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Neustart mit Regina

Die Pension im Gimmlitztal hat einen neuen Betreiber. Der versucht, die Vergangenheit mit Schlager zu vertreiben.

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© Egbert Kamprath

Von Andrea Schawe

Reichenau. Die Schuhe müssen weg. Auf der Wiese im Festzelt hinter der Pension tanzt es sich nicht so gut mit hohen Hacken. Gleich beim ersten Lied zieht Regina Thoss die störenden Dinger aus. Dann singt die 70-Jährige ihre Hits aus früheren Tagen. Sie ist der Stargast beim Schlagerfest im Gimmlitztal. Die Leute an den Bierbänken und -tischen kennen fast jede Zeile. Draußen zirpen die Grillen, als die Sonne hinter den großen Nadelbäumen verschwindet.

Etwa 40 Leute sind an diesem Sonnabend zum ersten Weinputten-Sommerfest ins Gimmlitztal gekommen. In dem kleinen Ort im Osterzgebirge kennt man sich, fast alle Gäste sind Freunde, Bekannte, Nachbarn von Jens Braun. Er ist der neue Betreiber der „Sommerfrische Illingmühle – Die Weinputtenpension“, die mal Ferienheim der Post war – und Tatort.

Im November 2013 war im Keller des Hauses der 59-jährige Unternehmensberater Wojciech S. aus Hannover zu Tode gekommen. Ob nun durch Mord, Tötung auf Verlangen oder aber durch Selbstmord – das ist juristisch bis heute nicht geklärt. Erst im April hob der Bundesgerichtshof das Urteil des Landgerichtes Dresden vom Frühjahr 2015 auf. Damals war der heute 58-jährige Hartmannsdorfer Detlev G. zu acht Jahren und sechs Monaten Haft wegen Mordes zur Befriedigung des Geschlechtstriebes verurteilt worden. Nun muss das Landgericht den Fall erneut verhandeln. Detlev G. sitzt nach wie vor in Untersuchungshaft. Selbst ein Freispruch für den Mann, der gestand, Wojciech S. erstochen, seine Leiche zerstückelt und anschließend im Garten begraben zu haben, wäre nun theoretisch wieder möglich.

Teilweise modernisiert

„Lassen Sie uns vergessen, was Schreckliches passiert ist“, sagt Jens Braun zu Beginn des Sommerfestes, mit dem die Wiedereröffnung des Geschäfts gefeiert wird. Er möchte das Haus „zu einem seriösen Ort machen, an den die Leute gerne und nicht nur zum Gaffen kommen“. Alle sollten am Wochenende zu ihm kommen, zum Kaffeetrinken und hausgebackenen Kuchen essen. Jeden Sonnabend und Sonntagnachmittag öffnet Braun seit Februar dieses Jahres das Café. Auch an dem 150 Jahre alten Haus hat er einiges gemacht. Die Pension wurde teilweise modernisiert: Neue Fenster, einige Zimmer bekamen neues Mobiliar, viel DDR-Charme, eine Übernachtung kostet ab 17 Euro, mit eigenem Bad 22 Euro. Im nächsten Jahr soll dann noch ein neuer Außenputz folgen. Am Eingang hängt ein handgeschriebener Zettel: „Alle Zimmer belegt bis 30.8.“

Braun soll die Pension mit 6 000 Quadratmetern Land im Herbst 2015 vom Vorbesitzer, dem Lebenspartner von Detlef G., gekauft haben. Dass das Haus leer stand, habe er aus der Zeitung erfahren. Gastwirt ist der 52-Jährige seitdem im Nebenerwerb, sagt er. Fragt man die Helfer beim Sommerfest nach dem Chef, nennen alle den Namen des Vorbesitzers. Auch er feiert mit, organisiert den Einlass und kümmert sich um die Künstler.

Vor Regina Thoss hat die Dresdnerin Mandy Schwarz den Gästen als Andrea-Berg-Double in Lederkorsage und Minirock eingeheizt. Sie soll doch zu Silvester wiederkommen, sagt Jens Braun. Leider kann sie nicht, sie spielt schon zwei Shows. „Dann nächstes Jahr.“ Silvester hatten ein paar Anwohner aus den Gimmlitztal immer in der Pension gefeiert.

Später am Abend spielt noch die Band G.rockt aus dem Erzgebirge. Eigentlich sollte auch Monika Herz mit ihrem Sohn auftreten, aber die sagte aus unbekannten Gründen kurzfristig ab.

Den Gästen gefällt es. Sie singen die deutschen Texte mit, schunkeln hin und her und klatschen im Takt. Es gibt Bier aus der Rechenberger Brauerei, Bratwurst vom Grill, Bockwurst und Soljanka. Die Vergangenheit muss man auch irgendwann mal abhaken, heißt es bei der Feier. „Die Leute hier haben genug gelitten.“