Stimme der Vernunft: Menschen nicht öffentlich verurteilen, bevor nicht alle Fakten geklärt sind, Nicht alle paar Wochen eine neue Sau durchs Dorf jagen. Nicht mit den Wölfen heulen. Lesern auch Unbequemes zumuten. Sich mit verschiedenen Meinungen auseinandersetzen. „Unsere Arbeit besteht nicht nur darin, den Mächtigen auf die Finger zu gucken. Qualitätsjournalismus, so wie ich ihn verstehe, muss die Menschen dazu befähigen, sich ihr eigenes Urteil zu bilden, um am politischen Prozess teilnehmen zu können.“

Erklären, was sie tun und warum, auch das wäre eine gute Idee für Journalisten. „Es ist kaum zu erfassen, wie viel Unverständnis und Unkenntnis über den journalistischen Beruf herrscht“, weiß di Lorenzo. Auch das Gespräch müsse man suchen. „Wir Journalisten sollten nicht mit den Hetzern, aber mit den Skeptikern sprechen, wir sollten die Zweifler mit Transparenz und Argumenten überzeugen.“

Wäre das nicht verlorene Liebesmüh? Wer einmal „Lügenpresse!“ ruft, ist der noch zu retten? Giovanni di Lorenzo bleibt Optimist: „Das gilt vermutlich für einen Teil der Menschen, vielleicht auch für einen großen Teil – aber nicht für alle.“