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Nicht ohne meinen Sohn

Ein Dresdner will sein Kind aus Nigeria zu sich holen – ein Unterfangen, das viel Kraft, Nerven und Geld kostet.

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© privat

Von Anna Hoben

Damals in Nigeria besaß Lars Janke ein Motorrad. Der kleine Prince mochte die Maschine; wenn sein Vater ihn hochhob und vorne auf den Lenker setzte, war der Junge glücklich. Es sind alltägliche kleine Momente, an die der 36-Jährige sich erinnert, wenn er an seinen Sohn in Nigeria denkt. Das letzte Mal hat er ihn 2011 gesehen, als er das afrikanische Land gen Deutschland verließ. Doch die Gedanken an ihn sind immerzu präsent.

Acht Jahre alt ist Prince mittlerweile. Auf dem Smartphone zeigt Janke Bilder vom letzten Geburtstag des Sohnes: ein ernst dreinschauender kleiner Junge, dünn, milchkaffeefarbene Haut. Vor einem Jahr ist Princes Mutter, Jankes Ex-Frau, überraschend gestorben. Seitdem versucht der Vater, seinen Sohn zu sich nach Deutschland zu holen. Und läuft dabei immer wieder gegen eine Wand.

In seiner Jugend sah alles danach aus, als würde Lars Janke Profi-Basketballer werden. Fast hätte es geklappt mit einem Sport-Stipendium in den USA. Stattdessen verschlug es den Dresdner nach Frankfurt. Schon in Dresden hatte er viel Kontakt mit afrikanischen Studenten gehabt. Nun wurde er Mitglied in einer nigerianischen Kirche. So kam es, dass er nach Nigeria reiste, einmal, zweimal. „Beim dritten Mal habe ich mich in das Land verliebt.“

Wieder zu Hause, überlegte Janke nicht lange. Er packte seine Sachen, kündigte seine Wohnung und flog mit 3 000 Euro in der Tasche nach Lagos. Das war im Jahr 2005. Hauswirtschaftlicher Assistent hatte er gelernt, doch eigentlich wollte er schon damals lieber einen sozialen Beruf ausüben. Vor allem aber wollte er nun: etwas Neues. Abenteuer. Ein fremdes Land entdecken. Ganz legal war dieses Abenteuer zunächst nicht; Janke reiste mit einem Touristenvisum in Nigeria ein – und einfach nicht mehr aus. „Mir hat’s gefallen“, sagt er lapidar. „Das Wetter war super, die Menschen waren freundlich und zuvorkommend.“

„Ich wollte nicht gehen“

In der nigerianischen Hauptstadt arbeitete er zunächst für den Pastor seiner Kirche. Er lernte eine Frau kennen, verliebte sich und zog bei ihrer Familie ein. Am 7. April 2006 heirateten sie. Zu neunt lebten sie fortan mit der ganzen Familie in einer Dreizimmerwohnung. Das klappte zunächst gut, dann irgendwann nicht mehr ganz so gut. Es gab Streitereien um Geld.

Lars Janke zog aus, hielt sich fortan mit Gelegenheitsjobs über Wasser: als Deutsch- und Informatiklehrer, in der Baubranche. Am 18. Oktober 2007 kam der gemeinsame Sohn per Kaiserschnitt zur Welt: Prince Ehikowosho Janke. Der Vater war bei der Geburt dabei. Die Eltern waren nun geschieden, seinen Sohn habe er aber regelmäßig gesehen, sagt Lars Janke. Auch, als er wieder in Deutschland lebte, habe er sich gekümmert. Zum Beweis zieht er Belege von Überweisungen aus dem Ordner, in dem er den Kampf um seinen Sohn dokumentiert hat. 5 500 Euro hat er in den letzten fünf Jahren nach Nigeria geschickt – in dem afrikanischen Land viel Geld.

