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Neue Zahlenspiele zum Mindestlohn

Kellner, Friseure, Bäcker: Eine Studie sagt, dass Zehntausende in Sachsen ihre Jobs verlieren könnten.

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© Zeichnung: Harm Bengen

Von Georg Moeritz

Dresden. Professor Ronnie Schöb ist ein Gegner des Mindestlohns – seit Jahren veröffentlicht er Zahlen über drohende Arbeitsplatzverluste. Nun hat er seine Berechnungen auf sächsische Landkreise angewandt, im Auftrag von Wirtschaftsminister Sven Morlok (FDP). Gemeinsam stellten beide gestern vor der Presse die Studie vor, der zufolge in Sachsen in den nächsten fünf Jahren Zehntausende Stellen wegen des Mindestlohns wegfallen könnten.

Schöb nannte die neue Lohnuntergrenze von 8,50 Euro ein „Experiment mit höchst ungewissem Ausgang“. Nach seiner Rechnung könnten allein in der Stadt Dresden bis zu 8.700 Menschen die Arbeit verlieren, weil ihre Chefs sich den neuen vorgeschriebenen Lohn nicht leisten können. Für den Kreis Bautzen errechnete Schöb bis zu 5.900 gefährdete Stellen.

Rechnung per Erfahrungswert: Lohnerhöhung gefährdet Stellen

Die Rechnung des Berliner Professors beruht auf einer Formel: Bei jeweils zehn Prozent Lohnerhöhung sinkt die Beschäftigung um je 7,5 Prozent. Das sei ein Erfahrungswert für den Niedriglohnsektor. Schöb hat also keine speziellen Berechnungen für Bäcker oder Friseure angestellt oder erwogen, in welcher Branche Preis-Erhöhungen möglich sind. Vielmehr trug Schöb gemeinsam mit Dresdner Forschern des Ifo-Instituts Zahlen zum bisherigen Stundenlohn zusammen. Das Ergebnis: Jeder vierte beschäftigte Sachse bekommt weniger als 8,50 Euro – müsste also eine Erhöhung erhalten oder die Kündigung.

Unterschiede: Weniger Niedriglöhne in Leipzig als an der Landesgrenze

Die Studie für Minister Morlok zeigt, dass Niedriglöhne vor allem im Grenzgebiet zu Polen und Tschechien verbreitet sind – und vor allem bei Dienstleistern. Die meisten Kellner bekommen weniger als 8,50 Euro: In Sachsens Gastgewerbe liegen 64 Prozent der Beschäftigten unter diesem Wert. Weit verbreitet sind solche Löhne auch bei Verkäufern, Friseuren, in Bäckereien und Fleischereien. Auch in den alten Ländern gibt es Löhne unter 8,50 Euro – allerdings dort nur für etwa jeden achten Beschäftigten. In Sachsen steht Leipzig laut Schöb am besten da: Dort gebe es zum Beispiel große Hotels, die besser zahlten als Landgasthöfe.

Getrennte Vorhersagen: Forscher nennt lieber zwei Zahlen

Schöb nennt für jeden Landkreis zwei Zahlen, wenn er nach den möglichen Jobverlusten gefragt wird – und auch für Sachsen insgesamt. Bis zu 60.000 Stellen gehen verloren, falls die Arbeitgeber gar nicht mehr bezahlen können als jetzt. Bis zu 30.000 Stellen sind es, falls die Firmen Lohn-Erhöhungen bis zu etwa 20 Prozent verkraften können. Wer derzeit mehr als sieben Euro verdient, muss sich laut Schöb weniger Sorgen um seinen Job machen als Beschäftigte mit geringerem Einkommen. Frauen bekommen häufiger als Männer Niedriglohn, die befohlene Erhöhung gefährde daher mehr Frauen-Arbeitsplätze. Schöbs Rechnung berücksichtigt nicht, dass einige Branchen den Mindestlohn noch nicht 2015 zahlen müssen, etwa Friseure und Landwirte wegen neuer Tarifverträge.

Vorbeugung: Minister beauftragt den nächsten Gutachter

Wirtschaftsminister Morlok sagte zu den vorhergesagten Entlassungen, er werde „nicht tatenlos zusehen“. Allerdings müsse die Entwicklung zunächst von einem neuen externen Gutachter sowie einer Expertengruppe im Ministerium beobachtet werden. Falls die Arbeitslosigkeit steige, werde es Fördergeld für Weiterbildung und Mittelstand geben. Firmen müssten keine Subventionen zurückzahlen, wenn sie wegen des Mindestlohns nicht so viele Arbeitsplätze bieten wie versprochen. Laut Morlok werden sächsische Kommunen vom Mindestlohn profitieren: Sie müssen weniger Wohngeld bezahlen, wenn das Einkommen der Niedriglöhner steigt. Das eingesparte Geld sollten sie zur Senkung der Gewerbesteuer nutzen, riet Morlok.

www.szlink.de/ifostudie