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„Nein zum Krieg!“

Der Rubel verliert an Wert, die Lebensmittelpreise steigen wegen der Sanktionen. Doch die in Moskau zu Tausenden aufmarschierten Demonstranten empört vor allem Putins neo-imperialer Stil. Finden sie Gehör?

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© dpa

Von Ulf Mauder

Moskau. Lange hat sich die russische Opposition im Ukraine-Konflikt mit öffentlichem Protest an Präsident Wladimir Putin zurückgehalten. Doch nun regt sich wohl auch angesichts der zunehmend schmerzhaften Folgen der Krise für viele Russen im Land erstmals Widerstand. Unter der Losung „Nein zum Krieg!“ riefen Putin-Gegner am Sonntag zu einem Friedensmarsch in Moskau auf. Es kamen nach Schätzungen rund 26.000 Menschen, um ihrem Ärger Luft zu machen.

Es ist die erste große Protestaktion seit Ausbruch des blutigen Konflikts in der Ostukraine im April. Die Kremlgegner sehen ungeachtet der Feuerpause weiter die Gefahr, dass Putin jedes Mittel willkommen sein könnte, seine Machtinteressen in dem Nachbarland durchzusetzen.

Viele tragen bei dem Anti-Kriegs-Protest vom Puschkin-Platz zum Sacharow-Prospekt die gelb-blauen Nationalflaggen der Ukraine als Zeichen der Solidarität mit dem „Brudervolk“. Die Organisatoren des Friedensmarsches verurteilen auf Schärfste, dass sich russische Söldner, aber auch reguläre Soldaten an den Kämpfen in der Ostukraine beteiligen. „Wofür sterben unsere Soldaten?“, heißt es fragend und anklagend zugleich auf Plakaten. Einige tragen Fotos mit den Namen der Toten. Sie fordern die Behörden auf, die Fälle aufzuklären. Die „Kriegstreiberei“ müsse bestraft werden.

Chodorkowski unterstützt Proteste

Lange hatte die russische Opposition die Straße anderen überlassen. Bei Kundgebungen in Moskau haben zuletzt vor allem ultranationalistische Fanatiker, aber auch russisch-orthodoxe Christen Putin zu einem Einsatz der Armee aufgefordert - für die „Rettung der russischen Welt“. Das lehnte Putin zwar stets öffentlich ab. Der Kreml bestreitet bis heute auch, russische Soldaten einzusetzen. Doch sogar in Staatsmedien gab es Berichte über russische Soldaten, die „freiwillig während ihres Urlaubs“ in der Ostukraine kämpften.

Kommentatoren sahen dies als eine Art Zugeständnis an die Hardliner in der russischen Politik, die eine militärische Lösung des Konflikts unterstützen. Dass sich der Kremlchef aber nun gemeinsam mit dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko zumindest nach außen hin aktiv für den Friedensplan in der Ostukraine einsetzt, sehen nicht alle im Moskauer Machtapparat gern. Sie hätten lieber eine Anti-Kriegs-Demonstration gegen ukrainische Regierungstruppen in Kiew. Anhänger der Separatisten versuchen am Sonntag, den Friedensmarsch zu stören. Die Polizei wehrte die Angriffe ab.

Die Proteste in Moskau werden vom einst reichsten Mann des Landes, Michail Chodorkowski, unterstützt. „Es ist eine brüchige Waffenruhe, aber das Problem bleibt. Unser Land nimmt direkt oder mittelbar an dem Konflikt teil“, heißt es auf der Seite khodorkovsky.ru des Putin-Kritikers. Mit seiner am Wochenende wiederbelebten Initiative „Open Russia“ will er auch die Zivilgesellschaft im Land wieder auf die Beine bringen.

Gefahr eines „faschistisches Regimes“ in Moskau?

Es ist der Frust über Moskaus Ukraine-Politik, der die Menschen zu Tausenden an diesem spätsommerlich warmen Sonntag auf die Straße treibt. Auch einfache Menschen bekommen die Folgen der westlichen Sanktionen gegen Russland im Zuge des Konflikts zunehmend zu spüren. Krisenstimmung macht sich breit. Viele ärgern sich über steigende Preise für Lebensmittel und den massiven Wertverfall des Rubel.

Die Demonstranten forderten aber auch ein Ende der propagandistischen und materiellen Hilfe für die prorussischen Separatisten, heißt es in einer „Anti-Kriegs-Resolution“ des Friedensmarsches. Die Unterzeichner sind unter anderem die Menschenrechtlerin Ljudmila Alexejewa, der Oppositionspolitiker Boris Nemzow, der Publizist Viktor Schenderowitsch sowie Wissenschaftler und Kulturschaffende.

Sie sehen die Gefahr, dass sich in Russland ein „faschistisches Regime“ entwickele. Die „verbrecherische Aggression“ in der Ostukraine sei nur möglich geworden, weil sich Putin und seine Umgebung ein dichtes Machtgeflecht mit totaler Kontrolle über Parlament und Gerichte geschaffen hätten. Es ist allerdings die Position einer Minderheit. Die große Mehrheit der Russen steht weiter hinter der Politik von Putin. (dpa)