Merken

Nichts als Ärger mit dem Mieter

Jahrzehntelang ließ Familie Richter aus Böhla einen Bekannten kostenlos in ihrem Haus wohnen. Jetzt verlangt er eine Abfindung von über 22 000 Euro.

Teilen
Folgen
© Anne Hübschmann

Von Jürgen Müller

Isolde und Andreas Richter aus Böhla bei Ortrand könnten eigentlich ein schönes und zufriedenes Leben haben. Sie wohnen im eigenen Haus in ruhiger und idyllischer Lage. Doch seit einiger Zeit ist es mit der Ruhe und Idylle vorbei. Sie werden mit Klagen überzogen. „Wir werden kriminalisiert, fühlen uns hilflos und ausgeliefert“, sagt Andreas Richter. Letztlich würden er und seine Frau für ihre Hilfsbereitschaft bestraft.

Viele Jahre lang haben sie in ihrem Haus, das sie seit 1988 besitzen und in dem sie seit 1992 wohnen, einen Bekannten in einem Nebengebäude mietfrei wohnen lassen. Es war der Sohn der Lebensgefährtin von Isolde Richters Vater. Einen Mietvertrag gab es nicht, der Mann hat lediglich die Betriebskosten, also Strom und Wasser, gezahlt. Beziehungsweise dessen Mutter bis zu deren Tod. „Er hat nur den reinen Stromverbrauch bezahlt, eine Grundgebühr haben wir ihm nicht mal anteilig berechnet“, sagt der 55-jährige Andreas Richter. Doch dann wurde der Mieter krank, erlitt einen Schlaganfall, musste ins Krankenhaus. Nach einer Rehabilitation wohnte der Mann bei seinem Bruder und bei seiner Nichte, später bei seiner geschiedenen Frau. Im April 2014 habe der Sohn des Mannes die Wohnung ausgeräumt. Dann tauchte plötzlich die Stieftochter des Mannes, die sich 40 Jahre nicht um ihn gekümmert habe, auf dem Grundstück der Richters auf. Ohne Wissen und ohne Genehmigung der Grundstückseigentümer soll sie die Schlösser der Wohnungstür ausgetauscht haben. Kurz darauf flattern den Richters Strafanzeigen wegen Diebstahls und Körperverletzung ins Haus. Sie sollen Gegenstände aus der Wohnung gestohlen haben, beispielsweise Lampen, einen Dauerbrandofen, ein Waschbecken. „Alle diese Gegenstände gehören uns“, sagt Andreas Richter. Und sie sind noch an ihrem Platz, wie er bei einer Besichtigung zeigt. Auch eine Rüstung sollen er und seine Frau gestohlen haben. Die habe der Sohn des Mieters schon abgeholt, so der Böhlaer.

Isolde Richter wird zudem vorgeworfen, die Stieftochter geschlagen zu haben. Die 54-Jährige ist empört: „Ich habe die Frau aufgefordert, unser Grundstück, auf dem sie sich trotz Hausverbots aufhielt, zu verlassen und sie dabei an der Schulter herausgeschoben, aber nicht geschlagen“, sagt sie. Angeblich hatte die Stieftochter des Mieters Hämatome. Beim Arzt war sie jedoch nicht, auch Fotos von den angeblichen Verletzungen gibt es nicht. Beide Verfahren wurden mittlerweile von der Staatsanwaltschaft eingestellt.

Für die Richters ist klar, dass sie den ehemaligen Mieter nicht mehr in ihrem Haus leben lassen, zumal der gebrechlich ist, in der sehr einfachen Wohnung mit Ofenheizung und steilen Treppen nicht mehr allein zurecht kommen würde. Daraufhin kommt erneut ein Schreiben eines Großenhainer Rechtsanwalts. Der behauptet, dass es einen Mietvertrag gäbe und sein Mandant Anspruch darauf habe, weiter in dem Haus zu wohnen. Vorsorglich kündigt deshalb die Anwältin, die die Richters inzwischen haben, den Mietvertrag, den es gar nicht gibt. Doch der Anwalt der Gegenseite lehnt die Kündigung ab. Er fordert Schadensersatz, den er mit einer abenteuerlichen Rechnung aufmacht. Sein Mandant sei 74 Jahre alt, statistisch habe er noch 11,56 Jahre zu leben. Für jeden Monat fordert der Anwalt eine Abstandzahlung von 250 Euro, insgesamt 22 527 Euro .

