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Neuanfang in Kolumbien

Nach über 220 000 Toten und Millionen Vertriebenen schlägt Kolumbien ein neues Kapitel seiner Geschichte auf. Der Friedensvertrag mit der Farc-Guerilla markiert das Ende einer Ära. Die größten Herausforderungen stehen aber noch bevor.

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© dpa

Denis Düttmann

Cartagena. Als die Jagdbomber über den Hafen von Cartagena hinwegdonnern, zuckt Rodrigo „Timochenko“ Londoño kurz zusammen. In seiner Zeit im Dschungel hat der Chef der linken Farc-Rebellen die Luftangriffe der kolumbianischen Streitkräfte zu fürchten gelernt. „Diesmal sind sie gekommen, um den Frieden zu begrüßen - nicht, um Bomben zu werfen“, sagt der Guerilla-Kommandeur nach der kurzen Schrecksekunde.

Über 50 Jahre erbitterter Feindschaft lassen sich nicht einfach abschütteln und doch beginnt mit dem Friedenschluss von Cartagena eine neue Ära in Kolumbien. Symbolträchtig treten Präsident Juan Manuel Santos und Rebellenchef „Timochenko“ am Montag durch ein großes Tor auf die Bühne, um mit ihrer Unterschrift unter dem Friedensvertrag den ältesten Konflikt Lateinamerikas beizulegen.

„Kein Krieg mehr, keine Intoleranz mehr, keine Gewalt mehr“, sagt Staatschef Santos. „Die schreckliche Nacht ist vorüber.“ Nachdem er das Abkommen unterzeichnet hat, nimmt er sich eine kleine Friedenstaube vom Revers und überreicht sie seinem einstigen Erzfeind „Timochenko“. Der Guerilla-Kommandeur sagt: „Im Namen der Farc bitte ich die Opfer des Konflikts aufrichtig um Verzeihung.“

Santos, „Timochenko“, UN-Generalsekretär Ban Ki Moon, Staats- und Regierungschefs aus Lateinamerika, Spaniens früherer König Juan Carlos, alle sind ganz in Weiß gekleidet - der Farbe des Friedens. Vor der Vertragsunterzeichnung singen Frauen aus dem Dorf Bojayá, wo 2002 bei einem der schwersten Angriffe der Farc 79 Zivilisten getötet und über 100 Menschen verletzt wurden.

Die Gräueltaten sollen nun der Vergangenheit angehören. Im kommenden halben Jahr werden die Farc-Kämpfer unter Aufsicht der Vereinten Nationen ihre Waffen abgeben. Künftig wollen sie ihre Ziele wie eine gerechtere Landverteilung auf politischem Wege erreichen.

Nach dem Ende des bewaffneten Konflikts geht in Kolumbien die Arbeit allerdings erst richtig los. Die 8 000 Mitglieder der Farc müssen in die Gesellschaft integriert werden. Viele kennen nur das Kriegshandwerk - erhalten sie keine beruflichen Perspektiven, könnten sie erneut in den Untergrund gehen. Die Rückkehr ins Zivilleben ist bereits nach der Demobilisierung der rechten Paramilitärs gründlich schief gegangen: Viele ehemalige Kämpfer schlossen sich kriminellen Banden an und terrorisieren weiterhin die Bevölkerung.

„Es ist nicht einfach, Frieden zu schließen und es ist noch viel zu tun“, sagt Gimena Sánchez vom Forschungsinstitut Washington Office on Latin America (Wola). „Aber der Friedensschluss eröffnet eine Chance, die fürchterliche Gewalt zu beenden, die so viele Leben gekostet hat.“

Für einen dauerhaften Frieden müssen die kolumbianischen Sicherheitskräfte entschlossen gegen kriminelle Organisation wie „Los Urabeños“, „Los Rastrojos“ und „Águilas Negras“ vorgehen. Drogenhandel und Schutzgelderpressung werfen noch immer satte Gewinne ab, zudem stehen die Banden wohl teilweise im Sold reicher Großgrundbesitzer. Kampflos dürften sie ihre lukrativen Positionen nicht aufgeben.

Auch die kleinere Rebellenorganisation ELN will dem bewaffneten Kampf noch nicht abschwören. Die Guerilla ist zwar grundsätzlich auch an Friedensgesprächen interessiert, aber die Regierung hat die Freilassung aller Geiseln zur Bedingung für die Aufnahme von Verhandlungen gemacht. Darauf hat sich die ELN bislang nicht eingelassen.

Doch der Frieden mit den Farc lässt bereits jetzt auf eine üppige Friedensdividende hoffen. „Schätzungen gehen von ein bis drei Prozent an zusätzlichem Wachstum bei Abschluss des Friedensvertrages aus“, sagt der Hauptgeschäftsführer der Deutsch-Kolumbianischen Industrie- und Handelskammer, Thomas Voigt. Profitieren dürften vor allem ländliche Regionen, in die bislang wegen der schlechten Sicherheitslage niemand investieren wollte.

Aber der Frieden hat seinen Preis. Die Bank of America schätzt, dass die Umsetzung des Abkommens in den kommenden zehn Jahren über 16 Milliarden US-Dollar kosten wird. Die Europäische Union kündigte bereits einen Treuhandfonds über 600 Millionen Euro an, die USA wollen mit 450 Millionen Dollar helfen.

Am kommenden Sonntag müssen die Kolumbianer den Friedensvertrag noch in einem Referendum billigen. Längst nicht alle stehen hinter dem Abkommen. Dass die Rebellen-Kommandeure bald im Parlament sitzen könnten, ist für die Opfer der Guerilla kaum zu ertragen. Präsident Santos hofft dennoch auf ein klares „Sí“ bei der Volksabstimmung: „Ich ziehe einen unperfekten Vertrag einem perfekten Krieg vor, der Tod und Schmerz in unserem Land, unseren Familien sät.“ (dpa)