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„Na dann, viel Spaß beim FC Hollywood!“

Er war einer der effizientesten Torjäger in der Geschichte des FC Bayern. Roy Makaay über Partys und 100 Tore pro Saison.

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Er war einer der effizientesten Torjäger in der Geschichte des FC Bayern. Roy Makaay über Partys und 100 Tore pro Saison.

Das Interview ist 11 Freunde, dem Magazin für Fußballkultur, entnommen. Zudem in der aktuellen Ausgabe: Sami Khedira über seinen Kampf um die WM / Eine Sittengeschichte des Pöbelns im Stadion / Berater-Legende Mino Raiola erklärt sein Imperium.
Das Interview ist 11 Freunde, dem Magazin für Fußballkultur, entnommen. Zudem in der aktuellen Ausgabe: Sami Khedira über seinen Kampf um die WM / Eine Sittengeschichte des Pöbelns im Stadion / Berater-Legende Mino Raiola erklärt sein Imperium. © 11 Freunde

Roy Makaay, Ihr ehemaliger Mitspieler und niederländischer Landsmann Ruud van Nistelrooy hat mal sein Lieblingsgeräusch beschrieben. Es sei der Sound, wenn der Ball mit voller Wucht im Tornetz lande: Zwosch! Was hören Sie am liebsten?

Was Ruud da sagt, klingt schon ziemlich gut. Leider scheinen nicht alle Platzwarte ein Herz für Torjäger zu haben: Bei den Bayern waren die Netze beispielsweise immer so hart gespannt, dass der Ball direkt wieder aus dem Tor flog. Das war eher ein „Zwuff“ als ein „Zwosch“.

Welches Geräusch haben die Tore gemacht, als Sie ein kleiner Junge waren?

Häufig so eine Art „Peng“, wenn der Ball auf das Blech eines parkenden Autos prallte. Der Parkplatz gleich neben unserem Haus war als Bolzplatz ideal, schließlich waren die meisten Autos unterwegs, unsere Väter waren damit zur Arbeit gefahren. Es gab auch einen richtigen Platz, aber der war meist voller Hundescheiße. Hat uns damals aber auch nicht wirklich gestört. Das Spiel war ohnehin erst zu Ende, wenn die Mütter zum Abendessen ins Haus riefen.

Sie sind heute Trainer in der Jugendakademie von Feyenoord Rotterdam, die in den vergangenen vier Jahren zur besten des Landes gewählt wurde – hatten Sie eine ähnlich gute Ausbildung?

Die Möglichkeiten von heute hatten wir nicht. Ich war schon 15, als ich zu einem Profiklub wechselte. Zuvor hatte mich Venlo angefragt, aber die täglich anderthalb Stunden Hin- und Rückfahrt von meinem Wohnort Nijmegen waren mir zu heftig. Ich absolvierte zwei Trainingseinheiten bei NEC Nijmegen, aber die Verantwortlichen schickten mir nur einen Brief mit der Kernaussage: Du bist nicht gut genug. Glücklicherweise war ein Trainer aus meinem Amateurverein gleichzeitig Scout für Vitesse Arnheim. Er empfahl mich, und nach einem Übungsspiel kam der Cheftrainer auf mich zu und sagte: „Du bleibst hier.“

Was haben Sie in Nijmegen falsch gemacht?

Gar nichts. Auch Trainer und Scouts können mal Fehler machen.

Sprechen Sie da aus Erfahrung?

Natürlich. Niemand ist davor gefeit, das Talent oder Potenzial eines jungen Spielers zu übersehen oder falsch einzuschätzen. Ich bin jetzt seit vier Jahren bei Feyenoord und habe bestimmt schon einen angehenden Profifußballer verabschiedet, der woanders geblieben wäre.

Fließen schon mal Tränen, wenn Sie einem Talent sagen: Sorry, das war’s?

Nicht bei der U 19, aber bei den Jüngeren kommt das vor. Das geht mir nahe, weil ich ja selbst mal auf der anderen Seite des Tisches gesessen habe und nachfühlen kann, was in den Jungs vorgeht. Außerdem: Wer sieht schon gerne kleine Jungs weinen? Aber wenn ich nicht in der Lage wäre, Fußballern mitzuteilen, dass sie nicht gut genug sind, bräuchte ich gar nicht erst Trainer zu werden.

