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Morgens Unterhalter, abends Unterhalter

Kleinkinder sind genauso schwer zu bespaßen wie Partygäste, sagt Matthias Nutsch. Kein Mann für Schubladen.

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© Sven Ellger

Von Henry Berndt

Er klingelt mit seinem Glöckchen und die Rasselbande kommt angeflitzt. Jetzt heißt es: „Zehn kleine Zappelmänner, zappeln auf und nieder“. Im Morgenkreis wird gute Laune versprüht. Matthias Nutsch sitzt mit seinen vier Zwergen um einen runden roten Teppich herum. In der Mitte des Kreises brennt eine Kerze. Nach dem Gezappel werden sie besprechen, was sie so vorhaben mit diesem Tag. Vielleicht rausgehen, ganz sicher aber viel spielen. Auf dem Herd in der Küche steht schon Eierragout für das Mittagessen bereit. Selbstgekocht.

Matthias Nutsch ist Tagesvater. Seit vier Jahren hat der 43-Jährige sein Domizil an der Tannenstraße im Hechtviertel. Die Fenster sind bunt beklebt. Vorn an der Tür steht „MonTaNu“. Das steht für Montessori-Tagesgruppe Nutsch. Und es steht für ein weit und breit einmaliges Angebot: Bei ihm können speziell Frühgeborene nach ihren besonderen Ansprüchen betreut und gefördert werden.

Charlotte, eines der Mädchen in seiner Gruppe, ist drei und äußerst zierlich. Bei ihrer Geburt wog sie 430 Gramm. Nach einem häufig schweren Start ins Leben brauchen extreme Frühchen wie sie auch später besondere Aufmerksamkeit, da sie in den ersten Wochen ihres Lebens keine Bindung zu ihren Eltern aufbauen konnten. „Da kann die Eingewöhnung schon mal drei oder vier Monate dauern“, sagt Nutsch.

Ortswechsel. Der Club Ost-Pol in der Neustadt. Es ist Mitte März, zum ersten Mal ist die „Flachwitzzone“ Teil des Humorzonen-Festivals in Dresden. Ab Mitternacht heizt ein reichlich durchgeknallter Vollbartträger die Menge an und führt durch einen Abend voller schlechter Witze. Dem Gewinner wird eine goldene Flachzange überreicht. Dann folgt Trash-Disco bis früh um fünf. „Wir haben es richtig krachen lassen“, sagt JB Nutsch. Nicht etwa Matthias Nutsch. Er achtet sehr genau darauf, dass sich die beiden Rollen, die gerade sein Leben prägen, nicht vermischen. Matthias Nutsch ist der Tagesvater, JB Nutsch der Unterhalter, der seit 20 Jahren die Neustadt zum Feiern bringt. Hier kommt er kaum zehn Meter weiter, ohne dass er angequatscht wird oder jemanden anquatscht. Jeder kennt ihn, spätestens, seitdem er sich 2004 kurzzeitig und inoffiziell den Weltrekord im Dauer-Karaokesingen sicherte. Inzwischen hat er sogar einen echten Walk-of-Fame-Stern in Dresden, auf dem Gehweg direkt vor dem Blue Note. Ein Geschenk zu seinem 40. Geburtstag. Sein Künstlername JB steht wahlweise für James Bond oder auch James Brown. Ob auf Facebook oder Instagram – überall ist nur JB Nutsch zu finden. Der Privatmann und Tagesvater Matthias bleibt höchst freiwillig im digitalen Abseits.

Sein Sohn Charlie ist sechs Jahre alt und kommt nächstes Jahr in die Schule. Man kann sagen, Charlys Geburt hat im Leben von Matthias Nutsch einiges auf den Kopf gestellt. Noch wenige Tage zuvor schien sein weiterer Weg geklärt: Er wollte gemeinsam mit seiner Frau nach Shanghai auswandern. Die Wohnung war schon gekündigt, der Job auch. Sogar die Koffer waren gepackt.

Und dann kam Charly – in der 27. Schwangerschaftswoche. Er wog 780 Gramm. Mit einem Mal war China kein Thema mehr, Matthias Nutsch musste sein Leben neu ordnen. Mit der Hilfe von Freunden und einem Gründerzuschuss entschied er sich für den Schritt in die Selbstständigkeit. Bis dahin hatte der gelernte Erzieher mit Montessori-Diplom zwei Dresdner Kitas geleitet. Jetzt wagte er das Abenteuer als Tagesvater und spezialisierte sich von Beginn an auf die Betreuung von Frühchen. Das Konzept fruchtete. Seine Gruppe ist voll. Ob denn Kleinkinder oder angetrunkene Partygäste leichter zu bespaßen seien? „Beide gleich schwer“, sagt er und lacht. Er frage sich einfach: Worauf haben sie heute Bock? Und das gebe er ihnen.

Gebürtig stammt Nutsch aus dem kleinen Örtchen Brieske in Brandenburg, dessen tätowiertes Stadtwappen er auf seinem Arm trägt. 1993 kam er nach Dresden und seit Mitte der 90er sang er immer in Bands, egal ob Funk, Blues, Rock oder Manfred-Krug-Cover. In den Bars sang er anfangs noch für Getränke. „Ich habe Karaokekassetten selbst bespielt und schlechte deutsche Texte darauf gesungen“, sagt er. Das Sidedoor in der Neustadt sei für ihn damals der Türöffner gewesen. Eine Zeit lang hatte er hier eine eigene Show. Auch im Lebowski und Blue Note ließ er von sich hören. „Die Kneipen gaben mir die Bühne, sonst gäbe es JB Nutsch nicht“, sagt er. Der „billigste Entertainer der Stadt“ wurde mit jeder Mugge bekannter. Inzwischen ist er ein gefragter Showgastgeber. In der Saloppe moderiert Nutsch größere Firmenevents. Auch beim Fete de la Musique ist er der Gastgeber. Zusammen mit Sax-Chef Uwe Stuhrberg lässt er sich außerdem als
DJ-Team buchen. Das nächste Flachwitz-Event hat er für 2019 schon klargemacht.

Und doch hat sich etwas geändert in den vergangenen Jahren. Früher stürzte er auf den Partys noch regelmäßig ab, setzte seine Honorare in Getränke um und machte die Nacht zum Tag.

„Als Vater und mit Mitte 40 hat sich die Lebensqualität verändert“, sagt er. Er geht jetzt nur noch auf die Partys, für die er gebucht wurde. Längst nimmt er nicht mehr jeden Auftrag an, sondern entscheidet selbst, was zu ihm passt. Zwar wohnt er immer noch in einer Neustädter „Einraum-Mugger-Single-Butze“, doch die Prioritäten haben sich verschoben. Das „gute Taschengeld“, das er mit seinen Auftritten verdient, nutzt er heute mit Vorliebe fürs Reisen. Am liebsten ans Meer, aber Hauptsache Ruhe. In China war er nie wieder.