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Musik als Medizin

Thabet Azzawi lebt seit neun Monaten in Dresden. Jetzt hat der Rockmusiker Sting den syrischen Oud-Spieler entdeckt.

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© Robert Michael

Von Anna Hoben

Sein Baby war tot, doch jetzt lebt es wieder. Als Thabet Azzawi den Entschluss fasst, nach Deutschland zu gehen, verpackt er sein Instrument sorgfältig, klebt einen Haufen „Vorsicht, zerbrechlich!“-Aufkleber darauf und gibt das Paket mit der Post auf. Er lebt damals im Jemen. Ende 2012 war er aus Syrien geflüchtet, nun herrscht auch im Jemen Bürgerkrieg. Ein Bruder von ihm ist seit einiger Zeit in Dresden, und so entscheidet sich Thabet ebenfalls für die Stadt. Als er Wochen später die Wohnung des Bruders betritt, macht er als Erstes das Paket auf. Die Oud ist zerbrochen.

. Dabei entstand ein Erinnerungsfoto.
. Dabei entstand ein Erinnerungsfoto. © privat

Mit neun Jahren fing Thabet an, Oud zu spielen, eine arabische Kurzhalslaute. Das Exemplar, das er heute sein „Baby“ nennt, bekam er im Jahr 2003. Sein Bruder, ein Arzt, rettete damals einem kleinen Mädchen das Leben. Der Großvater des Mädchens war zufällig der beste Oudmacher in Syrien. Zum Dank baute der Mann, schon weit über 80, seine letzte Oud. Eine besonders schöne mit sieben Saiten, normal sind nur vier. „Mit ihr habe ich einen großen technischen Sprung gemacht.“

Ein Musikerkollege aus der Dresdner Banda Internationale machte den 25-Jährigen mit einem Gitarrenbauer in der Neustadt bekannt. Der reparierte die Oud. Mit Geld konnte Thabet nicht bezahlen, also bedankte er sich mit zwei Konzerten. „Er hat mein Baby zurück ins Leben gebracht.“ Zweimal hat er einst selber sein Leben für das Instrument riskiert. Einmal, als er zurückging in seine syrische Heimatstadt Deir ez-Zor, um es zu holen, einmal im Jemen, bevor er in die Türkei weiterzog. Die Oud wiederum hält ihn am Leben und bei geistiger Gesundheit. „Ohne Musik“, sagt Thabet, „würde ich verrückt werden.“

Mit Sting im Studio in Berlin

In Syrien und im Jemen hat er Medizin studiert und in Kriegsgebieten Opfer versorgt. Vor allem die Zeit als Helfer im Jemen war hart und verstörend. Er arbeitete 19 Stunden am Tag, rettete etliche Leben. „Nahrung gab es alle 30 Stunden, dazwischen habe ich Zucker gegessen, um Energie zu kriegen.“ Es gab Drohungen, weil er und seine Kollegen jeden behandelten, unabhängig von politischen Ansichten. Irgendwann brach das Dengue-Fieber aus, Menschen starben vor seinen Augen. Die Bilder kommen immer wieder zurück.

Seit neun Monaten ist er nun in Dresden. Die Projekte, in denen er Musik macht, sind so viele, dass er sie gar nicht alle aufzählen kann. Von der Banda Internationale, in der Einheimische und Geflüchtete zusammen musizieren, über verschiedene Formationen mit Profi-Musikern bis zu einem Auftrag als Komponist für die Landesbühnen Sachsen. Von halb neun bis halb zwei geht er täglich zum Deutschunterricht. Auf seinem Smartphone zeigt er ein Muster aus verschiedenfarbigen Quadraten: Sein Kalender ist voll. Vier Stunden schläft er in der Nacht. „Ich brauche Schlaf“, hat er letztens zu seiner Deutschlehrerin gesagt. Die entgegnete trocken: „Schlafen kannst du, wenn du tot bist.“

Manchmal kann Thabet kaum fassen, wie schnell alles geht. „Ich glaube an meine Fähigkeiten“, sagt er, „aber dass es so kommt, hätte ich nicht gedacht“. Was Mitte Mai kommt, ist eine Mail mit einer Anfrage. Da ist dieser Musikerfreund von ihm in Berlin, der kennt einen Percussionisten, der für den britischen Star-Rockmusiker Sting spielt. Und Sting, nun, der sucht gerade einen exzellenten Oudspieler für einen Song mit orientalischer Note.

Vier Tage, nachdem Thabet den Vertrag unterschrieben hat, fährt er Ende Mai nach Berlin. Das Konzert mit seinem Quartett muss an jenem Abend ohne ihn stattfinden. „Sorry Jungs“, sagt er, „ich liebe euch sehr, aber diese Chance ist einmalig“. Ob Sting persönlich da sein wird oder nicht, weiß er da noch gar nicht. Im Studio bekommt er Noten, tauscht sich mit den anderen Musikern aus und beginnt zu improvisieren. „Wir dachten ähnlich, und ich konnte meine eigenen Ideen einbringen.“ Dann kommt Sting. Ein paarmal proben sie den Song zusammen, dann nimmt jeder seinen Part allein auf, dann zweimal die ganze Gruppe. „Es war fantastisch, sehr professionell. Normalerweise macht man mindestens zehn Aufnahmen.“ In der Pause essen und trinken alle zusammen. Sting erzählt von einer Syrien-Reise vor Jahren und fragt Thabet nach seinem Leben. „Er war sehr freundlich. Es heißt, je mehr jemand erreicht hat, desto bescheidener wird er. Sting ist ein gutes Beispiel dafür.“

Bis der Song auf Stings neuem Album zu hören ist, hat Thabet viele Pläne. Demnächst gibt er an der Dresdner Musikhochschule einen Workshop über orientalische Musik. Obwohl er sich selbst mehr als Jazzmusiker sieht. Vor allem aber will er so schnell wie möglich sein Medizinstudium wieder aufnehmen, am liebsten in Dresden, wo er Freunde gefunden hat. Sechs Semester hat er in Syrien studiert, vier im Jemen. Jetzt wartet er darauf, dass ihm die Leistungen anerkannt werden. Bisher sieht es so aus, als könnte er nur zwei Semester anrechnen lassen. Plastischer Chirurg will er werden oder Augenarzt, wie sein Vater und seine Brüder. Die Musik soll ein professionelles Hobby bleiben. Ein Hobby, das ihm immer wieder das Leben rettet, so wie die Medizin Leben retten kann.

Konzert „Arabian Jazz“ mit Thabet Azzawi, Tom Götze und Stephan Bormann am 17. Juni um 20 Uhr in der Kirche Pirna-Liebethal. Mit der Banda Internationale ist Thabet Azzawi bei der Bunten Republik Neustadt zu hören: Sonntag, 19. Juni, 13 Uhr, Sebnitzer Straße 14.