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Nichts Schöneres

Die Schauspielerin Helga Werner feiert ihr 50-jähriges Bühnenjubiläum. Der Beruf ist die Rolle ihres Lebens.

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© Sven Ellger

Von Nadja Laske

Das Programmheft hat Sammlerwert. Für 9.90 Euro ist es im Internet zu haben: „Maxie Wander: Guten Morgen, du Schöne (II) Premiere am 22. Februar 1982 am Staatstheater Dresden – eine Erinnerung in gutem Zustand mit leichten Spuren“. Die Spur reicht bis ins Heute. Am Montag feiert Helga Werner ihr 50-jähriges Bühnenjubiläum. „Auf den Tag genau“, sagt sie. Aus diesem Anlass wird sie, ähnlich wie damals im Schauspielhaus, aus Maxie Wanders Protokollen lesen. Aus Frauenleben, die einst Tausende Leser in Ost und West bewegten. „Auch heute berühren sie noch“, sagt Helga Werner.

Ein bisschen fassungslos schaut die Schauspielerin aus, wenn sie auf den Anlass der neuerlichen Lesung zu sprechen kommt. Fünfzig Jahre. An ein und demselben Haus. Zwar begann ihr Engagement in Dresden genau genommen vor 46 Jahren. „Aber ich habe schon während meines Leipziger Studiums hier gespielt“, sagt sie. Im Schauspielstudio probierten sich wie auch heute noch Studenten auf großer Bühne aus und lernten den Theaterbetrieb kennen. So auch Helga Werner.

„Am 5. Juni 1967 hatte ich im Kleinen Haus meine erste Premiere.“ Da war sie 20 Jahre alt und spielte im italienischen Volksstück „Liolà“. „Wir mussten in einer Szene Mandeln knacken, es gab aber keine Mandeln mit Schale zu kaufen.“ Sie zu organisieren, gelang schließlich über komplizierte Wege. „Ich erinnere mich, wie die gestandene Lotte Meyer vor der Premiere fragte, ob ich aufgeregt sei.“ Helga Werner antwortete, sie könne kaum erwarten, dass es endlich losgeht. Da seufzte die ältere Kollegin sinngemäß: So herrlich frei von der Last der Erwartungen sei das junge Blut.

Lampenfieber und Selbstzweifel lernte Helga Werner im Laufe ihrer Karriere kennen, wie die meisten Künstler. „Aber ich würde diesen Beruf wieder wählen“, sagt sie. Mit allem, was dazugehörte: Der Wechsel vom Theater Freiberg nach Dresden, der erste Vertrag über drei Spielzeiten, später die unbefristete Anstellung als Endstation Dresden. „Sie sollte uns Künstlern soziale Sicherheit bringen. Hat sie auch. Doch fortan bewegte sich nichts mehr, jeder blieb, wo er war. Es gab keine Fluktuation mehr an den großen Theatern.“

Von Zimmer zu Zimmer war Helga Werner in der ersten Zeit ihres Engagements gezogen, dann bekam sie eine kleine Zweizimmerwohnung in unmittelbarer Theaternähe. Maxstraße, Ofenheizung, fließend Wasser und Toilette auf dem Gang. Aber schön. Sie war glücklich in ihrem Reich. Viele Kollegen trafen sich da. „Als im gleichen Haus eine etwas größere Wohnung frei wurde, habe ich Antrag auf Umzug gestellt“, erzählt sie. Ihren Wunsch musste sie hochoffiziell begründen. „Ich habe gesagt, dass ich dann ein Klavier stellen könnte.“ Den verständnislosen Blick des Wohnraumvergabe-Verantwortlichen wird sie nie vergessen. Er sagte, andere Familien seien froh, wenn sie zwei Zimmer bewohnen könnten, und legte fest: „Ein Klavier ist nicht nötig.“

Dringend notwendig wurde später eine Kinderfrau, als Helga Werner und ihr Mann und Schauspielkollege Albrecht Goette zeitgleich zu Proben und Vorstellungen gingen und ihre beiden Kinder versorgt sein mussten. „Wir hatten aber mehr Zeit zwischen den Produktionen, als das heute üblich ist.“ Vor ihren jungen Kolleginnen und Kollegen mit Kindern hat Helga Werner Respekt.

Nur mit Mühe legt sich die 70-Jährige auf Lieblingsrollen fest. Es waren so viele, und fast alle hat sie geliebt. An die Maria Callas denkt sie besonders gern, an die Elisabeth in „Don Carlos“ oder an „Nichts Schöneres“, was Kult wurde. Und wenn „Die Ritter der Tafelrunde“ in der Erinnerung auftauchen, gehen ihr diese Gedanken nahe. In der Rolle der Jeschute erlebte die Schauspielerin den Wandel der Rezeption des Stückes mit. Dessen Uraufführung traf zunächst auf Publikum in Vorwendestimmung. Wenn im ersten Akt all die alt und grau gewordenen Ritter an der Tafel saßen und ihre verfahrene Lage offensichtlich war, drängten sich die Parallelen auf. „Wir spürten eine solch starke Emotionalität, die Menschen sahen: Das ist der Zustand unserer Führungsriege und dieses Landes.“ Nach der Wende indes haben die Zuschauer sehr emotional auf die Frage nach Hoffnung und Zukunft reagiert.

Neue Regisseure und Kollegen brachten neue Arbeitsweisen mit. Über manche hat sich Helga Werner gewundert, andere als Bereicherung empfunden. Bis zu ihrem 66. Lebensjahr blieb sie im Ensemble und spielt auch weiterhin als Gast am Staatsschauspiel. Daneben bleibt Raum für Märchenlesungen in der Yenidze und Auftritte am Hoftheater, für die Enkelkinder, alte Schulfreundinnen und für Reisen. Am liebsten nach Italien, wo Wein und Essen unschlagbar sind. Zeit für sich selbst.

Die Lesung zum Jubiläum ist leider ausverkauft.