Merken

Musterschüler droht die Abschiebung

Precious Aigbe ist talentiert und hat sich in Rekordzeit im Döbelner Gymnasium eingefügt. Aber das zählt nicht.

Teilen
Folgen
© Jens Hoyer

Von Jens Hoyer

Döbeln. Er gilt als ein Musterbeispiel für Integration. Precious Aigbe, Flüchtling, hatte sich am Lessing-Gymnasium in Döbeln schnell eingelebt. Der Junge aus Nigeria, der vor eineinhalb Jahren über Spanien nach Deutschland kam, lernte in Rekordzeit die deutsche Sprache, besuchte bald die meisten Fächer im normalen Unterricht in der Klasse 9a. „Precious könnte das Abitur schaffen“, sagte Schulleiter Michael Höhme. Aber diese Pläne sind erst einmal in die Ferne gerückt. Der Asylantrag des Nigerianers wurde abgelehnt. Damit kann er abgeschoben werden.

Die Rechtslage ist klar: Precious sieht zwar viel jünger aus, aber er ist 18 Jahre alt. Er hat einen nigerianischen Pass, ausgestellt von der Botschaft in Spanien. Und Nigeria gilt als sicheres Herkunftsland. „Es gilt als friedliches Land. Da fährt ja keiner hin und schaut sich die Lebensumstände an“, sagte Utz Brandner, der Precious als Sozialpädagoge in einer Wohngruppe in Großweitzschen betreut.

Dem jungen Nigerianer fällt es nicht leicht, über sein früheres Leben zu sprechen. Nigeria und besonders der christliche Süden, aus dem er stammt, ist von Aberglaube geprägt. Seine Familie – Eltern und vier Geschwister – war vor einigen Jahren in Verbindung mit Zauberei gebracht und an den Rand der Gesellschaft in dem kleinen Ort gedrängt worden. Das macht es ihr sehr schwer, den Lebensunterhalt zu verdienen. Precious musste die Schule verlassen. Auch der Versuch, mit seinem größeren Bruder in der Stadt Geld für die Familie zu verdienen, war fehlgeschlagen, erzählt er.

Mit einem Freund und ein paar Dollar in der Tasche hatte er sich per Laster und Sammeltaxi und zu Fuß bis nach Marokko durchgeschlagen, war per Boot nach Spanien gelangt. Er lebte dort bei Onkel und Tante. Wegen Spannungen innerhalb der Familie konnte er nicht bleiben. „Mein Onkel hat mich mit dem Auto nach Deutschland gebracht“, erzählt er. Precious Aigbe landete in München und wurde von dort erst nach Freiberg und dann nach Döbeln geschickt.

Precious Aigbe spricht Englisch, Spanisch und Deutsch. Seine Lieblingsfächer sind Mathe und Physik. Er würde gern studieren. Sein Traum: Ingenieur werden. Die Mitschüler sind entsetzt über die drohende Abschiebung und haben Unterschriften gesammelt, damit er bleiben kann. Einige Hundert sind zusammengekommen. „Wir haben die Listen im Lehrerzimmer ausgehängt und sind in andere Klassen gegangen“, erzählt Pia Wittrin aus der 9a. „Der Precious ist zu 100 Prozent integriert, spricht gut Deutsch, ist sehr intelligent und versteht sich total gut mit der Klasse. Er ist ein Sonnenschein, hat immer gute Laune. Auch die Lehrer mögen ihn.“ Der junge Nigerianer ist einer, wie ihn Lehrer gern als Schüler haben. „Es saugt das Wissen auf wie ein Schwamm“, meint Klassenleiterin Petra Rentsch.

Der junge Nigerianer hat gegen die Ablehnung seines Asylantrags geklagt. Den Rechtsanwalt muss er aus eigener Tasche zahlen. Er stottert den Betrag ab – die Hälfte seines Taschengeldes geht dafür drauf. Auch für die Kosten des Verfahrens, fast 1 000 Euro, muss er selbst aufkommen. Die Aussichten, zu gewinnen, sind nicht besonders gut. Aber die Klage bringen erst einmal einen Aufschub. Bis zu einem Urteil kann es drei Monate, vielleicht auch zwei Jahre dauern.

Precious hat Aussichten auf einen Ausbildungsplatz als Verfahrensmechaniker im Stahlwerk von Feralpi in Riesa. Eine Lehrerin hatte ihre Beziehungen ins Spiel gebracht. In dieser Woche ist der 18-Jährige zum Probearbeiten im Werk. Neben der Ausbildung müsste er einen Hauptschulabschluss nachholen. Später vielleicht auch noch das Abitur auf dem zweiten Bildungsweg.

Wenn er die Lehrstelle antritt, hat er Chancen auf eine sogenannte Ausbildungsduldung für die Dauer der Lehre. Das ist allerdings eine Einzelentscheidung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, sagte Betreuer Utz Brandner. Und dabei könnte der gute Eindruck helfen, den der junge Flüchtling hinterlassen hat. Der Schulleiter des Lessing-Gymnasiums und sein Lehrer der sogenannten DAZ-Klasse haben Referenzschreiben für Precious Aigbe geschrieben. Auch Rolf Wittrin, Pastor bei der Landeskirchlichen Gemeinschaft in Döbeln. „Precious war von Anfang an bei uns. Er kommt regelmäßig und setzt sich auch für andere ein“, sagte Wittrin. „Ich finde es doppelt und dreifach schade, dass Precious abgeschoben werden soll. Es gibt genügend andere, die sich nicht integrieren wollen.“