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Neue Doping-Belege

Während DDR-Doping dank vielfältiger Dokumentation längst aktenkundig ist, tut sich der Sport mit der Aufarbeitung im Westen bislang sehr schwer. Eine Studie bringt nun neue Erkenntnisse - und nennt Namen.

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© dpa (Symbolfoto)

Ulrike John und Stefan Tabeling

Frankfurt/Main. Leichtathletik-Chef Clemens Prokop sieht eine Chance zur Aufarbeitung der Dopingpraktiken in der Bundesrepublik, für Experte Fritz Sörgel ist das „Sittenbild Sport“ vervollständigt. Die Dissertation des Wissenschaftlers Simon Krivec von der Universität Hamburg zum Anabolika-Missbrauch im Westen lässt kaum mehr Zweifel zu: Auch in der Bundesrepublik wurde beim Kampf um Titel und Medaillen kräftig nachgeholfen. Unterdessen ist ein weiterer Leichtathlet an die Öffentlichkeit gegangen: Diskuswerfer Alwin Wagner bestätigte die Doping-Ausführungen seines Kollegen Klaus-Peter Hennig.

„Früher galt ich als Nestbeschmutzer, heute wäre ich wohl ein Whistleblower“, sagte Wagner. „Ich hoffe, dass nun weitere ältere Sportler motiviert sind und sich bekennen und auch Ross und Reiter nennen.“ Wagner hatte bereits in früheren Jahren die Einnahme verbotener Mittel gestanden und die damalige Doping-Problematik immer wieder angeprangert. Am Sonntag war bereits Hennig an die Öffentlichkeit gegangen.

Experte Sörgel begrüßte die Studie. „Für die Diskussion in der Gesellschaft ist es auch wichtig, weil man jetzt wieder ein bisschen mehr sagen kann: Ja, so war’s wirklich!“, sagte Sörgel der Deutschen Presse-Agentur mit Blick auf die Dissertation von Krivec. Darin haben 31 ehemalige Leichtathleten Anabolika-Doping in der Zeit von 1960 bis 1988 eingeräumt. Sechs Athleten haben der Veröffentlichung ihrer Namen zugestimmt, darunter Hennig und Wagner.

Die Nationale Anti-Doping-Agentur NADA hat derweil mit Krivec Kontakt aufgenommen. „Um zu erfahren, ob und inwieweit sich aus dem wissenschaftlichen Werk auch Erkenntnisse für unsere aktuelle Anti-Doping-Arbeit ergeben“, erklärte NADA-Sprecherin Eva Bunthoff.

Prokop, der Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV), sieht die Chance, Doping im damaligen Westdeutschland nun besser aufzuarbeiten zu können. „Juristisch ist das natürlich verjährt“, sagte Prokop am Montag. „Aber das Spannende ist: In welchen Strukturen, mit welchen Mechanismen geschah dies damals?“

Krivec will seine Dissertation am 3. April veröffentlichen. Die Reaktion der Athleten, die an der Befragung teilnahmen, sei „durchweg positiv gewesen“, nachdem seine Arbeit am Wochenende publik wurde. Der 29-Jährige ist Pharmazeut und besitzt in Krefeld zwei Apotheken. Er hat nach eigenen Angaben 121 ehemalige männliche Spitzensportler des DLV angeschrieben, 61 haben ihm geantwortet, 42 haben sich zur Sache geäußert, „und 31 Athleten haben die Einnahme von Anabolika bestätigt“, sagte Krivec.

Nach den neuen Enthüllungen hat der Verein Doping-Opfer-Hilfe (DOH) eine gesamtdeutsche Aufarbeitung der Dopingvergangenheit gefordert. „Hier darf nichts mehr hinter der Nebelwand verschwinden, weder in Ost noch in West. Das sind wir den vielen Opfern schuldig“, sagte die DOH-Vorsitzende Ines Geipel in einer Mitteilung. Beteiligte Trainer, Ärzte, Funktionäre und Politiker müssten zur Verantwortung gezogen werden.

Sörgel sieht in dem „wichtigen Dokument der Zeitgeschichte“ eine Bestätigung der Untersuchungsergebnisse aus Freiburg. Erst kürzlich hatte der Wissenschaftler Andreas Singler eine Studie zum früheren Olympia-Chefarzt Joseph Keul veröffentlicht. Dieser sei einer der „am meisten dopingbelasteten Sportmediziner in Westdeutschland“ gewesen, lautete das Ergebnis.

Im Vergleich zum Staatsdoping im Osten beschreibt Sörgel die Praktiken im Westen als „toleriertes Staatsdoping oder Staatsdoping unter stillem Druck, denn ein Nicht-Hinschauen ist 100 Prozent Mitschuld“. Auch wenn in der Hamburger Studie nur die Leichtathletik durchleuchtet wurde, sei „Doping kein Problem einzelner Sportarten“, ergänzte Sörgel. Es gebe keine Sportart, die nicht unter den richtigen Medikamenten besser ausgeübt werden könne.

Man solle diese Studie sportpolitisch so weit als möglich nutzen, forderte Prokop. „Das Ergebnis selbst ist in seiner Grundausrichtung nicht überraschend. Ich war immer der klaren Auffassung, dass im Osten und Westen gedopt wurde“, so der DLV-Präsident, der das Anti-Doping-Gesetz mit auf den Weg gebracht hatte. (dpa)