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„Mord verjährt nicht“

Heute vor zehn Jahren starb Vera Marotz in Nünchritz. Es ist der einzige ungeklärte Fall der Mordkommission Dresden.

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© Lutz Weidler

Von Britta Veltzke

Ein steinernes Kreuz erinnert an Vera Marotz, immergrünes Gewächs ziert das Grab der gläubigen Christin auf dem Friedhof von Glaubitz. Pflegeleicht. Schließlich hat die Nünchritzerin keine Verwandten hinterlassen, die sich um die Ruhestätte kümmern. Seit der Obduktion liegt ihr verletzter Körper auf dem Friedhof der Kirchgemeinde – Verletzungen, die der 66-Jährigen vor genau zehn Jahren das Leben gekostet haben.

Vera Marotz kam nach dem Krieg mit ihrer Mutter aus den Ostgebieten nach Nünchritz.
Vera Marotz kam nach dem Krieg mit ihrer Mutter aus den Ostgebieten nach Nünchritz. © Polizei

Der Mord an der alleinstehenden Frau ist noch immer ein Rätsel – und noch immer Stadtgespräch in der Gemeinde, sagt der ehemalige Bürgermeister Udo Schmidt (SPD): „Das Unverständnis über diesen gewalttätigen Mord ist geblieben. Auch dadurch, dass der Fall in Presse, Funk und Fernsehen immer wieder Thema ist.“ Zuletzt berichtete der MDR in der Sendung Kripo Live über den Tod. Auch die polizeilichen Ermittlungen laufen weiter. Noch immer sucht Kriminalhauptkommissar Volker Wichitill von der Polizeidirektion Dresden nach Beweisen. „Mord verjährt nicht“, stellt er noch einmal klar.

Auch, weil die Polizei nicht aufgibt, haben der ehemalige Bürgermeister sowie viele andere Nünchritzer die Hoffnung nicht verloren, dass die Täter eines Tages doch noch gefunden waren. Die Täter? Weil Randalierer in der Mordnacht unterwegs waren, eine Fensterscheibe einschlugen und Autos demolierten, könnte die Gruppe ihre Wut auch an Vera Marotz ausgelassen haben.

Ein Anwohner informierter damals die Polizei, weil ihm jemand einen Zierkürbis gegen die Jalousie geworfen hatte. Auf dem Weg zur Anzeigenaufnahme fanden die Beamten gegen 2.15 Uhr an einem Feldrand der Grödeler Straße die tote Vera Marotz. Neben der Leiche lag ihr umgestürzter Handwagen. Eine Untersuchung zeigte Spuren von Gewalt an Kopf und Rumpf.

Gesichert ist die Theorie, dass es mehrere Täter geben hat, jedoch nicht. Noch immer werden Zeugen gesucht. „Wenn es tatsächlich eine Gruppe war, besteht zumindest die Chance, dass sich irgendwann, irgendjemand von denen verplappert“, sagt Udo Schmidt. „Wenn der Mord aufgeklärt würde, wären hier denke ich alle sehr erleichtert“, ist sich der ehemalige Bürgermeister sicher.

Schmidt erinnert sich noch klar und deutlich an jenen 20. Oktober 2004 – dem Tag nach der Mordnacht. „Ich war entsetzt. Ich bin dann hin. Ich wollte mir den Tatort ansehen.“ Der liegt von Nünchritz aus gesehen vor Grödel, wo die Kommune Vera Marotz eine Scheune zur Verfügung gestellt hatte. „Sie war ein Messie. Sie hat alles mitgenommen, was ihr brauchbar erschien, und gesammelt, selbst bei Parteiveranstaltungen. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie sie an Wahlkampfständen massenweise Kugelschreiber und Informationsbroschüren eingepackt hat.“ Jeder im Ort habe sie gekannt. Mit ihrer Art seien sicher nicht immer alle einverstanden gewesen, aber im Grunde sei sie eine harmlose und einsame Frau gewesen, so Schmidt. Nach dem Tod ihrer Mutter soll Vera Moratz mit niemandem mehr engen Kontakt gehabt haben – ab und zu besuchte sie die Kirchgemeinde, wegen ihres Messie-Daseins hatte sie zwangsweise Kontakt zur Stadtverwaltung. Es gab Beschwerden und irgendwann musste sie ihr baufälliges Haus verlassen und wurde in einer Wohnung an der Glaubitzer Straße einquartiert, wo sie bis zu ihrem Tod lebte. Die einzigen Lebewesen, die sie wirklich geschätzt haben soll, waren Katzen. Über die Jahre hinweg hatte sie mehreren Streunern ein Zuhause geben, was ihr den Spitznamen Katzenjule einbrachte.

In ihrem Leben habe sie es nicht leicht gehabt, berichtet der ehemalige Bürgermeister Udo Schmidt. „Sie kam als Kind mit ihrer Mutter aus den Ostgebieten nach Nünchritz. Sie hatte keine leichte Kindheit. Die Mutter verdiente Geld in der Küche der Schule, wo auch die Tochter mithalf. So weit ich weiß, wollte Vera Marotz bei der Sparkasse arbeiten, aber weil sie stotterte, wollte man sie wohl nicht im Kundenverkehr arbeiten lassen“, erinnert er sich.

Auch ein Jahrestag wie dieser wird den Nünchritzern das unaufgeklärte Verbrechen wieder ins Gedächtnis rufen. Die Ermittlungen der Polizei ergaben, dass Marotz DNA-Spuren einer Frau unter den Fingernägeln hatte. Die ihrer Mörderin? Abgleiche mit hunderten Speichelproben sind bislang ergebnislos geblieben. Doch die Ermittler sind sich sicher, dass diese Spur irgendwann zum Ziel führen wird.

Erst im Mai hatte die Mordkommission in diesem Fall wieder einen Hinweis bekommen, sagt Chefermittler Volker Wichitill. „Wir sind diesem Hinweis nachgegangen, er hat uns leider nicht weitergebracht. Aber das gehört zu unserer Arbeit dazu“, sagt er. „Denn bei uns ist kein ungeklärter Fall vergessen.“ Wer hat Vera Marotz getötet? Diese Frage wird den Ort weiter beschäftigen – bis das Rätsel gelöst ist.

Hinweise zu den Geschehnissen in der Mordnacht könnten unter 0351 4832233 an die Polizeidirektion in Dresden gegeben werden.