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Nächstes Mahnmal für den Neumarkt

Nach Bussen und Hebebühne soll im Herbst ein Flüchtlingsboot an die Dresdner Frauenkirche gebracht werden – für kurze Zeit. Das nicht einmal zwölf Meter lange Boot war im Sommer 2013 mit 282 Menschen an Bord an der Insel Lampedusa angekommen.

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© Matthias Rietschel, Gerald Mennen/Outlaw-Stiftung;

Von Sandro Rahrisch

Ein Boot, nicht einmal zwölf Meter lang, wird im Sommer 2013 vor Lampedusa von der italienischen Küstenwache beschlagnahmt. An Bord befinden sich 217 Eritreer und 65 Äthiopier, die über das Mittelmeer aus ihrer Heimat geflohen sind. Einen Tag lang ist die „Al-hadj Djumaa“ auf See unterwegs, bevor sie die Behörden aufgreifen. Im Herbst wird das Boot Kurs auf Dresden nehmen.

Die Outlaw-Stiftung, die sich für das Wohl von Kindern und Jugendlichen einsetzt, schickt die „Al-hadj Djumaa“ über die Elbe in die sächsische Landeshauptstadt. Hier ist angedacht, das Boot auf den Neumarkt zu transportieren und vom 18. bis zum 22. September stehen zu lassen. „Mit Sicherheit gut ankommen“ heißt das Projekt. Damit will die Stiftung auf die Situation der Flüchtenden vor, während und nach der Flucht aufmerksam machen, heißt es. Der Fokus werde auf die Schwachen gerichtet – Kinder, Jugendliche, Frauen und junge Familien.

Auf das Boot werden 70 Bronzefiguren gesetzt. Sie zeigen Männer, Frauen und Kinder, eingehüllt in Decken und Tücher. Ihre Gesichter: mal ängstlich und ausgemergelt, mal völlig emotionslos in die Weite starrend. Die Skulpturen, die Asiaten, Afrikaner, Südamerikaner und Europäer widerspiegeln, stammen von dem dänischen Bildhauer Jens Galschiøt. Seine Botschaft: Flucht ist nicht nur das Problem eines Landes. „Ziel dieses sozial-kulturellen Projekts ist es, mit einem ‚Hingucker‘ die Gelegenheiten zu bieten, sich mit dem Flüchtlingsthema auf eine andere Weise als gewohnt auseinanderzusetzen“, so die Stiftung. Rund um das Boot sollen Aktionen und Veranstaltungen stattfinden. Hilfsprojekte und Flüchtlingsinitiativen könnten sich zum Beispiel der Öffentlichkeit vorstellen.

Auf dem Neumarkt wird es das dritte Kunstwerk in diesem Jahr sein. Bereits der deutsch-syrische Künstler Manaf Halbouni hatte sich mit seinen drei hochkant gestellten Bussen an das Thema Krieg und Gedenken gewagt und somit eine Debatte ausgelöst, die teilweise aus dem Ruder lief. Die Verbindung des Kriegs in Syrien mit der Zerstörung Dresdens im Zweiten Weltkrieg hatte zur Einweihung des Werks Kritiker auf den Neumarkt gezogen, die den Künstler und den Oberbürgermeister regelrecht niederbrüllten.

Um Gedenken geht es auf dem Neumarkt auch seit dieser Woche: Das Hamburger Künstlerduo Heike Mutter und Ulrich Genth stellt seine Skulptur „Denkmal für den permanenten Neuanfang“ aus. Es geht darum, wie die Stadt mit ihrer Geschichte umgeht und wie man in Dresden mit Denkmalen umgeht. Für das Kunstwerk haben sie originalgroße Abformungen des rechten Armes der Trümmerfrau vor dem Rathaus hergestellt. Auch vom Mozartbrunnen, der auf der Bürgerwiese steht, finden sich Elemente in der dreidimensionalen Collage wieder. Diese steht auf einer umgebauten Hebebühne.

Trotz der Proteste gegen moderne Kunst auf dem Neumarkt hat Sachsens Integrationsministerin Petra Köpping (SPD) die Schirmherrschaft über das Flüchtlingsboot-Projekt übernommen. „Das eine hat nichts mit dem anderen zu tun“, sagt sie mit Blick auf das Bus-„Monument“. Das Boot auf den Neumarkt zu holen, sei eine tolle Idee, findet sie.

Dresden ist nur eine Station der „Al-hadj Djumaa“, die inzwischen der gemeinnützigen Vereinigung „Rederij Lampedusa“ aus Amsterdam gehört. Insgesamt werden zwei Schiffe durch Deutschland reisen. Los geht es in Bremen. Den ersten Teil wird die hochseetaugliche „MS Anton“ bestreiten. In Papenburg wird sie schließlich von der „Al-hadj Djumaa“ abgelöst. Nach 65 Tagen läuft das Schiff am 30. September in Berlin ein, zum nationalen Flüchtlingstag. Magdeburg, Halle und Potsdam werden auch angesteuert.

Generell müssen Kunstwerke auf dem Neumarkt nicht nach Ästhetik oder öffentlicher Meinung genehmigt werden. Dort gelten die gleichen Regeln wie im übrigen öffentlichen Raum, so die Stadtverwaltung. Danach ist für das Aufstellen eines Kunstwerkes eine Sondernutzungsgenehmigung, eine verkehrsrechtliche Anordnung und, je nach Größe, auch noch eine Baugenehmigung erforderlich. Dafür sind statische Berechnungen und der Nachweis von bestimmten Sicherheitsvorkehrungen wie der Windlast nötig. Bei längerfristiger Nutzung des Platzes sind außerdem Stadtfest und Weihnachtsmarkt zu beachten. Mit den Händlern muss der konkrete Standort abgestimmt werden. Die Nutzung des Neumarktes ist zudem durch die Gestaltungssatzung eingeschränkt.

Nach SZ-Informationen gibt es auch Überlegungen, das Flüchtlingsboot hochkant zu stellen, um die Idee hinter den drei Bussen wieder aufzugreifen – Krieg im Nahen Osten und Flucht. Gleichzeitig stünde das umgekippte Boot symbolisch für die vielen Boote, die auf dem Mittelmeer gekentert sind. Den 35 000 Menschen, die allein in diesem Jahr über Libyen nach Italien gelangt sind, stehen laut Internationaler Organisation für Migration 900 gegenüber, die bei diesem Versuch ihr Leben im Wasser verloren haben.