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Neubauten nur noch mit Rettungstreppe?

Bislang kommt bei Gefahr in den meisten Fällen die Feuerwehr. Jetzt sollen sich die Dresdner selbst retten. Das könnte empfindliche Folgen fürs Bauwesen in der Stadt haben.

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© Sven Ellger

Von Kay Haufe

Werden neue Wohnungen künftig kleiner und teurer? Zumindest schlagen Dresdner Immobilienunternehmer aus der Gruppe Stadtgestalter jetzt Alarm. Einer davon ist Jochen Lagerein, der im März am Münchner Platz 2 mit dem Bau eines Mehrfamilienhauses beginnen wollte. Bis Herbst 2018 sollen im Fünfgeschosser 27 Wohnungen entstehen. Doch dieser Zeitplan wankt gewaltig. Statt einer Baugenehmigung erhielt der Geschäftsführer der Columbus Dresden GmbH vom Bauaufsichtsamt nun die Forderung, selbst einen zweiten Rettungsweg zu schaffen. Lagerein hatte vorgesehen, dass im Brand- oder Katastrophenfall die Feuerwehr Bewohner ab dem zweiten Stock über Leitern von der Straße aus rettet. „Dies ist gängige Praxis und wurde bisher bei all meinen Bauprojekten so genehmigt“, erklärt Lagerein. Die Feuerwehr prüft dafür im Vorfeld jedes Projekt sehr genau.

Doch diese Vorgehensweise will die Stadt nun offenbar nicht mehr genehmigen. Sie schlägt dem Investor vor, ein Fluchttreppenhaus oder ein zweites Treppenhaus zu bauen. „Beides zieht erhebliche Umplanungen nach sich und würde das Bauvorhaben bis zu 15 Prozent teurer machen“, sagt Lagerein. Denn in ein Fluchttreppenhaus , wie es in Hochhäusern Vorschrift ist, müssen nicht nur die einzelnen Etagen mit Brandschutztüren entkoppelt, sondern auch ständig Luft eingeblasen werden, damit es nicht verraucht. „Damit geht auch Wohnfläche verloren.“, sagt er. Im Falle eines zweiten Treppenhauses, das meist als Stahltreppe außen angebaut wird, fällt Grünfläche weg, außerdem müssen zwei Eingangstüren pro Wohnung gebaut werden. Aus ästhetischen Gesichtspunkten sind diese Treppen nicht immer eine Bereicherung. Aber zugegeben: Bewohner oberer Stockwerke fühlen sich damit womöglich sicherer, im Wissen, nicht allein auf die Feuerwehr bauen zu müssen.

Für die nächste Forderung der Stadt, Feuerwehr-Aufstellflächen auf dem Grundstück zu schaffen, sei oft gar nicht der erforderliche Platz da, sagt Lagerein. „Verstehen Sie mich nicht falsch: Die Sicherheit der Bewohner ist ein hohes Gut, das über allem steht. Aber in den meisten Häusern Dresdens wird das hervorragend von der Feuerwehr gewährleistet“, so Lagerein.

Neben ihm haben vier weitere Investoren der Stadtgestalter die Forderung von der Bauaufsicht erhalten, ihre Projekte aufgrund des zweiten Rettungsweges umzuplanen. In ihnen sollten zwischen zwölf und 40 Wohnungen entstehen. „Alle Welt redet von kostengünstigen Wohnungen, die gebraucht werden. Aber diese Auflagen der Stadt verteuern den Bau um mindestens 15 Prozent“, sagt auch Torsten Arlt, der Geschäftsführer der Aktiva Bauträger GmbH. Er finde zudem kein Gesetz, das diese Neureglung begründet.

Das bestätigt auch die Stadt. Baubürgermeister Raoul Schmidt-Lamontain beruft sich jedoch auf eine Protokollnotiz des Sächsischen Staatsministeriums des Innern. Die habe er zum Anlass genommen, die Verwaltungspraxis zu prüfen. „Dazu sind wir im Gespräch zwischen Bauaufsicht, Stadtplanung, Straßen- und Tiefbauamt und der Feuerwehr. Wir werden uns kurzfristig auf eine Position festlegen und uns gegenüber Investoren, Verbänden und der Architektenkammer äußern“, sagt Schmidt-Lamontain. Grundsätzlich bestätigt er aber, dass der zweite Rettungsweg „auch durch Rettungsgeräte der Feuerwehr gewährleistet werden kann.“

Zu einem Gespräch mit den Stadtgestaltern war Schmidt-Lamontain nicht bereit. „Das bedauern wir“, sagt Steffen Bieder, Geschäftsführer des Mitteldeutschen Landesverbandes Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen. Deshalb hat er sich nun hilfesuchend an Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) gewandt.

Beim Sächsischen Innenministerium ist man indes erstaunt über die Auslegung der Protokollnotiz. Es habe im April 2016 eine Dienstberatung zum Thema Aufstellflächen der Feuerwehr im öffentlichen Raum gegeben. Aber: „Eine Notiz, die unmissverständlich so auszulegen ist, dass zweite Rettungswege bei Neubauten grundsätzlich nicht mehr durch Rettungsgeräte der Feuerwehr einzurichten sind, gibt es nicht“, schreibt Pia Leson von der Pressestelle des Innenministeriums. Sie bestätigt auch, dass die Feuerwehr im Einzelfall prüfen muss, ob Aufstellflächen im öffentlichen Raum gegeben sind. „Das ist völlig klar. Wenn es keine Möglichkeit von der Straße aus für die Feuerwehr gibt, dann bauen wir einen zweiten Fluchtweg. Aber es kann keine generelle Forderung sein“, sagt Torsten Arlt.

Bis zum Jahr 2025 wird Dresdens Einwohnerzahl nach Prognosen auf rund 580 000 Einwohner anwachsen. Dafür werden 30 000 neue Wohnungen gebraucht. Die Stadtgestalter wollen davon mindestens 1500 errichten.