2002/2003 erlebten Sie die vielleicht erfolgreichste Saison Ihrer Karriere: Torschützenkönig in Spanien und Gewinner des „Goldenen Schuhs“ als bester Torjäger Europas. Warum haben Sie Deportivo La Coruna nach dieser Spielzeit verlassen?

Die Vereinsführung hatte mir in den Jahren zuvor immer wieder Zusagen gemacht, die dann nicht eingehalten wurden. Als ich den „Goldenen Schuh“ gewann, wollten sie mir plötzlich einen neuen und besseren Vertrag vorlegen – aber dafür war es dann zu spät. Ich hatte das Hin und Her satt. Valencia, Barcelona und der FC Bayern wollten mich haben. Ich sagte zu meinem Berater: „Ich will wechseln. Wohin, ist mir eigentlich egal.“

Warum dann München?

Die Bayern hatten schon damals den Ruf eines Weltklubs. Außerdem machten Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge auf meinen Berater den besten und seriösesten Eindruck. Okay, dachte ich, dann ab in die Bundesliga.

Wann mussten Sie das erste Mal eine Lederhose anziehen?

Das hat nicht lange gedauert. Ich glaube, es war für ein Fotoshooting mit Ihren Kollegen von der Sport-Bild. Bei meinem ersten Oktoberfest hatte ich also schon Übung.

Wie hat Ihnen das neue Kleidungsstück gefallen?

Als ich mich das erste Mal in so einem Teil im Spiegel sah, dachte ich nur: Wo bist du denn hier gelandet? Aber auf dem Oktoberfest war ich sehr froh über die Tracht. Ich hatte meine Kinder, meine Frau und meine Schwiegereltern dabei. Frau und Kinder schön in Dirndl und Lederhose, die Eltern meiner Gattin in Zivil. Raten Sie mal, wer sich von uns am unwohlsten gefühlt hat!

Welcher Spieler hat Ihnen die Eingewöhnung in München erleichtert?

Mit Bastian Schweinsteiger habe ich mich gleich gut verstanden. Wir sind heute noch befreundet.

Im Sommer 2003 wurde Schweinsteiger mit einer Dame im Whirlpool des Trainingszentrums erwischt. Er behauptete, es sei seine Cousine. Kennen Sie diese Geschichte?

(Lacht.) Ja, von dieser Geschichte erfuhr ich natürlich ziemlich schnell. So eine Story wird in der Kabine selbstverständlich gerne weitererzählt.

Wer waren die prägenden Figuren im Bayern-Kader?

Natürlich Oliver Kahn, dessen spezielle Art man einfach akzeptieren musste. Aber auch Jens Jeremies, dessen Anblick allein den gegnerischen Stürmern schon weh tat. Gut möglich, dass er derjenige war, der mich das erste Mal im Training so richtig weggehauen hat. Was viele nicht wissen: Jens war auch ein guter Entertainer. Nach dem Patzer von Kahn im Champions-League-Achtelfinale 2004 gegen Real Madrid war die Stimmung am nächsten Morgen natürlich katastrophal. Bis Jens Oli einen Ball zuwarf und der ihn fing. Jens kommentierte das trocken: „Na also, er kann es noch.“ Und wir schmissen uns weg.

Welche Rolle spielte Trainer Ottmar Hitzfeld in diesen Jahren?

Ottmar Hitzfeld war der Grund, warum sich das Klischeebild, das meine holländischen Kumpels vom FC Bayern München hatten, nicht bestätigte.

Was meinen Sie?

Nach meinem Wechsel nach München meldeten sich auch schon die ersten Freunde. Tenor: Na dann, viel Spaß beim FC Hollywood! Und tatsächlich läuft ein Verein wie der FC Bayern, bei dem man jedes Spiel gewinnen muss, Gefahr, dass die Dinge schnell aus dem Ruder laufen. Hitzfeld war eine Konstante, eine echte Persönlichkeit. Der hat immer Ruhe ausgestrahlt. Und das ist eigentlich das Wichtigste bei so einem großen Klub.

Wie häufig waren Sie in der Nobeldisco „P1“, dem Treffpunkt der Bayern-Stars?

Dreimal. Jeweils mit der Mannschaft nach errungenen Meisterschaften oder Pokalen.

Wie hat es Ihnen gefallen?

War mir zu voll. Die Musik war okay, aber zum Feierbiest bin ich nicht geboren.

Wer entsprach dieser Rolle damals am ehesten?