Die Richters sind sprachlos. Sie wollen allem Ärger aus dem Weg gehen, bieten nun an, dass der Mann weiter in dem Haus wohnen könne, allerdings bei einer monatlichen Miete von 230 Euro plus 80 Euro Betriebskosten. Kurios: Der Anwalt der Gegenseite lehnt dies ab. Derjenige, der einst der Kündigung widersprach, kündigt jetzt selbst namens seines Mandanten. Die Begründung: Die Wohnung sei nicht nutzbar, unter anderem, weil sie „stromlos“ sei. Außerdem habe Herr Richter die Wohnungstür eingetreten und Fenster ausgebaut. Andreas Richter weiß nicht, was er sagen soll. Ja, er hat die Wohnungstür mit dem fremden Schloss öffnen lassen. „In dem Gebäude befindet sich unser Hauptwasserzähler. Den musste ich ablesen, außerdem musste der Druckminderer gewechselt werden“, sagt er. „Ich trete doch nicht meine eigene Wohnungstür ein“, sagt er.

Rechtsanwalt Michael Kling aus Großenhain, der die Gegenseite vertritt, findet die Forderung durchaus angemessen. Seit 1984 habe sein Mandant auf dem Grundstück gewohnt. Zwar räumt der Rechtsanwalt ein, dass es keinen schriftlichen Mietvertrag gebe, doch im Laufe der Zeit habe sich ein konkludenter, also ein stillschweigender Mietvertrag ergeben, sagt er. „Das sieht auch das Gericht so. Es geht davon aus, dass es einen faktischen Mietvertrag gibt“, sagt der Anwalt. Und er verweist auf Rechtssprechungen, wonach es bereits ausreicht, dass regelmäßig Betriebskosten gezahlt werden, um ein Mietverhältnis zu begründen. „Familie Richter hat Forderungen gestellt, die mit dem Mietverhältnis nichts zu tun haben. Deshalb haben wir den Mietvertrag gekündigt“, sagt er. Und räumt ein, dass es sicher ambitioniert sei, einem schwer kranken, 74 Jahre alten Mann, eine Lebenserwartung von noch gut elf Jahren zu prognostizieren, völlig von der Hand zu weisen, sei das aber nicht. „Unsere Forderung liegt nicht am unteren Rand, aber auch nicht am oberen“, sagt er.

„Aufgrund der zwischenzeitlich eingetretenen Umstände ist meinem Mandanten eine Fortsetzung des diesseits behaupteten Mietverhältnisses unzumutbar“, schreibt der Anwalt und fordert jetzt einen Schadensersatz von wiederum 22 527 Euro. Bis zum 26. Februar dieses Jahres sollten die Richters diese Summe an ihn als Inkassobevollmächtigten zahlen. Der Streitwert des Verfahrens erhöht sich von 2 900 auf jetzt über 22 000 Euro.

Es ist schon bemerkenswert, dass der Anwalt des Klägers dem Gericht zunächst schön renovierte Räume suggeriert, diese jetzt aber plötzlich unzumutbar seien für seinen Mandanten, obwohl sich an dem Zustand nichts geändert habe, so Richters neuer Anwalt Helmut Schwarz. Er hat beantragt, die Klage abzuweisen, nachdem ein Gütetermin am Amtsgericht Riesa gescheitert war. Nun gibt es eine neue Verhandlung. Der Horror nimmt für die Richters kein Ende. „Wir hatten in unserem ganzen Leben noch nichts mit Anwälten oder Gerichten zu tun. Und nun das, nur, weil wir etwas Gutes getan haben und den Mann hier jahrelang mietfrei wohnen ließen“, sagt Isolde Richter. „Die Klage dient nur dazu, auf unsere Kosten den Lebensunterhalt des Mannes und dessen Familie zu sichern“, sagt Andreas Richter.

Die Auseinandersetzung hat sie nicht nur Nerven, sondern auch Geld gekostet. Rund 1 300 Euro haben sie bisher schon für Anwälte und Gerichtskosten gezahlt. Und ein Ende ist nicht abzusehen. Nächster Verhandlungstermin am Amtsgericht Riesa ist der 1. September.