Merken

Neue Welten aus Schrott und Akten

Michael Lange aus Quohren inszeniert seine Fotos mit Müll – und begeistert damit sogar die Japaner.

Teilen
Folgen
© Michael Lange

Von Thomas Morgenroth

Kreischa. Das Blech blutet einen Kontinent. Eine rotbraune Lache aus Rost breitet sich über dem verlebten Metall aus und bildet nach unten hin einen ausgefransten Halbkreis. Eine neue Welt entsteht, mit Bergen, Wäldern, Buchten, Stränden und Inseln im graublauen Ozean. Ein Werden im Vergehen, ein atemberaubendes Schauspiel – fotografiert von Michael Lange in Quohren bei Kreischa. Der Künstler ist zugleich der Schöpfer der Landschaft, er komponierte sie aus Resten unseres Lebens. Sein poetisches Spiel mit Formen, Farben, Licht und Schatten endet erst im Kopf des Betrachters – und wohl bei jedem anders.

Michael Lange inszeniert seine Fotografien in Quohren mit Fundstücken. Dazu gehört auch ein mannshohes Ziffernblatt. Foto:
Michael Lange inszeniert seine Fotografien in Quohren mit Fundstücken. Dazu gehört auch ein mannshohes Ziffernblatt. Foto: © Thomas Morgenroth

So könnte es also durchaus eine alte Landkarte sein, die Lange in diesem Sommer in seinem Atelier arrangiert hat – aus eisernen Fundstücken und alten handschriftlichen Kirchenakten, die ihm der Maler und Grafiker Anton Paul Kammerer aus Burgstädtel schenkte. Wie einst auf solchen Landkarten üblich, gibt es eine Windrose mit allen Himmelsrichtungen zur Orientierung, unten eine ausführliche Legende in verschnörkelten Buchstaben und rechts, im bislang unerforschten Bereich, lauert ein Ungeheuer, das Maul aufgerissen, um die Abenteurer zu fressen.

Pappeimer und Rotkohl

„Es ist natürlich ein Krokodil“, befand Langes vierjährige Enkeltochter Flora, als sie das fertige Bild sah. Lange schmunzelt, wenn er davon erzählt und hofft, dass auch Erwachsene ihrer Fantasie freien Lauf lassen, wenn sie seinen neuen Kalender „verortet 3“ für das Jahr 2018 in die Hand nehmen. Die Landkarte ist das Blatt für den Monat September, es ist eines der anregendsten des großformatigen Jahresbegleiters, der mit Titel und Impressum insgesamt vierzehn hochwertig gedruckte Fotografien vereint. Die Qualität der Kunstkalender von Michael Lange, der diesmal mit Stoba-Druck in Lampertswalde zusammenarbeitete, überzeugte im vergangenen Jahr sogar Fachleute in Fernost: „verortet 2“ wurde in Tokio mit dem „Japan calendar Award 2017“ in Bronze geehrt.

Michael Lange, 57, fotografiert mit Vorliebe Objekte, die andere als Müll bezeichnen würden. Aufgerollte Marmeladeneimer zum Beispiel, den Splitter einer CD-Hülle, den Henkel eines Eimers, einen rostigen Zirkel, mit Farben besprenkelte Fensterbleche oder einen Schüttbehälter mit einem geprägten großen X auf dem Boden. „Als ich den fand, habe ich schon frohlockt“, erinnert sich Lange, „das ist ein wunderbares grafisches Element.“ Und ist jetzt das Kalenderbild für den März.

Seine wichtigste Fundgrube für solche Dinge ist der Schrottplatz von Jürgen Unger in Lungkwitz, auf dem Lange mittlerweile das Privileg genießt, sich frei auf den Pfaden zwischen den Metallbergen bewegen zu dürfen. Dort fand er unter anderem auch das Bruchstück eines gusseisernen Zaunes mit einem kleinen Kreuz, das nun, mit Blick auf Heiligabend, das zentrale Element seines Fotos für den Dezember ist – kombiniert mit aufgeschnittenem Rotkohl, in Anlehnung an die Farbe der Mäntel von Nikolaus und Weihnachtsmann.

Gemüse ist eine seltene Zutat für Langes Fotografien. Blumen indes, etwa eine Prunkwinde aus dem heimischen Garten wie im Foto für den April, gehören häufiger dazu. Wobei die frischen und blühenden Pflanzenteile keineswegs wie Fremdkörper auf und neben den morbiden Objekten wirken. Es sind sinnliche Widerhaken, Metaphern für den ewigen Kreislauf des Lebens, die daran erinnern, dass jedem Ende ein Anfang innewohnt. Einige besondere Exemplare, wie ein Klee, der sonst in Georgien heimisch ist, oder eine sonnengelbe Kamillendolde mit nur zwei Blütenblättern, stammen aus dem Botanischen Garten in Dresden. Ganz offiziell: Barbara Ditsch, die wissenschaftliche Leiterin, hat sie für Michael Lange gepflückt.

Langes Bilder sind pure Fotografie, sie entstehen zwar digital, aber in seiner Kamera und nicht am Computer, den er nur in dem Maße für Korrekturen verwendet, wie sie auch in einer klassischen Dunkelkammer möglich wären. Bis hin zum Bildausschnitt ist beim Druck auf den Auflöser alles perfekt. „Mancher glaubt das nicht“, sagt Michael Lange, der aus Dresden stammt und seit 2004 in Quohren lebt und arbeitet. Er ist Künstler und Handwerker zugleich. Lange weiß nicht nur, wie er das rostige Blech und das zerrissene Papier in Szene setzen muss, sondern auch, wie er es richtig ausleuchtet, um den Artefakten ein neues Leben zu schenken – als unentdeckter Landstrich, bewacht von einem Wesen, das auch ein friedlicher Wal sein könnte.

Kalender „verortet 3“ mit Fotografien von Michael Lange und einem Text von Karin Weber, erhältlich für 45 Euro beim Künstler; aktuelle Ausstellungen: „Neues aus Dresdner Ateliers“, bis 1. Dezember in der Villa Eschebach, Dresden; Lange organisiert zudem den Dresdner Grafikmarkt am 11. und 12. November im Hygiene-Museum mit. Mehr Infos zum Künstler gibts im Internet.