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Im Osten wird wieder gebaut

Nach der Wende kamen die Bagger in die Siedlungen - und blieben. Bis heute heißt es vielerorts in den neuen Bundesländern Abriss Ost statt Aufbau Ost. Mancherorts tut sich aber etwas.

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© dpa (Symbolfoto)

Sarah Lena Grahn

Berlin. Vier Zimmer, Küche, Bad, Balkon. Das alles auf 66 Quadratmetern, dazu Heizung und warmes Wasser aus der Leitung. Familien, die zu DDR-Zeiten ein solches Zuhause in einer der zahlreichen Neubausiedlungen ergatterten, lebten den Traum vom Wohnparadies. Nach der Wende kam das Erwachen: Nicht wenige Mieter verließen die Plattenbau-Heime für ein Leben im Westen, im eigenen Haus mit Garten oder in einem der frisch renovierten Altbauten in den Stadtzentren.

Für die einst so begehrten Bauten bedeutete dies in manchen Fällen das Ende: Massiver Leerstand ließ sich nicht mehr finanzieren, die Platte wurde platt gemacht. Statt Aufbau Ost hieß es Abriss Ost. Daran hat sich bis heute vielerorts wenig geändert. Moderner und zugleich preiswerter Wohnraum wird dennoch gebraucht, in einigen Regionen sogar dringend. In Sachsen und Thüringen übersteigt die Zahl der Neubauten mittlerweile sogar die der Abrisse - zumindest bei den Wohnungsgenossenschaften. Das hat mehrere Gründe.

Bei den Wohnungsgenossenschaften in Sachsen, die rund 20 Prozent der Mietwohnungen im Freistaat stellen, hat sich das Verhältnis zwischen Auf- und Abbau 2015 erstmals seit der Wende umgekehrt. 500 neue Wohnungen wurden aus dem Boden gestampft, 470 alte abgerissen.

In Thüringen wurde dieser Trend nach Zahlen des Wohnungswirtschaftsverbands bereits 2014 deutlich: 500 neu gebauten Wohnungen der Verbandsunternehmen stand der Abriss von 362 alten gegenüber. Für 2015 waren 600 Neubauwohnungen in Planung. Eine ähnliche Tendenz scheint sich in Mecklenburg-Vorpommern abzuzeichnen. 2014 überstieg dort zwar der Abriss noch den Neubau - nach Angaben der Wohnungswirtschaftsverbands bauten die Mitgliedunternehmen 650 Wohnungen und rissen 970 ab. Doch 2015 habe der „Wohnungsneubau ganz oben auf der Agenda“ gestanden, sagt Verbandsgeschäftsführer Roland Blank. Die Wohnungswirtschaft stellt in beiden Bundesländern rund 50 Prozent aller Mietwohnungen.

In allen drei Ländern ist die gesteigerte Nachfrage auch von Zugezogenen ein Grund für den neuen Bauboom. So haben etwa Studierende laut einer Studie des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung die Attraktivität von mittelgroßen Städten wie Freiberg, Mittweida, Ilmenau, Nordhausen oder Wismar für sich erkannt.

Gebaut werde aber nicht nur an angesagten Hochschulstandorten und gehypten Städten wie Leipzig oder Dresden, sondern auch in Kommunen mit mehr älteren Einwohnern, sagt Sven Winkler, Referent im Verband Sächsischer Wohnungsgenossenschaften. „Gefragt sind altersgerechte und zugleich bezahlbare Wohnungen.“

Knapp sei mittlerweile auch der Wohnraum für Familien. „Mit zwei Kindern oder mehr möchten die wenigsten heute noch wie zu DDR-Zeiten auf 66 Quadratmetern leben“, sagt Winkler. Die alten Plattenbauten seien aber weder gemacht für die Ansprüche einer vierköpfigen Familie, noch für die Bedürfnisse von Senioren. Ganz zu schweigen davon, dass sie absolut sanierungsbedürftig seien. „Was nicht da ist, muss eben gebaut werden.“

Es gehe darum, in kleineren Städten zukunftsfähigen Wohnraum zu schaffen, sagt auch die Direktorin des Thüringer Wohnungswirtschaftsverbands, Constanze Victor. Eine Sanierung des DDR-Bestandes entspreche zudem oft nicht den Vorstellungen einer zahlungsstärkeren Klientel.

Die Baugenossenschaften hätten heute wieder größere finanzielle Spielräume für Investitionen in Neubauten, erläutert Winkler. Die Leerstände seien heute geringer als noch vor ein paar Jahren, Altschulden aus DDR-Zeiten seien getilgt. Im Gegensatz zu den kommunalen Baugesellschaften könnten die Genossenschaften zudem frei über ihr Budget verfügen und dadurch schneller und mehr bauen.

Ein anderes Bild zeichnet sich dagegen in den übrigen Ost-Ländern ab. In Brandenburg planten die im Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen organisierten Gesellschaften für 2015 den Abriss von 1728 Wohnungen. 436 Wohnungen sollten neu gebaut werden, wie Verbandssprecher David Eberhart berichtet. Sein Verband bewirtschaftet die Hälfte aller Mietwohnungen in Brandenburg. Zwar würden berlinnahe Orte wie Potsdam, Strausberg, Oranienburg oder Schwedt wachsen, auf dem flachen Land sei der Leerstand bei gleichzeitigem Bevölkerungsrückgang jedoch immens.

In Sachsen-Anhalt ist die Lage noch dramatischer: Nach Angaben der Wohnungswirtschaft wollten ihre Unternehmen im vergangenen Jahr 2835 Wohnungen abreißen oder rückbauen. Zahlen für geplante Neubauten lagen für 2015 zwar nicht vor. 2014 bauten Genossenschaften und kommunale Gesellschaften jedoch nur 220 neue Wohnungen. Eine große Steigerung dürfte es nach Aussage des Direktors des Wohnungswirtschaftsverbands, Jost Riecke, auch 2015 nicht gegeben haben. Die Leerstandsquoten seien vielerorts noch immer groß. (dpa)