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Nachbarn für immer

Seit 40 Jahren Tür an Tür – in der Ringstraße in Freital-Zauckerode hat sich über die Jahre eine Hausgemeinschaft gehalten.

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© Karl-Ludwig Oberthür

Von Dorit Oehme

Freital. Ein Mädchen schaukelt im Innenhof. Unter Bäumen stehen Bänke. Vögel zwitschern. Wäsche hängt zum Trocknen an der Luft. Es ist wenig im Verhältnis zu den vielen Wohnungen ringsum. „Früher wurden Leinen zeitig gespannt, um einen Platz zu sichern“, erzählt Heidi Woborschil aus der 1e. Dann blickt sie in die Gänseblümchenwiese: „Hier wurden früher gern die Schulanfänger fotografiert.“

Heidi Woborschil gehört zu acht Mietern der Ringstraße, die sich an diesem Abend im Partyraum des Blocks versammelt haben. Sie wollen von den Erinnerungen an ihre Straße erzählen, die 1977 – vor exakt 40 Jahren – neu entstand.

Erst im August waren die Mieter von beengten Wohnungen aus den Freitaler Stadtteilen und der Umgebung in die neuen Fünfgeschosser mit den Drei- und Vier-Raum-Wohnungen in Zauckerode gezogen. Es gab Bäder und Fernwärme. „Es war alles recht schlammig. Wir liefen über Betonplatten. Bis zur Bushaltestelle trug so mancher Gummistiefel“, sagt Frank Mittmann vom Eingang 1f. Und Klaus Frohburg ergänzt: „Wir haben den Rasen angelegt. Erde, Samen und eine Walze besorgten wir in Eigeninitiative. So lief vieles.“

Das Plattenbaugebiet Zauckerode wurde ab 1974 etappenweise errichtet, alte Bauerngehöfte riss man dafür ab. Bis 1984 entstanden auf einer 38 Hektar großen Fläche etwa 2 500 Wohnungen. Sie waren vor allem für die Beschäftigten des Edelstahlwerks bestimmt. „Die Vergabe wurde oft über die Betriebe geregelt, ‚Pflicht‘ war, dass eine Familie mindestens zwei Kinder hatte“, erinnert sich Rudi Woborschil, der mit seiner Frau Heidi und den beiden kleinen Kindern aus Somsdorf zuzog.

Drei-Raum-Wohnungen erhielten meist Familien, die nur Mädchen oder Jungen hatten. Zwei Kinderzimmer gab es bei gemischter Geschwisterkonstellation. „Etwa 25 Kinder lebten in einem Aufgang“, sagt Erika Rose aus der 1d. Ein gewisser Geräuschpegel war normal. Besonders morgens vorm Schulbeginn. „Über die Kinder knüpften wir die ersten Kontakte. Später brachten wir den Mädchen und Jungen im Hauseingang kleine Geschenke zu Festen, wie der Jugendweihe“, erinnert sich Heidi Woborschil. Sie betont: „Jeder pflegte seine Ereignisse aber individuell.“

Lange Jahre gehörte auch eine Berühmtheit zur Ringstraße. Im zehnten Stock der 1h lebte Arno Wagner, Jahrgang 1894. Hans-Joachim Wolfram und Christine Trettin-Errath von der MDR-Sendung Außenseiter-Spitzenreiter besuchten Wagner ab dem 100. Geburtstag. Er starb 2004 mit 110 Jahren als ältester Sachse sowie zweitältester Mann und drittältester Mensch Deutschlands.

„Zum 109. Geburtstag hat er mit Christine Trettin-Errath noch in unserem Innenhof getanzt“, erinnern sich Sonja und Rainer Gollmann aus der 1a.

Fast vis-à-vis von ihrer Haustür geht es nun zum Mehrgenerationenpark, der 2015 anstelle des abgerissenen Manfred-von-Ardenne-Gymnasiums eröffnet wurde. „Wir gehen gern mit unseren Enkeln dorthin. Auch von auswärts kommen Besucher“, sagt Rudi Woborschil.

Die beiden Großvermieter, die Wohnungsgesellschaft Freital (WGF) und die Freitaler Wohnungsgenossenschaft (Gewo), haben seit der Wende kräftig in den Bestand investiert, teils abgerissen und die Häuser saniert. Die Fassaden sind in strahlenden Farben gestaltet.

„Das Wohngebiet hat eine überschaubare Größe“, sagt Rudi Woborschil. Wir haben das Ambulatorium und Einkaufsmöglichkeiten in der Nähe. Vom Balkon aus können wir bis Pesterwitz sehen. Es lebt sich gut hier.“

Welche Geschichte hat Ihre Straße zu erzählen? Schreiben Sie uns per Post an die Sächsische Zeitung, Dresdner Straße 72, 01705 Freital oder per E-Mail an [email protected], Stichwort „Meine Straße“. Bitte schreiben Sie uns auch, wie wir Sie bei Rückfragen erreichen können.