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Mittagsschlaf auf dem Dach

Das Haus hat eine lange und wechselvolle Geschichte. Erbaut wurde es im Jahr 1865.

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© Pawel Sosnowski/80studio.net

Von Ingo Kramer

Görlitz. Das wird ein ungewohntes Bild: Pflegebedürftige werden künftig ihren Mittagsschlaf oder Nachmittagsplausch ganz oben abhalten können – auf dem Dach des alten Hauses James-von-Moltke-Straße 52. Gabriele Wünsch kann sich das schon jetzt ganz lebendig vorstellen: „Der Fahrstuhl wird groß genug sein, um sogar im Pflegebett auf die Dachterrasse fahren zu können.“ Oben haben die Bewohner die Wahl, ob sie ihre Zeit unter freiem Himmel oder im Wintergarten verbringen möchten.

Wünsch muss es wissen, denn sie ist die Chefin der gleichnamigen Hauskrankenpflege. Ihr Mann hat das Gebäude schon im Jahr 2007 gekauft. „Jetzt ist die Zeit reif, es zu sanieren“, sagt sie. Unten im Erdgeschoss plant sie eine Kurzzeitpflege mit 15 Plätzen, in der die Bewohner für maximal acht Wochen bleiben können. „Es ist wichtig, pflegende Angehörige zu entlasten“, sagt sie. Allerdings reichen die Kurzzeitpflegen in Görlitz nach ihrer Aussage bisher nicht aus. Im ersten und im zweiten Stock des Gebäudes entsteht Wohnraum für Pflegebedürftige. Auf jeder Etage sollen neun Menschen leben können – jeweils mit eigener Küche und Nasszelle. Alle Wohnungen werden behindertengerecht gebaut. Und im Keller soll es ein Pflegebad sowie einen Fitnessraum geben.

Das Haus hat eine lange und wechselvolle Geschichte. Erbaut wurde es im Jahr 1865 als Wohnhaus mit Vorgarten. Im März 1957 bezog die Hals-Nasen-Ohren-Klinik des Bezirkskrankenhauses das gesamte Gebäude. Zum gleichen Zeitpunkt begann Siegfried Habedank seine Tätigkeit als Chefarzt in der Klinik, die über 56 Betten verfügte. 1979 musste die HNO-Klinik ausziehen, denn das Gebäude sollte umfassend rekonstruiert werden. Das dauerte viele Jahre: Erst im Dezember 1987 konnte die Klinik wiedereröffnet werden. 1989 hatte die HNO-Klinik 47 Betten, aber auch OP-Säle. Nach Aussage von Gabriele Wünsch wurde der hintere Trakt des Gebäudes zu Zeiten der HNO-Klinik angebaut.

Nach der Wende war es für das Klinikum zunehmend unpraktisch, im ganzen Stadtgebiet Standorte zu haben. So wurden die einzelnen Bereiche an der Girbigsdorfer Straße zusammengefasst, erklärt Klinikums-Sprecherin Katja Pietsch: „Die HNO zog im Jahr 2004 in den dortigen Zentralbau.“ Drei Jahre später verkaufte das Klinikum die James-von-Moltke-Straße 52. Für Gabriele Wünsch wiederum ist es eine optimale Lage: Ihre Hauskrankenpflege befindet sich nur zwei Eingänge weiter am Mühlweg 21. Daran soll sich auch künftig nichts ändern, sagt die Chefin. Allerdings wird ihr Aufgabengebiet größer: Der Pflegedienst Wünsch wird auch die James-von-Moltke-Straße 52 betreiben.

Noch aber ist es nicht so weit. Die Bauarbeiten haben zwar schon begonnen, werden aber noch einige Zeit in Anspruch nehmen. „Zusammen mit dem Architekturbüro Kück sanieren wir das Gebäude sehr hochwertig“, sagt die Chefin. Innen wird das Haus völlig entkernt, auch massive Grundrissänderungen sind geplant. Nach Auskunft von Stadtsprecherin Sylvia Otto ist das Gebäude seit Januar kein Denkmal mehr. „Die Bausubstanz ist verändert worden, sodass die Voraussetzungen nicht mehr vorliegen“, sagt sie. Für genauere Erklärungen verweist sie an das Landesamt für Denkmalpflege in Dresden. Das aber hat auf eine entsprechende Anfrage der SZ seit Mittwoch nicht reagiert.

Nach Aussage von Wünsch war das Gebäude in einem guten Zustand, es gab keine Einregenstellen. Jetzt bleibt es in seiner jetzigen Form stehen: Weder werden Gebäudeteile abgerissen noch kommen Anbauten hinzu. Auch die historische Straßenfassade bleibt erhalten. Allerdings wird es innen wie außen grundsaniert, erhält ein neues Dach und neue Fenster. Vor allem innen wird es zahlreiche Veränderungen geben – allein schon, um alle Brandschutzanforderungen zu erfüllen. Historische Details können nicht erhalten werden, denn es sind schlichtweg keine vorhanden – weder Stuck noch alte Öfen oder ein besonders schönes Treppenhaus.

Eine weitere Veränderung ist an den Fassaden geplant, die nicht zur Straßenfront zeigen: Sie erhalten bodentiefe Fenster mit Jalousien, sodass künftig noch mehr Licht nach drinnen kommt und die Bewohner auch vom Rollstuhl aus problemlos nach draußen blicken können. Das ist vielleicht nicht ganz so exquisit wie von der Dachterrasse oder dem Wintergarten aus, aber dafür viel schneller machbar. Wünsch freut sich schon jetzt auf die Fertigstellung: „Wenn es keine Verzögerungen gibt, wird es im April so weit sein.“ Dann plant sie auch einen Tag der offenen Tür für alle Interessierten. Voraussichtlich im Juni soll das Haus in Betrieb gehen.