Die Südamerikaner können aus jedem Tag eine Party machen. Und wenn Brazzo (Hasan Salihamidzic, d. A.) von der Leine gelassen wurde, blieb auch kein Auge trocken. Ich bin lieber mit meiner Familie in den Zoo gegangen. Da hatte ich meine Ruhe.

Klingt, mit Verlaub, etwas langweilig.

So bin ich nun mal. Ich bin auch seit nunmehr 20 Jahren mit der gleichen Frau verheiratet. Das sagt in diesem Geschäft schon einiges aus. (Lacht.)

Warum haben Sie den FC Bayern 2007 eigentlich verlassen? Mit 16 Treffern landeten Sie immerhin auf Platz zwei der Torschützenliste.

In der Saison 2006/2007 wurden wir nur Vierter und verpassten die Champions League. Danach wusste ich, was jetzt passieren würde: Die Bayern würden sehr viel Geld in die Hand nehmen und neue Spieler kaufen. Als Miroslav Klose aus Bremen verpflichtet wurde, war mir klar, dass ich meinen Stammplatz vermutlich verlieren würde. Als junger Spieler nimmt man die Herausforderung vielleicht an, aber ich wollte spielen. Also schaute ich mich schleunigst nach Alternativen um.

Hat man Ihnen das nahegelegt?

Nein. Aber ich wusste eben: Wenn Klose kommt, spiele ich nicht mehr. Nach zehn Jahren im Ausland wollte ich zurück nach Holland und ging zu Feyenoord.

Stimmt es, dass Sie auch ein Angebot von Werder Bremen vorliegen hatten?

Ja. Klaus Allofs meldete sich bei mir, wollte mich haben. Aber ich sagte ihm ab. Von den Bayern nach Bremen zu gehen, kam für mich nicht infrage. Jahrelang bei einem Klub zu spielen und dann zum großen Rivalen zu wechseln, fand ich nicht richtig.

Das nehme ich Ihnen nicht ab.

Das ist Ihr Problem. Klaus Allofs hat mich damals jedenfalls gleich verstanden. Er hat nicht mehr angerufen.

2010 beendeten Sie Ihre Spielerkarriere in Rotterdam und arbeiten seither als Trainer. Vermissen Sie den Wettkampf?

Fußballspielen ist noch immer das Schönste. Ich brauche das: den Rasen, zwei Tore, einen Ball. Seit einiger Zeit spiele ich mit ein paar Ehemaligen von Feyenoord. Bei meinem ersten Trainingsspiel hätte ich zehn Tore machen können, aber ich wollte nicht unhöflich sein und habe jedes Mal noch quergelegt. Bis mich die Jungs zur Rede gestellt haben: „Wenn du nicht auf der Stelle anfängst, Tore zu schießen, kannst du gleich wieder abhauen!“

Und, haben Sie es noch drauf?

Vor der letzten Saison hatte ich eine Wette mit meinen Mitspielern laufen: Ob ich es schaffen würde, 100 Tore zu schießen.

Wie lief es?

Nach 22 Partien hatte ich 98 Mal getroffen. Doch das letzte Match musste ich absagen – meine U 19 hatte zeitgleich ein Spiel.

Gibt es tatsächlich Dinge beim Fußball, die man nicht lernen kann?

Davon bin ich überzeugt. Ein Beispiel: In unserer D-Jugend spielt ein Junge, der besser ist als alle anderen. Dem beim Kicken zuzusehen, ist eine helle Freude. Manchmal stehen wir Trainer an der Seitenlinie und fragen uns gegenseitig: „Hast du ihm den Trick beigebracht? Hast du ihm gesagt, dass er sich so bewegen soll?“ Und alle schütteln nur mit dem Kopf und staunen. Der Kerl hat das einfach im Blut.

So wie Sie Toreschießen im Blut haben?

Genau. Schauen Sie: Bei den Bayern hatten wir bei Flanken und Standardsituationen feste Zuordnungen. Dann kam der Ball, und meistens stand ich exakt da, wo ich eigentlich nicht hätte stehen sollen. Und ich habe das Tor gemacht. Meine Mitspieler und meine Trainer haben mich dann immer gefragt: „Roy, wie ist das möglich? Warum warst du genau da, wo der Ball hinflog?“ Und ich sagte jedes Mal: „Ich habe absolut keine Ahnung.“

Das Interview führte Alex Raack.

Das Interview ist 11 Freunde, dem Magazin für Fußballkultur, entnommen. ›› Hier geht es zur Website der 11 Freunde