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Mutter-Vater-Kind auf Indisch

Wie leben ausländische Familien in Dresden? Anders als in ihrer Heimat, sagen sie. Vor allem fehlt die Großfamilie.

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© Sven Ellger

Von Nora Domschke

Dresden ist eine Geisterstadt. Es sind so wenige Menschen auf der Straße, alles ist irgendwie leer. Das haben Priyanka und Prayag Murawala empfunden, als sie vor sechs Jahren aus ihrer Heimat Indien nach Deutschland umzogen. Vor allem für Priyanka, die aus der Millionen-Metropole Varanasi stammt, eine Umstellung. Mittlerweile hat sich das Paar an die „Leere“ gewöhnt. Und genießt sie. „Wenn wir jetzt Indien besuchen, fühlt es sich rappelvoll an“, sagt Prayag Murawala. Der 35-Jährige arbeitet als Biologe am Center for Regenerative Therapies der TU Dresden. Seine 37-jährige Frau Priyanka ist Werkstofftechnikerin in einem Unternehmen, das medizinische Produkte herstellt und verkauft. Mit ihrer achtjährigen Tochter Rhythm leben sie in der Johannstadt. Das Mädchen besucht dort die dritte Klasse einer Grundschule. Das Trio fühlt sich wohl in der Elbestadt. Hier leben derzeit etwa 35 000 Ausländer. Davon kommen rund 17 000 aus dem europäischen Ausland, 11 000 aus Asien und je etwa 2 000 aus Afrika und Amerika.

Priyanka und Prayag haben sich 2003 in Indien kennengelernt, später folgte das Ja-Wort. „Es war eine Liebesheirat“, sagten beide. Das ist keine Selbstverständlichkeit in Indien, der Lebensweg für gläubige Hindus wie sie ist oft schon vorgegeben. Auch das sei ein großer Unterschied zur neuen Heimat Deutschland – Toleranz. „In Indien sind kleine Familien kaum akzeptiert“, sagt Priyanka. „Alle Generationen leben unter einem Dach.“ Nur selten gebe es das Modell Mutter-Vater-Kind.

Auch ohne Großfamilie kommen Murawalas in Dresden gut zurecht, in der Johannstadt haben sie alles, was sie brauchen. Nette Nachbarn zum Beispiel, die vor allem Rhythm gegenüber aufgeschlossen sind. Einige sind inzwischen zu Freunden geworden. Vater Prayag ist begeistert von den staatlichen Schulen. „In Indien sind diese Schulen schlecht. Wer etwas erreichen will, schickt seine Kinder auf eine Privatschule.“ Darüber müsse er sich in Dresden nun keine Gedanken machen. Töchterchen Rhythm spricht inzwischen vier Sprachen, neben Deutsch auch Englisch, Hindu und Guajarati, ein Dialekt aus Nord-West-Indien. „Am besten kann sie Deutsch“, sagt die Mutter. Besser als sie und ihr Mann, denn beide sprechen mit ihren Arbeitskollegen hauptsächlich Englisch.

Dass sich vor allem die Kinder schnell in der neuen Heimat einleben, bestätigen auch Melissa und Brendan Cook. Der Kanadier und die Amerikanerin sind seit 15 Jahren ein Paar. Seit zwölf Jahren spielt Brendan professionell Eishockey, acht Jahre davon im Ausland mit Stationen in England, Schottland, Dänemark und Italien. Bevor die Familie nach Dresden kam, war sie drei Jahre in Bremerhaven. Melissa Cooks Fazit: „Dresden ist die kinderfreundlichste Stadt, in der wir gelebt haben.“ Ihr siebenjähriger Sohn Jaxon ist vor allem von den Spielplätzen begeistert. „Es gibt so viele Leitern und Seile“, sagt er. In den USA gehe Sicherheit vor, da gebe es keine Klettergerüste, von denen Kinder herunterfallen und sich dabei womöglich verletzen könnten, erzählt die Mutter. Während sie ihre Familie in der Heimat vermisst, ist für ihre fünfjährige Tochter Aiden Dresden zur Heimat geworden. Im Kindergarten, den sie in Striesen besucht, hat sie viele Freunde gefunden. Und auch Jaxon kommt in der Schule gut zurecht. Beide Kinder sprechen fließend Deutsch, Melissa dagegen nur wenige Worte. Sie ist darauf angewiesen, dass ihr Gegenüber Englisch spricht – vielleicht ist auch das ein Grund, warum die Amerikanerin in Dresden nicht wirklich Fuß fasst. Außerdem findet es Melissa merkwürdig, dass die meisten deutschen Familien kaum Zeit gemeinsam mit den Großeltern, Geschwistern, Tanten und Onkeln verbringen. „Das ist in den USA ganz anders. Wir verbringen die Wochenenden fast immer im Haus meiner Eltern, kochen, gehen zusammen in die Kirche.“

Letztlich ist die Sehnsucht doch zu groß. Die Familie entscheidet für sich, in Brendans Heimat Kanada zurückzukehren. Vor allem den Kindern zuliebe, die nun künftig nicht mehr von einer Stadt zur nächsten, von einem Land in das andere ziehen müssen. Dafür hängt der 34-Jährige nun sogar seine Eishockey-Karriere an den Nagel. Vielleicht wird sein Sohn Jaxon irgendwann Profi-Spieler und kommt zu den Eislöwen nach Dresden. Dass es hier schön ist, weiß er ja.