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Nazis auf dem Vormarsch

Der Verfassungsschutz registriert im Landkreis Bautzen immer mehr rechte Straftaten. Politiker fordern ein hartes Durchgreifen.

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© Archivfoto: SZ/Uwe Soeder

Sebastian Kositz

Kamenz/Bautzen. Dunkle Gestalten, Kapuzen und Mützen tief ins Gesicht gezogen. Lediglich die mitgeführten Fackeln und das Blaulicht des vorausfahrenden Polizeifahrzeugs illuminieren den kruden Aufmarsch, der am Freitagabend vergangene Woche durch Niederkaina zieht. Gespenstische Szenen, mit denen die Einwohner in der kleinen Bautzener Ortschaft haben leben lernen müssen.

Alljährlich finden sich am 22. April in Niederkaina einige Dutzend Neonazis aus der Region und darüber hinaus zusammen, um der Ermordung von fast 200 Soldaten der Volkssturmkompanie durch Angehörige der 1. Ukrainischen Front kurz vor Ende des Krieges 1945 zu gedenken. Eine selbstbewusste Inszenierung der Szene und zugleich das jüngste Beispiel dafür, dass Rechtsextreme im Landkreis Bautzen immer offener in Erscheinung treten. Dazu passt auch, dass die Anzahl der rechtsextremen Straftaten stetig zunimmt.

Allein im vergangenen Jahr registrierten Sachsens Verfassungsschützer im Landkreis Bautzen 165 rechtsextreme Straftaten – zwei Jahre zuvor waren es 123. Zugleich wächst die Gewaltbereitschaft. Für 2013 sind vier Gewalttaten vermerkt, für das vergangene Jahr acht Fälle aufgezählt. Nach Schätzungen des Verfassungsschutzes sind zwischen Radeberg, Hoyerswerda und Bautzen etwa 200 bis 250 Menschen rechtsextremen Kreisen zuzuordnen. Damit hat die Szene für das vergangene Jahr einen leichten Zulauf zu verzeichnen.

Raue Rhetorik in der Asyl-Debatte

Dahinter steckt nach Ansicht von Fachleuten und Beobachtern allen voran die extrem kontrovers geführte Debatte um die Zuwanderung. In vielen Ecken des Kreises war es zumeist wegen Plänen für neue Asylheime zu Kundgebungen und Demonstrationen gekommen. Die Veranstaltungen wurden nicht selten von Rechtsextremen unterwandert oder gar von ihnen organisiert. Neben dem Radeberger Neonazi Simon Richter zählt laut dem Verfassungsschutz auch die Bautzener Stadträtin Daniela Stamm mit zu denen, die in der Region regelmäßig Demonstrationen gegen die Asylpolitik auf die Beine gestellt hat.

Die Bautzener Sozialarbeiterin Manja Gruhn schätzt ein, dass durch die Debatte um die Asylpolitik der Rassismus insgesamt wieder salonfähiger in der Gesellschaft geworden ist. „Jetzt werden Dinge gesagt, die man sich zuvor nicht getraut hätte. Da versucht nun die rechte Szene anzudocken“, erklärt Manja Gruhn. In Daniela Stamm sieht sie eine Führungsfigur, die einerseits versuche, junge Menschen zu radikalisieren und zu Aktionen zu bewegen und zugleich die recht lose voneinander agierenden rechtsextremen Gruppen mit den Anti-Asyl-Protesten zu verzahnen.

In der unverblümten und rauen Rhetorik der Asyldebatte vermutet indes Kreisrat Sven Scheidemantel (parteilos) auch die Ursache für die Zunahme der Straftaten und der Gewalt. „Die Gewaltsprache ist längst gesellschaftlich akzeptiert. Da sinkt schnell die Hemmschwelle zur echten Gewalt“, schätzt der Arnsdorfer Politiker ein, der sich seit Jahren gegen rechtsextreme Umtriebe engagiert. Schon mit Blick auf Hasskommentare in sozialen Netzwerken fordert er ein entschlosseneres Durchgreifen von Polizei und Justiz. „Wer keine Angst vor Verfolgung hat, den hält auch nichts von Gewalt ab“, sagt Sven Scheidemantel.

Zunehmende Nutzung der sozialen Netzwerke

Der Landtagsabgeordnete Heiko Kosel (Die Linke) verweist in diesem Zusammenhang als jüngstes Beispiel auf die Strafverfolgung der jungen Männer, die im Herbst 2014 sorbische Jugendliche attackiert haben sollen. Die Staatsanwaltschaft hatte am Mittwoch erklärt, das Verfahren gegen einen Angreifer eingestellt zu haben, weil er zu betrunken gewesen sei. Gegen drei weitere Männer werde zudem nicht vorgegangen, weil der Eindruck vorliege, dass es sich bei der Auseinandersetzung nur um eine gegenseitige Rangelei gehandelt habe. „Hier ist eindeutig darauf hinzuweisen, dass es sich bei diesen Taten nicht um eine bloße Dorfkrugprügelei handelte, sondern um pure Hasskriminalität gegenüber einer ethnischen Minderheit“, sagt Heiko Kosel.

Um Hetze und Propaganda zu verbreiten, aber auch für die gemeinsame Vernetzung, setzen Rechtsextreme aus Sicht des sächsischen Verfassungsschutzes zunehmend auf die sozialen Netzwerke. Beispiele dafür gibt es auch im Landkreis Bautzen zur Genüge. Von der bizarren Inszenierung in Niederkaina tauchte nur wenige Stunden später auf einer rechtsextremen Facebook-Seite ein Video auf – unterlegt mit heroischer Musik, Bildern aus dem Zweiten Weltkrieg und martialischen Texten.