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Nebenjob Straßenbahnfahrer

Wer für die Verkehrsbetriebe hinters Steuerpult möchte, muss durch die Fahrschule. Dort lauern kleine Gemeinheiten.

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© Christian Juppe

Von Henry Berndt

An jeder Haltestelle dasselbe Spiel. Kaum steht Max Witke mit seiner Straßenbahn still, drücken die ersten Wartenden den Knopf an der Tür. Max zieht dann das Mikrofon an seinen Mund und sagt: „Fahrschule, bitte nicht einsteigen.“ Eigentlich steht es ja auch groß dran.

Was die vielen runden Knöpfe am Pult so alles auslösen, lernte Max schon im theoretischen Teil der Ausbildung. Nun darf er in die Kabine, bis auf Weiteres aber noch keine Fahrgäste mitnehmen.
Was die vielen runden Knöpfe am Pult so alles auslösen, lernte Max schon im theoretischen Teil der Ausbildung. Nun darf er in die Kabine, bis auf Weiteres aber noch keine Fahrgäste mitnehmen. © Christian Juppe

Für Max ist es die zweite von vier Wochen im praktischen Teil der Ausbildung bei den Dresdner Verkehrsbetrieben (DVB). Heute fährt er von der Altmarktgalerie zur alten Wendeschleife nach Plauen. Sein Alter möchte er nicht nennen, aber sonst darf man ihn alles fragen. Er stammt aus Hildesheim, zog 2002 mit seiner Familie nach Dresden. Seit vergangenem Jahr studiert er hier Verkehrswesen. Bis vor Kurzem jobbte Max nebenbei noch in einer Autovermietung. Als er jedoch von Freunden erfuhr, dass man neben dem Studium auch Straßenbahnen fahren kann, musste er nicht lange überlegen. „Das wird mir wertvolle Erfahrungen bringen“, sagt er. „Vor allem ist es aber natürlich ein Job. Einer, der nicht schlecht bezahlt wird.“

Dafür ist der Weg in die Fahrerkabine auch ein bisschen weiter als der an die Supermarktkasse. Das geht schon mit den Zugangsvoraussetzungen los. Ein Pkw-Führerschein und zwei Jahre Fahrpraxis sind Pflicht. Außerdem müssen Quereinsteiger mindestens 21 Jahre alt sein. Zurzeit sind 48 Studenten für die DVB im Einsatz.

In seinen ersten Semesterferien brachte Max zwei Wochen Theorie hinter sich, lernte die Technik, die Verkehrsregeln und die Linienpläne kennen und erfuhr, was er tun sollte, wenn hinter ihm jemand im Wagen pöbelt oder randaliert. Am besten Hilfe über die Leitstelle rufen. Mit diesem Wissen bestand er die Abschlussprüfung.

Nun, ein halbes Jahr später, darf Max endlich auf die Straße. „Ich konnte es wirklich kaum noch erwarten“, sagt er. Vor allem, endlich wieder Geld zu verdienen. Das gibt es als studentische Aushilfskraft nämlich erst ab den sogenannten Lehrfahrerfahrten, bei denen er dann schon Fahrgäste an Bord hat, aber noch ein erfahrener Kollege auf dem Klappsitz neben ihm hockt.

00 heißt Türen schließen

An diesem schönen Spätsommertag geht es für Max aber erst noch darum, sich mit den vielen runden Knöpfen am Pult vertraut zu machen. Auf einem steht „00“. Das ist der, mit dem die Türen geschlossen werden. Ein „H“ blinkt gelb, wenn der Haltewunsch gedrückt wurde. Mit einer anderen Taste lässt sich Sand auf die Gleise streuen, um den „Grip“ zu erhöhen. Auch die Gefahrenbremsung hat Max schon gut drauf, wie er nach kurzer Vorwarnung eindrucksvoll demonstriert. Festhalten bitte! Das automatisch dazu ertönende ohrenbetäubende Klingeln kennt jeder, der der Straßenbahn schon mal im Weg war.

Was der größte Unterschied zum Autofahren ist? „Man kann nicht lenken, schlecht bremsen, und man ist groß und lang“, sagt Max. Am Anfang seien es schon viele Dinge auf einmal, die auf einen einprasseln, „aber es ist jetzt auch nicht so, als lerne man, einen Eurofighter zu fliegen.“

Der häufigste Fehler von Anfängern sei es, das Blinken zu vergessen, sagt Fahrlehrer Daniel Thiele. Der 29-Jährige ist heute gemeinsam mit Max und zwei anderen Studenten unterwegs. Außerdem sollte sich der Fahrer niemals ablenken lassen. Nicht durch Essen, nicht von Musik, nicht von Nachrichten auf dem Smartphone und auch nicht von neugierigen Reportern.

Vor sich hat Fahrlehrer Thiele ein zusätzliches Pult, von dem aus er kleine Gemeinheiten einstreuen kann: Er kann den Strom wegnehmen, die Bremsen blockieren oder die Türen klemmen lassen. Max muss drauf dann richtig reagieren. Auch später in der praktischen Prüfung wird er eine dieser technischen Störungen erfolgreich meistern müssen, um zu bestehen und die Betriebsfahrberechtigung zu erhalten – die Flebben für Straßenbahnfahrer.

Schnelle Eingreiftruppe

Wenn es so weit ist, wird sich Max in einem Portal anmelden und dort eintragen, wann er verfügbar ist. Die studentischen Aushilfskräfte sind für die Dresdner Verkehrsbetriebe so etwas wie die schnelle Eingreiftruppe, wenn jemand vom Stammpersonal krank wird oder verschlafen hat. Deswegen können die Dienstzeiten auch zwischen drei und neun Stunden lang sein, je nachdem, welche Lücke gerade zu stopfen ist. Während des Semesters dürfen die Studenten insgesamt bis zu 20 Stunden pro Woche fahren, in den Ferien etwas mehr.

Mit seinem Fahrschüler Max ist Daniel Thiele bislang offenbar zufrieden. Entspannt dreht er ihm auch schon mal den Rücken zu. Der macht das schon. Sogar das Grüßen der vorbeifahrenden Kollegen hat Max schon drauf. Das ist übrigens nicht Teil der Ausbildung und sollte sich in der Priorität hinter dem sicheren Fahren einreihen, wie der Fahrlehrer betont.

Trotzdem, wie Max Witke da so vorn links in der Bahn sitzt, das sieht schon professionell aus. Wahrscheinlich liegt das auch an dem weinroten Sakko, dem weißen Hemd und der silbernen Krawatte. Die Kleidung bekommt jeder Fahrer gestellt und darf sie nach Dienstende behalten – ob er will oder nicht. Wer sie zum nächsten Opernball anziehen möchte, sollte aber bitte vorher zumindest das Logo entfernen.