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Neues Zuhause im Flüchtlingsheim

In Pappritz leben Kinder aus Afghanistan, Eritrea und Deutschland. Der Heimleiter über Chancen und Probleme.

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© Sven Ellger

Von Julia Vollmer

Es steht unentschieden. Immer wieder kickt einer der beiden Jungs einen Ball ins gegnerische Tor. Taye und Leon starren konzentriert auf den Kickertisch. Sie fahren sich mal an, mal lachen sie zusammen. Zwei Jungs, die Fußball lieben. Zwei Jungs, die gleichzeitig unterschiedlicher kaum sein könnten und die trotzdem so vieles eint. Der neunjährige Taye kommt aus Eritrea und ist nach Dresden geflüchtet. Kevin aus Deutschland ist mit 14 Jahren schon ein Teenager, sieht aber wesentlich jünger aus. Er kann nicht bei seiner Familie leben, da es dort viele Probleme gibt. Beide haben im Kinder- und Jugendhaus in Pappritz ein neues Zuhause gefunden. Betreut werden sie von Heimleiter Sven Bayer und seinem Team. Das Heim eröffnete im November und ist eine Einrichtung der Arbeiterwohlfahrt (Awo).

Kevin und Taye, die eigentlich anders heißen, wohnen in Pappritz zusammen mit sieben anderen Kindern und Jugendlichen. Eine bunte Mischung. Vier Kinder stammen aus Afghanistan, Taye und seine Schwester aus Eritrea und drei Kinder aus Deutschland. Sven Bayer ist Heimleiter und Ersatzpapa in einem. „Wir haben hier die ganz normalen Probleme, wie bei allen Kindern und Teenies“, erzählt er mit einem Schmunzeln. Früh am Morgen vor der Schule müssen die Kinder aus den Betten geholt werden. Auf Aufräumen und Hausaufgaben haben sie manchmal einfach keine Lust. Und Spielen ist am Abend meistens spannender als Schlafengehen. Welche Eltern kennen das nicht?

„Ich habe das Glück, in meinem Team nur ausgebildete Erzieher und Pädagogen zu haben. Sie besitzen das Feingefühl, mit schwierigen Situationen umzugehen“, erzählt Bayer. Erst mal müssen die Betreuer das Vertrauen der Kinder gewinnen. Die Flucht aus ihrer Heimat hat sie traumatisiert, die Trennung von den Eltern ist einschneidend. Sich eine Gute-Nacht-Geschichte vorlesen zu lassen, ist etwas sehr Intimes, dazu braucht es Nähe. Im täglichen Umgang ist auch der Respekt von den Erwachsenen wichtig. Etwas, das nicht nur die Jugendlichen aus Afghanistan und Eritrea oft noch lernen müssen, so der Heimleiter. Doch das wird immer besser. Richtig gut läuft es schon in der Schule. Sie besuchen alle eine DAZ-, eine Deutsch als Zweitsprache-Klasse. Verteilt sind die Schulen über die ganze Stadt. Die Grundschule Johanna, die Schiller-Oberschule und das Berufsschulzentrum für Gesundheit. Mit welchem Bus muss ich fahren? Wie funktioniert das mit dem Umsteigen? Neuland für die Kinder in der unbekannten Stadt. Kevin, Taye und die anderen wurden in den ersten Wochen von ihren Betreuern zum Unterricht begleitet, inzwischen werden sie von Mal zu Mal selbstständiger und fahren allein. Nach Schulschluss stehen Nachhilfeunterricht und Hausaufgaben an. Die Betreuer werden dabei von Ehrenamtlern vom Netzwerk Willkommen im Hochland unterstützt. Für Gespräche über Behördengänge oder Regeln im Haus holt sich Sven Bayer die Hilfe eines Dolmetschers.

Hilfe wünscht er sich auch bei einem anderen Thema, das ihn sehr beschäftigt. Sobald seine Bewohner 18 Jahre alt werden, müssen sie aus der Einrichtung ausziehen. So lautet das Gesetz für alle Flüchtlingsunterkünfte für Minderjährige. Doch diese starren Regeln sind in der Praxis oft verheerend. Die meisten kommen erst, wenn sie 16 oder 17 sind. Kaum haben sie sich im neuen Zuhause eingefunden, gehen zur Schule, haben Freunde gefunden, müssen sie wieder gehen. Oft in eine andere Stadt oder in eine Sammelunterkunft. „Dieser Abbruch ist furchtbar“, so Bayer. Manche Jugendlichen geraten dadurch auf die schiefe Bahn. Hier wünscht sich Bayer individuellere Lösungen, zum Beispiel eine Verlängerung bis zum 21. Lebensjahr. Er versucht, diese Probleme mit vielen Gesprächen mit seinen Schützlingen aufzufangen. Oft bei einem guten Essen. Hier wird bunt durcheinandergeredet und langsam bekommen alle auch mehr Lust auf die Gerichte aus den verschiedenen Heimatländern. „Am Anfang waren die Mahlzeiten eher arabisch dominiert, jetzt wird es bunter“, so Bayer. In Öl muss es allerdings für viele schwimmen, selbst das Spiegelei wird frittiert, erzählt er grinsend.