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Neuer Chefarzt erweitert Drogentherapie

In der Fachklinik Heidehof startet ein Projekt für suchtkranke Eltern mit ihren Kindern.

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© Norbert Millauer

Von Ulrike Keller

Weinböhla. Zug um Zug ins neue Leben. Zielgerichtet aus der Sucht heraus. Darum geht es in der Weinböhlaer Fachklinik Heidehof. Beim Weichenstellen hilft ganz maßgeblich Sven Kaanen, seit knapp einem halben Jahr neuer Chefarzt am Haus. Seinen weißen Kittel lässt er dabei so oft wie möglich im Schrank. Auf Augenhöhe will er den Menschen in der Klinik begegnen. Menschen, die in Abhängigkeit geraten sind von Alkohol, Medikamenten und Drogen wie Crystal. Nach der körperlichen Entgiftung im Krankenhaus dient die Behandlung hier der dauerhaften Stabilisierung. In der Gesprächstherapie legt Sven Kaanen großen Wert auf menschliche Nähe, Wertschätzung und eine vertrauensvolle Beziehung zwischen Arzt und Patient.

Für bis zu 160 Suchtkranke trägt er in Weinböhla die medizinische Verantwortung. So viele Betten hat die Einrichtung. Deutlich mehr als das Asklepios-Fachklinikum in Wiesen bei Zwickau. Dort behandelte der 50-Jährige in den vergangenen fünf Jahren Spiel- und Mediensüchtige. Für seinen Wechsel in den Weinböhlaer Heidehof nennt er gleich mehrere Beweggründe. Die Nähe zu seinen erwachsenen Kindern in Dresden, die Nähe zur Familie seiner Frau in Bautzen. Der Wunsch, wieder mehr mit Drogenpatienten arbeiten zu können. Und auch ein Pilotprojekt, das Sven Kaanen als Novum in ganz in Mitteldeutschland herausstellt. Eine Therapie für Drogeneltern, die erstmals auch deren Nachwuchs einschließt.

„Bisher durften Kinder als Begleitperson zwar mit in der Klinik sein, aber das gestörte Beziehungsmuster zwischen dem nicht erziehungsfähigen Elternteil und dem Kind wurde nicht in der Therapie thematisiert“, erklärt Sven Kaanen. So seien Drogeneltern zum Beispiel dafür bekannt, mehr zu bestrafen und ihrem Kind wenig Interesse zu schenken. Das wiederum könnten die Kinder nicht kompensieren. Zumal sie oft schon mit organischen Schäden zur Welt kommen.

Seit vielen Monaten wird das Projekt bereits in der Fachklinik Heidehof vorbereitet, Sven Kaanen darf es mit Leben erfüllen und voraussichtlich ab Juli mit den ersten Müttern und Kindern starten. Für sie werden dann ständig Mitarbeiter der Dresdner Stadtmission vor Ort sein und die Erwachsenen von morgens bis abends in alltäglichen Situationen unterstützen: Wie das Kind morgens zum Aufstehen zu bewegen ist, wenn es nicht will. Wie sich ein gesundes Frühstück zubereiten lässt ... „Ziel ist das bewusste Erleben der Elternschaft, das Starkmachen und Zeigen ‚Du kannst das!‘“, sagt Sven Kaanen. Während die Mutter oder der Vater Therapie hat, betreuen die Fachleute das Kind in einer kleinen sozialpädagogisch geführten Kita auf dem Gelände – diese wird gerade noch eingerichtet. Dort schauen die Mitarbeiter auf den Förderbedarf des kleinen Menschen und gehen individuell darauf ein.

Das Projekt liegt Sven Kaanen nicht nur am Herzen, weil er selbst Vater von fünf Kindern ist. Es bedeutet ihm auch deshalb viel, weil er es als Prävention im besten Sinne versteht. Und in diese investiert er seit Jahren jede freie Minute seiner Zeit, auch Freizeit. Denn als Vorstandsmitglied der Gesellschaft gegen Alkohol- und Drogengefahren Sachsen e.V., kurz GAD Sachsen, hat er in den vergangenen Jahren schon Hunderte Veranstaltungen abgehalten. In Schulen, Betrieben, Vereinen. Stets honorarfrei. Immer mit Betroffenen, die von ihren Erfahrungen berichten. Sonst bringe es ohnehin nicht viel, ist er überzeugt.

Denn das Problem, gerade auch hinsichtlich Crystal, sieht er nicht im Entferntesten gebannt. Die Zahl der Ratsuchenden in Sachsens Suchtberatungsstellen steige nach wie vor, wenn auch zuletzt nicht mehr um 42 Prozent wie von 2012 auf 2013. Den scheinbaren Rückgang an Hilfebedarf erklärt er schlicht damit, dass die Suchtberatungsstellen gar nicht mehr leisten können. Erst bei tatsächlich sinkenden Zahlen würde das überlastete Hilfesystem wieder entlastet. Ein für ihn ganz und gar alarmierendes Zeichen: Das Einstiegsalter für Crystal liegt inzwischen bei unter 13 Jahren. Perspektivisch schwebt ihm daher vor, an den Schulen gezielt die Jugendlichen im Erkennen von Sucht auszubilden. Ihnen will er vermitteln, wo es überall professionelle Unterstützung gibt. Damit sich junge Leute künftig schnell an richtiger Stelle Hilfe holen können.