Freiwillig war die Entscheidung auszureisen, damals nicht. Der Staat hatte mitbekommen, dass Janke sich nicht rechtens im Land aufhielt. „Ich wollte nicht gehen.“ Bei der Deutschen Botschaft beteuerte er gar, er würde seinen deutschen Pass aufgeben, um bleiben zu können. „Mein Lebensmittelpunkt war schließlich dort.“

Doch keine Chance. Im Juni 2011 flog er nach Deutschland. Vor seiner Abreise hatte er in Lagos eine neue Frau kennengelernt. Heute leben sie zusammen in Dresden, im Dezember 2012 wurde Hochzeit gefeiert. Jankes Frau Precious macht eine Ausbildung in der Hotellerie, er selbst arbeitet in einem städtischen Hort und steckt kurz vor seinem Abschluss als Erzieher. Sie haben einen kleinen Sohn, der bald zwei Jahre alt wird. Sie könnten eine perfekte Kleinfamilie sein. Doch einer fehlt: Jankes erster Sohn, der achtjährige Prince.

Nach dem unerwarteten Tod seiner Mutter im Mai 2015 kam er bei einer Tante in einer Stadt im Norden Nigerias unter. Das Problem: Sie ist noch Studentin und hat eigentlich gar keine Zeit, sich um das Kind zu kümmern. Manchmal passen Cousinen und Cousins auf Prince auf, die selber nur wenige Jahre älter sind als er. Dass seine Mutter verstorben ist, weiß Prince nicht. Irgendwann hörte der Junge auf zu fragen. „Ich will es ihm persönlich beibringen, nicht am Telefon“, sagt Janke. Wenn sein Sohn dann zum Vater im 7 000 Kilometer entfernten Dresden sagt, „ich will zu dir kommen“, bricht ihm das Herz. Das ist das andere Problem: Die Verwandten wollen Prince nicht herausgeben. Ist es, weil sie hoffen, einen finanziellen Vorteil aus der Sache zu schlagen? Lars Janke weiß es nicht. Doch er kennt diese Seite von Nigeria. Die Seite, auf der sich Dinge vor allem mit Geld regeln lassen.

Eine Zukunft in Deutschland

Dabei sind die Fakten eindeutig. Lars Janke ist als Vater auf Princes Geburtsurkunde eingetragen, schwarz auf weiß. Nach nigerianischem Recht hat er das Sorgerecht. Nach deutschem Recht hätte Prince die doppelte Staatsbürgerschaft. Und unabhängig von juristischen Feinheiten ist sich Janke sicher: „In Deutschland hat er eine Zukunft, dort nicht.“

Das vergangene Jahr war für ihn ein Marsch durch die Institutionen. In einem Brief vom Auswärtigen Amt las er im September 2015: „Wegen der Unzuverlässigkeit des nigerianischen Urkundenwesens wurde die Legalisation nigerianischer Urkunden bereits vor über 15 Jahren eingestellt.“ Damit er einen Pass für Prince beantragen kann, müssen zunächst die Dokumente geprüft werden, die Janke vorgelegt hatte: Geburtsurkunde, Heiratsurkunde, Sterbeurkunde der Mutter. Auf das Ergebnis der Urkundenprüfung hat Janke bis vor einer Woche gewartet – fast 13 Monate. 1 000 Euro hat ihn dieser Schritt gekostet. Immerhin, die Prüfung ist jetzt durch, der Pass abholbereit. Ein Lichtblick.

Bei der Herausgabe des Sohnes könne das Generalkonsulat ihn nur in engen Grenzen unterstützen, heißt es weiter aus dem Auswärtigen Amt. „Verweigert die Freundin der verstorbenen Kindsmutter oder die Familie Ihres Sohnes die Herausgabe, können Sie diese nur mithilfe der nigerianischen Behörden und gegebenenfalls der Gerichte durchsetzen.“

Wann er seinen Sohn in die Arme schließen kann – Lars Janke weiß es nicht. Am Ende wird er hinfliegen müssen, um möglicherweise vor Gericht auszusagen und ihn abzuholen. Das alles kostet viel Geld, das Janke nicht hat. 2 500 Euro hat er von einer Stiftung bekommen, 500 vom Landeskirchenverband, 500 von der Diakonie. Ein guter Anfang. Unterstützung fand er auch beim sächsischen Sozialministerium. Er wartet und bangt und hofft. Bei seinem Job im Hort hat er mit Kindern zu tun, die so alt sind wie Prince. Viele kleine Stiche, so fühlt sich das an, Tag für Tag.

Wer Kontakt zu Lars Janke aufnehmen möchte oder ihn in irgendeiner Form unterstützen will, kann ihm schreiben an folgende E-Mail-Adresse: [email protected]