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Mut zum Abschalten

Zum Auftakt des Festivals La Libertad leben alle einen Tag lang ohne Strom. Das ist anstrengend, bedeutet aber auch mehr Freiheit.

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© Dietmar Thomas

Von Franziska Klemenz

Gersdorf/Roßwein. Der Küchenhexe sei Dank. Ohne sie blieb heute alles roh. Der kleine weiße Ofen braucht zum Kochen länger als ein Elektroherd, dafür aber nur Holz. Genau darum geht es am ersten Festivaltag bei La Libertad: 24 Stunden ohne Strom. „Hier verheizen wir gerade Mama Buche“, sagt Köchin und Organisatorin Anna über die Äste eines alten Baums. Gemeinsam mit elf Erwachsenen und fünf Kindern lebt Anna auch das restliche Jahr in der Kooperative Schloss Gersdorf. Ob zum Kochen, Abwaschen oder Rauchen, alle holen sich ihr Feuer von der gleichen Stelle – einem Lagerfeuer im Zentrum des Geländes. Es brennt seit einer Woche, erlosch selbst durch den Regen nicht. Seitdem bereiten Anna und die anderen das Festival vor, am Montag hat es offiziell begonnen.

Selbstbestimmung statt Stress

„Es wächst auch jetzt noch, viel von unserer Dekoration entsteht gerade“, sagt Dave aus Chemnitz, der als freischaffender Künstler zum zweiten Mal bei La Libertad dabei ist. Der 28-Jährige trägt gerade Farben auf ein großes Stück Stoff auf, es entsteht ein schlafender Baum. Malen kann Dave auch ohne Strom. Schwieriger wird es beim Aufbau der Bühnen. Eigentlich benutzen die Männer dafür Akkuschrauber. „Erst wenn man mal ohne Strom lebt, wird einem bewusst, für wie viele Dinge man ihn verwendet“, sagt Dave. Das Mittagessen entsteht auch ohne. Auf der Küchenhexe köcheln die Kartoffeln, in den Schüsseln häuft sich der Salat. „Auch den Kühlschrank haben wir ausgeschaltet“, sagt Anna. Die Lebensmittel haben sie im Schlosskeller gekühlt. Licht gibt es am stromlosen Tag auch dort nicht. Um ihr Essen zu identifizieren, tasten sie sich durch die Dunkelheit. Einen besonders geübten Tastsinn hat Norbert. Er gehört zu den älteren Festivalteilnehmern, steht in der Freiluft-Küche und schnippelt Brokkoli. Alle Stücke haben die gleiche Größe. Und das, obwohl Norbert blind ist. „Ich bin‘s eben gewohnt“, sagt er und lacht. Vom Haferbrei über die Brotaufstriche bis zum Eintopf sind alle Gerichte vegan. An Nachhaltigkeit liegt dem Kollektiv viel. Es gibt eigenen Ökostrom, auch eine Biogasanlage ist geplant.

„Kaum etwas wird hier nicht recycelt“, sagt André. Der Bildhauer ist zum ersten Mal dabei, und das auch erst seit einem Tag. Gehen will vorerst nicht. „Jeder kommt hier mit seinem eigenen kleinen Träumchen her. Mit seiner eigenen Utopie“, sagt André. Vom Mut zur Utopie ist auch die Rede auf der Website von La Libertad. Selbstbestimmung statt Alltagsstress. Auf dem Gelände des Festivals um das verfallene Schloss herum, einer idyllischen Wiese mit kleinem See, wird Realität aus der Utopie. Hierarchien gibt es ebenso wenig wie Vorbehalte gegenüber Fremden.

„Alle sind hier willkommen“, sagt Bewohnerin Anna. Nicht, weil zu wenige Besucher kämen. Eintritt gibt es ohnehin nicht. Sondern aus Prinzip. Die wenigen Regeln auf dem Gelände sind eher Selbstverständlichkeiten als Vorschriften: Wegräumen, was man schmutzig gemacht hat, mithelfen, wenn etwas ansteht. Nachdem das Festival 2013 ausgeufert ist, wird jetzt nur noch selbst gemachte Musik gespielt. Auf den Bühnen helfen höchstens kleine Verstärker. „Damals kamen 3 000 Gäste, es wurde zur Belastung für die Anwohner“, sagt Dave. „Jetzt gibt es weniger Party und dafür mehr selbst Gemachtes.“ Es wird gemalt und massiert, diskutiert und geschraubt. Alles kann, nichts muss. In den Workshops und Theaterstücken wird es um Veganismus, Tierrechte und Hausprojekte, Flucht, Asyl und Anarchie gehen.

Wer es zwischendurch ruhiger will, geht duschen. „Das nenne ich mal ‘nen Ausblick“, sagt André vergnügt und zeigt auf die Kuhweide direkt vorm Duschplatz. Dass die Welt keine Idylle ist, kann man hier vergessen. Auch Handys sind am ersten Tag verboten. Das mag anstrengend sein. Aber es bedeutet mehr Freiheit. Oder auf Spanisch: mehr Libertad. Ein leeres Versprechen ist der Festivaltitel nicht.