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Neues Schulfach: Trockenschwimmen

Hunderte Grundschüler in Dresden lernen derzeit am Beckenrand, wie man sich über Wasser hält. Woran liegt’s?

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© Jörn Haufe

Von Sandro Rahrisch

Badehose, Kappe, Latschen – Emil ist bereit für seine allererste Schwimmstunde. Weiter als bis zum Beckenrand kommt der Zweitklässler aber nicht. Die Kinder, die sich noch vor wenigen Minuten aufs Baden in der Schwimmhalle in der Freiberger Straße gefreut haben, werden zwei Stunden lang mit Trockenübungen beschäftigt. Mit Wasser kommen sie an diesem Tag allenfalls unter der Dusche in Berührung. Dann geht es zurück in die Grundschule.

Seit Schuljahresbeginn fällt der Schwimmunterricht für viele Dresdner Grundschüler an der Freiberger Straße ganz aus, oder er findet nur alle zwei Wochen statt. Einige Klassen sind sogar zur Schwimmhalle gefahren worden und mussten wieder kehrtmachen, wie Eltern berichten. Der Grund für den trockenen Start ins Schuljahr: Es fehlen Schwimmlehrer. Ein Mitarbeiter sei auf längere Zeit erkrankt, ein weiterer kurzfristig, sagt eine Sprecherin des Kultusministeriums auf SZ-Anfrage. Ersatz gebe es bislang nicht.

Der siebenjährige Emil ist enttäuscht, dass er nur aufs Wasser schauen darf. Er und seine Mitschüler hatten sich gefreut, wenigstens für zwei Stunden in der Schwimmhalle statt im Klassenzimmer lernen zu dürfen. Mehr wütend als enttäuscht ist Mutter Andrea. „Es ist eine Frechheit hoch zehn, dass die Kinder zur Halle gefahren werden, sich umziehen sollen und dann gesagt bekommen, dass sie nicht ins Wasser dürfen“, sagt die Elternvertreterin der 15. Grundschule. Auch der inzwischen zweiwöchige Unterricht im Wechsel mit anderen Klassen sei kein Dauerzustand. Schließlich steht Schwimmen nur in der zweiten Klasse im Lehrplan. Immerhin: Inzwischen werden die Schüler gar nicht erst zur Halle gefahren, wenn bereits feststeht, dass der Unterricht sowieso ausfällt.

Eine Woche lang telefoniert die Mutter hin und her. Die Bildungsagentur hätte ihr zunächst mitgeteilt, dass die Arbeitsverträge für neue Schwimmlehrer noch nicht vom Personalrat unterschrieben wären. Später hieß es, das Kultusministerium habe den Stellenplan noch nicht genehmigt. Das Ergebnis ist am Ende egal: Bis heute können Hunderte Dresdner Grundschüler nicht so schwimmen, wie es im Lehrplan steht. Insgesamt nutzen 26 Schulen die Schwimmhalle im Zentrum, teilt der Bäderbetrieb mit. Die Schülerzahl sei so stark gestiegen, dass die Zeiten fürs Schulschwimmen in diesem Jahr noch einmal ausgedehnt werden mussten.

Lange soll der Schwimmunterricht an der Freiberger Straße nicht mehr eingeschränkt sein, sagt das Kultusministerium. Die Bildungsagentur habe bereits angefangen, eine Vertretung für den langzeiterkrankten Schwimmlehrer zu organisieren. Stimmt der Lehrerpersonalrat zu, wird voraussichtlich ab der kommenden Woche, spätestens übernächste Woche wieder regulär Schwimmunterricht für die Kinder stattfinden, so die Sprecherin.

Gefahr für Flüchtlingskinder

Eigentlich nimmt Sachsen eine Vorreiterrolle beim Schwimmunterricht ein – wenn alles nach Plan läuft. Es ist das einzige Bundesland, in dem Kindern schon in der zweiten Klasse beigebracht wird, sich über Wasser zu halten. Beim Schwimmabzeichen „Seepferdchen“ müssen die Schüler auf einer Länge von 25 Metern schwimmen können. Der Schulträger, also die Stadt Dresden, übernimmt alle Kosten, die anfallen. Dazu gehören der Transport der Kinder zum Schwimmbad, die Bezahlung der Schwimmbahnen und die Eintrittsgelder. Mahnende Worte zum Unterrichtsausfall kommen nicht nur von den Eltern der betroffenen Kinder.

Die Dresdner Wasserwacht warnt vor Lücken im Schwimmunterricht. In den Freibädern seien Rettungsschwimmer im Einsatz, Nichtschwimmer würden besonders beobachtet, sagt Leiter Martin Zawesky. Aber Gartenteiche, Swimmingpools und sogar Regentonnen könnten ebenfalls zur Todesfalle werden. Auch die Kiesgruben in Leuben und Zschieren seien unbewacht. In beiden Seen ist das Baden verboten – wenngleich regelmäßig dagegen verstoßen wird. In Leuben kam erst im Juli ein 61-Jähriger ums Leben. Im Juni wäre ein Flüchtling fast ertrunken. In ganz Sachsen gab es im vergangenen Jahr 99 Wasserrettungseinsätze, so eine Sprecherin des Roten Kreuzes.

Und die Familien seien auf den Unterricht angewiesen, sagt Zawesky. Denn die Möglichkeiten, sich privat um Schwimmstunden zu kümmern, seien in Dresden stark eingeschränkt. „Es gibt zu wenige Schwimmhallen. Und die vorhandenen müssen unter Schulen, Vereinen und Freizeitschwimmern aufgeteilt werden.“ So könnte das Rote Kreuz derzeit kein Kinderschwimmen anbieten. Private Schwimmschulen seien in einer ähnlichen Lage.

Emil kann zwar bereits seine Bahnen ziehen. „Aber an den Neustädter Grundschulen ist der Anteil an Flüchtlingskindern besonders hoch, und viele von ihnen können noch nicht schwimmen“, sagt Mutter Andrea.