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Nach 26 Jahren Pause zurück ins Boot

Rudern stillt eine besondere Sucht. Deutschlands älteste Wettkampfruderin ist dreimal in der Woche auf der Elbe.

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© Jürgen Lösel

Von Jochen Mayer

Ruderer sind handfeste Menschen. Das zeigt schon ihr Händedruck. Frauen machen da keine Ausnahme. Und doch überrascht Veronika Zimmert im Dresdner TU-Bootshaus – als sie ihr Alter nennt: 77. Bei den jüngsten World-Masters-Games in Neuseeland ging die Dresdnerin in sechs Bootsklassen an den Start. Ihre Ausbeute: viermal Gold, zweimal Silber. Deutschlands älteste Wettkampfruderin saß mit Frauen aus Kanada und den USA sowie in Mix-Teams mit einem Tschechen sowie neuseeländischen Männern im Boot.

Warum tut sich eine Frau in ihrem Alter noch diesen Wettkampfstress an? „Weil es mir Spaß macht“, antwortet die agile Rentnerin. Und weil sie es kann. In jungen Jahren hatte sie es bis in die DDR-Auswahl geschafft. Als Großhandelskaufmann-Lehrling war sie zum frisch gegründeten SC Einheit gelockt worden. Der suchte Nachwuchs, nahm die 14-Jährige, auch wenn sie mit 1,69 Metern kein Gardemaß besaß.

Trotzdem gelang ihr 1962 im Doppelvierer mit Steuerfrau mit EM-Silber der größte Erfolg. Olympia in Tokio war kein Thema. Erst seit 1976 dürfen Frauen auf olympische Ruderstrecken, die ersten Weltmeisterinnen wurden 1974 gekürt. „Wir hatten nur die EM als großes Ziel“, sagt sie. „Das war natürlich ungerecht.“ Trotzdem ruderte sie weiter. Ihr Motiv: „Ich hatte einen sehr strengen Vater, war froh über jede Stunde, die ich von zu Hause weg war.“ Und die Vorletzte von sechs Kindern wollte nicht immer und überall die Vorletzte sein, der Sport bot ihr die Chance.

Die Karriere endete nach Hochzeit und Geburt ihrer Tochter. Sie wäre gern wieder ins Boot gestiegen, doch die Trainer winkten ab. Familie und der Abschluss des Studiums der Finanzwirtschaft rückten den Sport in den Hintergrund. In leitenden Positionen – so als ökonomische Direktorin im Projektierungsbetrieb des Kombinats Fortschritt – gab es andere Sorgen. Ein postgraduales Studium meisterte Veronika Zimmert auch noch, da war sie 45. Es waren ausgefüllte Jahre. Ihre Maxime: „Wenn ich etwas mache, dann richtig.“

Es gab aber auch eine schwere Zeit. 1989 starb ihr Mann. „Ich war plötzlich alleine“, erzählt sie. „Beide Kinder aus dem Haus, ich wurde 1993 arbeitslos, der Mann tot. Da dachte ich schon: ,Jetzt bleibt nur noch der Strick.‘“ Doch bei einem Jubiläum der SC-Einheit-Ruderer stand plötzlich das Angebot, mal mitzurudern. Veronika Zimmert stieg zu drei jungen Mädchen in den Doppelvierer. Vorher bat sie um Verständnis, „weil ich doch 26 Jahre nicht mehr gerudert war. Die Pause war nicht zu spüren. Die drei glaubten, sie würden verschaukelt, alles passte bestens.“ Es war der Anstoß, wiederzukommen, das Comeback. Ostermontag 1993 begann Veronika Zimmert wieder zu trainieren mit Sigrid Phillipp, die sie zum USV TU Dresden holte. Seitdem gewann sie 144 Rennen auf dem Wasser. Seit 2010 tritt sie bei Ruder-Ergometer-Wettkämpfen an, gewann dabei 17-mal, davon zwei WM- und sechs EM-Titel.

Jetzt ist sie öfter im Bootshaus als in jungen Jahren. Drei Wochentage sind fürs Rudern gebongt, manchmal auch der Sonntag. „Es wird nie langweilig“, schwärmt sie. „Zu jeder Jahreszeit hat der Fluss Reize. Ich kann Natur genießen, bin in Bewegung. Wenn es mir gut geht, mache ich mehr, wenn nicht, eben weniger.“

Wenn im Vereins-Männerboot einer nicht kann, springt Veronika Zimmert ein. Wie 1999, als beim Nachbarverein für eine World-Master-Regatta in Andalusien ein Platz im Achter frei war. Sie wurde gefragt, stieg nach einem Probetraining ein. Seit nun 18 Jahren trainiert sie als Gast im Dresdner Ruderverein. Seitdem ist dort Katharina Schubert ihre Trainingspartnerin und Physiotherapeutin, machte sie nach einer OP, zwei Knochenbrüchen und diversen Muskelverspannungen immer wieder ruderfähig. Zuletzt gewannen beide zusammen Gold und Silber in Neuseeland.

Veronika Zimmert hat ausgefüllte Tage, da ist ja auch noch ihr Garten. „Meist merke ich am Abend, was ich gemacht habe“, gibt sie zu. „Ich fühle mich aber nicht erschöpft, eher sehr zufrieden nach aktiven Tagen.“ Die Fahrten bei Wind und Wetter haben immer noch den bekannten Effekt: Elberudern macht hart. Wenn es mal zwickt, gibt sie nicht viel drauf.

Es ist auch die Gemeinschaft, die die Alters-Ruderin genießt. Sie hält sich für unpünktlich. Wenn es aber um Zusagen zum Training geht, ist auf sie Verlass. Der Teamgeist geht im Verein weit über das Zusammenspiel im Boot hinaus, wie in der „Montagsrunde“. Da trifft man sich im Bootshaus zum Abendbrot und quatscht. Da fühlt sie sich wohl.

Wettkampfrudern hat einen positiven Nebeneffekt: Starts in aller Welt. „Ich bin reisesüchtig“, gibt Veronika Zimmert zu. „Masters-Regatten haben mich zu Traumzielen geführt – nach Neuseeland, Australien, in die USA, nach Kanada und in viele europäische Städte.“ Ihre drei Jahre jüngere Schwester Inge ist oft als Betreuerin auf den Wettkampfreisen mit dabei.

Die Tochter sah es nicht gern, dass die Mutter plötzlich auch noch im schmalen Einer unterwegs war, der viel leichter kippen kann als die größeren Boote. „Sie hatte wohl Angst, dass etwas passieren könnte“, erzählt Veronika Zimmert. „Aber ich habe sie überzeugt. Tochter und Sohn sind stolz auf ihre Mutti, denn sie wissen, dass Rudern gut für mich ist, für die Gesundheit und den Kopf.“ Dann lehnt sie sich zurück und sagt lächelnd: „Ich habe so viel erlebt und bin im Reinen mit mir. Das ist doch schön, oder?“