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Musiker ohne Noten

Seit 52 Jahren leitet Gerhard Hentschel den Spielmannszug. Nun wird ein Nachfolger gesucht – sonst droht das Aus.

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© Norbert Millauer

Von Peggy Zill

Weinböhla. Stevie Wonder, Eric Clapton, Paul McCartney und Elvis Presley haben eines gemeinsam: Sie konnten keine Noten lesen oder wiedergeben. Großartige Musiker waren sie dennoch. Auch im Weinböhlaer Spielmannszug spielen Noten keine Rolle. Den Takt gibt Gerhard Hentschel an. Wenn die Spielleute auf ihn schauen, wissen sie, was zu tun ist. „Kinder und Jugendliche müssen gleich lernen, das Instrument zu spielen, nicht erst mit Notenlehre aufgehalten werden. Das kommt später“, erklärt Hentschel.

Der Spielmannszug sucht eine neue Leitung – sonst droht das Aus.
Der Spielmannszug sucht eine neue Leitung – sonst droht das Aus. © privat

Gitarre, Akkordeon, Klavier, Flöte oder Trommel: Es gibt fast kein Instrument, das der 82-Jährige nicht spielen und unterrichten kann. Regelmäßig kommen junge Musikschüler in sein Arbeitszimmer und erhalten Musikunterricht – ohne Noten. Dabei schauen sie Hentschel auf die Finger und machen ihm einfach alles nach. So kann jeder schnell das erste Lied spielen. „Normalerweise üben Spielleute zwei Jahre, bis sie ohne Noten spielen können.“

In der sogenannten Hühnerbude neben dem Wohnhaus beziehungsweise im Winter in der Feuerwehr trifft sich Hentschel einmal im Monat mit den älteren Musikern. Dann probt der gesamte Weinböhlaer Spielmannszug. Hentschel kennt die meisten Mitglieder von klein auf. 42 Jahre lang war er Lehrer für Mathematik, Astronomie und Geografie in Weinböhla. Musik war aber schon immer sein Hobby. Vor 52 Jahren gründete er die Gruppe. Er wollte die Musik an der Schule fördern und für mehr Kultur im Ort sorgen.

Anfangs liefen nur Schüler hinter ihm her. „Wir waren über 100 Leute“, erzählt Hentschel. Zu seinen Schülern habe er schon immer einen guten Draht gehabt. Klassenfeten wurden auf seinem Grundstück gefeiert und auch nach Unterrichtschluss durften sich die Kinder mit ihren Sorgen an ihn wenden. Damals gab es auch in der Turnhalle noch eine Bühne. Die musste irgendwann weichen, damit mehr Platz für die Sportler ist und kam nie wieder. Auch der Spielmannszug ist geschrumpft. Unterdessen sind es noch 35 Aktive jeden Alters. „Nach der Wende wurden es weniger, aber die Gruppe ist nie zusammengebrochen“, so der Weinböhlaer. Die Kinder von damals bringen heute ihren Nachwuchs mit zu den Proben. „Wir sind ein Familienspielmannszug geworden.“ Drei große Auftritte im Jahr gibt es in Weinböhla, weitere in den Nachbargemeinden.

Für die Gemeinde ist der Verein eine feste Größe. Alle Höhepunkte des Ortes hat der Spielmannszug mit gestaltet und angeführt. Deshalb sei es laut Verwaltung traurig, wenn die Arbeit vieler Jahre umsonst gewesen wäre und die Spielleute in ihren weißen Uniformen die Weinböhlaer nicht mehr mit ihren Auftritten erfreuen würden. Der Kontakt zur Gemeinde sei gut, sagt Gerhard Hentschel. Gelegentlich gibt es auch finanzielle Unterstützung für neue Instrumente.

Damit beim Maibaumstellen und Lampionumzug auch in Zukunft Marschmusik erklingt, sucht Hentschel dringend einen Nachfolger. Der 82-Jährige fühlt sich zwar noch fit und will auch erst aufhören, wenn es körperlich nicht mehr geht, aber der nächste musikalische Leiter muss schließlich erst angelernt werden. Nachfolger kann nur ein Lehrer sein, jemand mit pädagogischem Feeling, meint Hentschel. „Und er muss ein Gefühl für die Spielleute haben.“ Denn Nachwuchs zu gewinnen und zu halten, ist nicht ganz einfach. „Die Freizeitangebote sind heute vielseitig“, weiß Hentschel. Die Spielleute würden sich aber freuen, wenn sich neue Musiker melden. „Das Musizieren macht nur in der Gruppe Spaß.“ Das könnten auch Erwachsene, die noch kein Instrument spielen, lernen. Der Musikunterricht bei Gerhard Hentschel ist kostenlos.