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„Niemand denkt an uns alte Leute“

Das Leben auf dem Land wird vor allem für Senioren immer schwieriger. Brigitte Gräbenitz aus Krögis ist ein Beispiel.

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© Claudia Hübschmann

Von Jürgen Müller

Käbschütztal. Sie ist 81 Jahre alt, und genau so lange wohnt Brigitte Gräbenitz in Krögis, ist also eine „Ureinwohnerin“. In ihrem Ort, in ihrer Gemeinde hat sie sich jahrzehntelang wohlgefühlt. Doch in den letzten Jahren immer weniger. „Ich erinnere mich an die Repressalien während der Nazizeit und an die Kriegsgeschehnisse, als Tieffliegerangriffe und Granateneinschläge auch unseren Ort trafen. Die Schwierigkeiten der Nachkriegsjahre, die unsere Bürger voller Elan und ohne eine Entlohnung zu erwarten überwinden mussten, haben sich in mein Gedächtnis eingeprägt. Die Zeit des Aufbaus hat mich mit meinem Dorf verbunden“, sagt sie.

Doch davon bleibt immer weniger. Freibad, Zahnarzt, Landambulanz, Gaststätten, Tankstelle, Klempner, Bäcker, Bücherei, Radio- und Fernsehreparatur, Tierarzt, Gemeindeschwester – dies und vieles andere mehr ist weg. „Jetzt haben sie uns auch noch den Sparkassenautomaten weggenommen“, sagt die 81-Jährige, die an zwei Stöcken geht. Nach dem Tod ihres Mannes vor sieben Jahren hat sie sich ein Elektromobil zugelegt. „Doch ohne die Hilfe meiner Söhne, die zum Glück ebenfalls in der Gemeinde wohnen, könnte ich nicht in meiner gewohnten Umgebung bleiben“, sagt sie. Die fahren sie zum Arzt, zum Einkaufen oder zum Geldholen nach Meißen oder Nossen. Eine Busfahrt nach Meißen oder Nossen kostet fünf Euro, fürs Taxi sogar 25 Euro. Auch das Zuschicken von Kontoauszügen kostet 1,60 Euro. „Keiner fragt nach der finanziellen Situation der Bürger. Ich würde gern in meiner gewohnten Umgebung bleiben, doch uns alten Leuten wird es immer schwerer gemacht. An uns denkt keiner, wir sind das fünfte Rad am Wagen“, sagt Brigitte Gräbenitz. Aber auch für junge Leute gäbe es keine Anreize, auf das Dorf zu ziehen, kaum Freizeitmöglichkeiten. Mit der „Kugel‘“ wurde die letzte Gaststätte samt Bowlingbahn dichtgemacht, den Jugendlichen der Klub in Görna genommen, sagt sie.

Freibad schon lange zu

Das Freibad schloss sogar schon kurz nach der Wende. „Es bestand 25 Jahre, meine Kinder sind jahrelang dort baden gegangen. Nie haben sie irgendwelche gesundheitliche Schäden gehabt. Nach der Wende hieß es plötzlich, das Wasser müsse Trinkwasserqualität haben. Das war doch nur ein Vorwand, um das Bad schließen zu können. Alles muss sich rechnen. Es geht nur noch ums Geld, nicht mehr um die Menschen“, sagt die Ur-Krögiserin, die Facharbeiterin für Datenverarbeitung gelernt hat und auch fünf Jahre in der Gemeindeverwaltung in Krögis arbeitete.

Hoffnung, dass es besser wird, hat sie keine, im Gegenteil. „Jetzt muss ich auch noch den Bankrott meiner Gemeinde erleben. Das schmerzt eine Ureinwohnerin wie mich wirklich sehr und auch viele andere Bürger“, sagt sie. Die Situation werde sich auch nicht verbessern, wenn die Gemeinde aufgeteilt und an andere Städte und Gemeinden angeschlossen würde. „Es ist doch absurd, wenn bankrotte Gemeinden an arme, verschuldete Städte angeschlossen werden, die völlig unterschiedliche Interessen haben. Glaubt wirklich jemand, dass sich der Bürgermeister einer Stadt für den Feuerlöschteich in Mauna interessiert“, fragt sie. Schon 2013 sei eine Zusammenlegung mit Meißen gescheitert. „Was hat sich denn seitdem verändert oder gar verbessert? Was ist in dieser kritischen Situation getan worden, damit die Gemeinde weiterexistieren kann? Hat unsere Gemeinde wiederum versagt, mit den verfügbaren Geldern sorgsam umzugehen? Gab es keine Kontrolle?“ Fragen über Fragen, auf die sie keine Antwort erhält. Sie fürchtet, dass die drei als Fusionspartner infrage kommenden Kommunen Meißen, Nossen und Klipphausen die Lebensqualität der Käbschütztaler weder verbessern wollten noch könnten. „Die haben doch selbst genügend eigene Probleme am Hals.“

Nein, die Gemeinde Käbschütztal sei in den 21 Jahren ihres Bestehens nie richtig zusammengewachsen. Und dennoch hält Brigitte Gräbenitz eine Eigenständigkeit für die beste aller Varianten. Dazu müsse es allerdings einen Sonderfonds zur Rettung des ländlichen Raumes geben.

Am Dienstag wird sich der Gemeinderat erneut mit der Zukunft von Käbschütztal beschäftigen. Brigitte Gräbenitz hofft, dass die Gemeinderäte eine kluge Entscheidung im Sinne der Bürger treffen. Groß ist die Hoffnung nicht. „Vermutlich kämpfe ich hier mit ein paar anderen gegen Windmühlen wie einst Don Quichotte. Ich befürchte, dass sich nach einer Fusion gar keiner mehr um uns alte Leute kümmert“, sagt sie.