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Mord an Wehrlosen

Robert Herzer hat während der Nazizeit als Hilfsarzt gearbeitet. Ohne Zulassung. Und war tief ins Thema Euthanasie verstrickt. Demnächst wird daran erinnert.

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© Bernd Goldammer

Von Bernd Goldammer

Im August 1945 verhaftete der sowjetische Geheimdienst NKWD den Großschweidnitzer Arzt Robert Herzer. Der Tipp kam von einem Oberlehrer, der in Großschweidnitz seine Tochter verloren hatte. Schon nach den ersten Verhören war klar, dass dieser Arzt maßgeblich an der Tötung von weit über 5 600 psychisch Kranken unmittelbar oder durch Mitwirkung beteiligt gewesen sein könnte. Den sowjetischen Geheimdienstlern war ein Massenmörder ins Netz gegangen.

Seine medizinische Laufbahn begann Herzer in Arnsdorf. „Eingeschlichen“ hatte er sich hier durch beste Kontakte zur NSDAP, SA und Waffen-SS. Das reichte offenbar. Eine Approbationsurkunde musste er nicht vorlegen. Aus dem Arnsdorfer Hilfsarzt sollte ein berüchtigter Euthanasie-Arzt werden. Wegen seiner Fähigkeit, über Leichen zu gehen, wurde er nach Großschweidnitz versetzt, wo er das Sterbehaus geleitet haben soll. Tausenden Schwerkranken und Behinderten verordnete er hier die Hungertherapie. Ein Todesurteil! Denn damit war langwieriger qualvoller Nahrungsentzug gemeint. Kurz vor dem Hungertod wurden den geschwächten Patienten Luminal-Tabletten verabreicht. Andere überwies Herzer direkt in die Gaskammer auf dem Pirnaer Sonnenstein.

Großes öffentliches Interesse

1947 begann ein Jahrhundertprozess vor dem Dresdner Landgericht. Hier waren jene sächsischen Euthanasie-Ärzte angeklagt, derer man in den Nachkriegswirren habhaft werden konnte. Die sowjetische Militäradministration verfolgte das Geschehen sehr genau. Das öffentliche Interesse war groß. Die Sächsische Zeitung berichtete täglich über den Prozessverlauf. Als Massenmörder wurde Robert Herzer zu 20 Jahren Zuchthaus verurteilt. Dem Todesurteil entging er, weil er geständig war. Die Richter erkannten auch an, dass er auf Befehl gehandelt hat. Nach seinem ärztlichen Werdegang wurde Herzer nie befragt. Während der Haftzeit im DDR-Gefängnis war der Massenmörder bereits wieder als Arzt tätig.

1957 fiel Herzer unter das Amnestiegesetz des DDR-Ministerrates und kam frei. Er setzte sich unverzüglich nach Mannheim ab. Bald darauf trat er hier einen gut dotierten Job als Arzt an. Diesen Beruf übte er bis zu seinem Tod im Jahre 1969 aus. Seinen Grabstein zierte der Äskulap-Stab, das Wahrzeichen der Heilkunst, und vor dem Namen Robert Herzer war der Titel Medizinalrat in Stein gemeißelt. 36 Jahre später wurde er entfernt.

Zweimal durch Arztprüfung gefallen

Was war geschehen? Die Stern-Journalistin Kerstin Schneider war bei ihren Recherchen zu ihrem Buch „Maries Akte – das Geheimnis einer Familie“ den Spuren ihrer Großtante nachgegangen. Von Arnsdorf aus war sie über Umwege nach Großschweidnitz verlegt worden. Hier war sie 1942 an den Hungertorturen des Stationsarztes Robert Herzer gestorben und in einem Massengrab verscharrt worden. Akribisch durchforstete die Stern-Journalistin das Leipziger Staatsarchiv. Hier fand sie Maries Krankenakte. Die Anordnung des Stationsarztes Robert Herzer waren nicht zu übersehen. Schnell wurde ihr klar, dass an der Vernichtungsaktion psychisch Kranker zahlreiche approbierte Ärzte mitgewirkt hatten. Was waren das für Menschen? Wie war ihr Werdegang? Kerstin Schneider ging in die Archive aller Universitäten, an denen Robert Herzer eingeschrieben war. Das Ergebnis: Der angebliche Arzt war 1932 in Würzburg und Heidelberg zweimal hintereinander durch das medizinische Staatsexamen gefallen. Nach damaligen Regeln war dies das Aus für den Arztberuf. Als Herzer sich um eine Anstellung als Hilfsarzt in Arnsdorf bewarb, behauptete er, sein Staatsexamen habe er danach an der Universität Leipzig abgelegt. Überprüft hat das erst die Journalistin Kerstin Schneider. Im Leipziger Universitätsarchiv hat Herzer nie auf einer Prüfungsliste gestanden. Damit stand fest: Der berüchtigte Euthanasie Arzt Herzer war bereits ein krimineller Hochstapler, als er sich in Arnsdorf bewarb. Den Titel Medizinalrat will er von Hitler verliehen bekommen haben. Auch dafür waren keine Belege zu finden.