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Nachschub für die Szene

Die Freitalerin Ingrid Locke zwirnt Garne zu Handarbeitswolle – und hat vor allem im Internet eine große Fangemeinde.

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Von Dorit Oehme

Die Tür zur Werkstatt ist offen. Drinnen stehen Regale, die mit Wolle gefüllt sind. Im Hintergrund surrt eine Zwirnmaschine. Ingrid Locke steht prüfend davor. Ihr Rücken verdeckt, was genau passiert. Dann stoppt sie. „Ich verzwirne einfädige Wollgarne zu zwei- oder mehrfädigen. Dabei werden sie so gedreht, dass die Strick- oder Häkelarbeiten später in Form bleiben“, sagt sie. Das Interessante ist, dass ich so hochwertige Maschinen- und Handstrickgarne in mehr als 100 Farbtönen, Qualitäten und Wollkombinationen herstellen kann“, so die Freitalerin. Die Designs entwickele sie nach eigenen Ideen oder konkreten Kundenwünschen.

Mit ihrer Firma „Wolle online“ hat die Pesterwitzerin sich 2004 selbstständig gemacht. Heute denkt die Mittsechzigerin noch nicht ans Aufhören. „Ich habe aber bewusst etwas zurückgedreht. Ich arbeite nicht mehr zwölf Stunden am Tag.“ Die Intensität ist geblieben. „Ich liebe Wolle leidenschaftlich. Mir kommen immer neue Ideen“, betont Ingrid Locke. Neben den fertigen Wollknäueln, die jeweils 100 Gramm wiegen, liegen kleine Strickproben. Erst in der Fläche wirkt das Garn richtig. Außerdem werden so die Designs festgehalten.

Ingrid Locke nimmt unverarbeitete Wolle aus der schützenden Folie. „Es ist extrafeine Merinowolle. Sie ist seidenweich. Diese Qualität ist besonders beliebt und hervorragend für Babysachen geeignet. Ich verarbeite auch Baumwolle, Viskose- und Mischgarne sowie Schurwolle zu Handstrickgarnen.“ Große Mengen von Wolle lagern in der Werkstatt. „Schon als ich meine Firma gegründet habe, waren die Investitionskosten fürs Material sehr hoch“, blickt die Freitalerin zurück.

Lange habe sie überlegt, ob sie ihr Hobby zum Beruf machen könne. „Ich habe von klein auf gern gestrickt und gehäkelt. Bei meinem früheren Beruf war es sehr entspannend für mich. Wenn ich meine Vorbereitungen für den nächsten Tag abgeschlossen hatte, nahm ich mir für Handarbeiten Zeit.“ Ihr Ehemann unterstützte sie von Anfang an. Als Ingrid Locke eine eigene Firma im Handarbeitsbereich gründen wollte, wogen sie gemeinsam die Vor- und Nachteile ab. „Es war ein Prozess. Ich hätte es wegen der Kosten vielleicht gelassen. Doch mein Mann riet mir: Mach’s.“ Mit konkreten Plänen besuchte sie noch ein Existenzgründerseminar. Als Einzelunternehmerin gründete sie schließlich eine Ich-AG. Drei Jahre lang erhielt sie einen Existenzgründerzuschuss vom Arbeitsamt.

Als „Wolle online“ an den Start ging, erlebten Handarbeiten gerade ihre Renaissance. „Es ging in den Städten los, nicht auf dem Dorfe. Es wuchs der Drang, sich etwas Individuelles zu schaffen. Auch von Stars wie Julia Roberts wurde das plötzlich bekannt. Sie strickte in den Drehpausen“, erinnert sich Ingrid Locke.

Die Freitalerin hat keinen Laden. Die meiste Wolle verkauft sie mittlerweile übers Internet, auch an gewerbliche Käufer wie Strickereien und Webereien. Die Kunden kommen überwiegend aus dem deutschsprachigen Raum. „In den ersten acht Jahren hatte ich aber kaum Online-Bestellungen aus Ostdeutschland. Jetzt nutzen auch hier viele Ältere die Computertechnik. Das fällt auf.“

Um bekannt zu werden, fuhren Ingrid Locke und ihr Mann anfangs auf ganz verschiedene Märkte. Damals gönnte sich das Ehepaar kaum Urlaub. „Wir wollten die Kontakte nicht abreißen lassen und die Standplätze sichern. Heute konzentrieren wir uns besonders auf Wollmärkte und -festivals. Dort suchen Frauen – und auch Männer – gezielt nach Materialien“, sagt Ingrid Locke. Ihr Mann ist längst nicht mehr nur für den Transport und Aufbau verantwortlich. Seit drei Jahren bietet er Handspindeln an, die er aus heimischen Gehölzen wie Hauspflaume oder Nussbaum, nicht aber aus tropischen Gehölzen drechselt. Ingrid Locke hat ein Spinnrad. Mit der Urform des Spinnens an der Handspindel ist aber auch sie vertraut. „In der Szene ist es im Kommen“, sagt sie und holt Spinnfasern als Kammzug herbei. Sie schimmern in mehreren Grüntönen. „Wenn man daraus einen Faden spinnt, entsteht ein reizvolles Farbspiel.“

Von ihren Einkünften aus der Firma könne sie keine großen Sprünge machen, sagt Ingrid Locke. Sie genieße es aber, ihren Platz in der Handarbeitsszene gefunden zu haben. „Es ist mehr als ein Verkäufer-Kunden-Verhältnis. Zu den Festivals, wie dem Wollfest in Leipzig, tragen die Teilnehmer ihre selbstgefertigten Kleidungsstücke. Sie bleiben oft den ganzen Tag. Sie ‚nadeln‘ und tauschen sich aus. Wir begegnen unglaublich kreativen Frauen und auch Männern. Die Arbeiten reichen bis zu Designermodellen.“ Bei der Wahl ihrer Wolle achtet die Freitalerin zwar auch auf Trends. Doch sie weiß um den Moment, in dem der persönliche Geschmack entscheidet. „Oft greift jemand intuitiv nach einem Knäuel und sagt: ‚Genau das ist es.‘“

Nächster Markttermin: 21. Internationale Oberlausitzer Leinentage am 27. und 28. August am Barockschloss Rammenau in der Oberlausitz.

Weitere Veranstaltungen im Internet: www.wolle-online.com, 0152 31713777