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Miteinander gewachsen

Kristina Schormann aus Doberschau wurde durch ihren Sohn Tobias vor eine besondere Herausforderung gestellt – und hilft nun anderen.

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© Uwe Soeder

Von Madeleine Siegl-Mickisch

Doberschau. Was für ein Jahr! Wie froh war Kristina Schormann Ende 2016, nachdem ihr Tobias den Schulstart gut gemeistert hatte. Die erste Zeit, die ihr Kind in die Schule geht, ist wohl für alle Eltern ein wenig aufregend. Aber für die Eltern von Tobias waren schon viele Monate zuvor nervenaufreibend. Denn Tobias kam vor acht Jahren mit dem Down-Syndrom zur Welt. Dennoch wollten seine Eltern, dass er in eine ganz normale Grundschule und nicht in eine Förderschule eingeschult wird.

„Dass Behinderte so separiert werden, kam mir schon immer befremdlich vor“, sagt Kristina Schormann. Sie wollte, dass Tobias in seinem normalen Umfeld aufwächst und sich auch an nichtbehinderten Kindern orientieren kann. Im Kindergarten in Doberschau, wo die Familie wohnt, hatten sie gute Erfahrungen gemacht. Doch eine Grundschule zu finden, die Tobias aufnimmt, sei sehr schwer gewesen. Von Inklusion ist zwar viel die Rede, aber in der Realität sieht es oft anders aus, ist Kristina Schormanns Erfahrung.

Wie froh war sie, als schließlich die Grundschule im Evangelischen Schulzentrum Gaußig zusagte. Doch dann hieß es wieder bangen, ob es trotz Schulbegleitung gut gehen und der zunächst befristete Schulvertrag verlängert werden würde. „Es läuft noch immer gut“, sagt sie heute erleichtert. Mittlerweile ist Tobias in der zweiten Klasse, lernt lesen, schreiben und rechnen. Natürlich könne sie seine

Leistungen nicht mit denen anderer Kinder vergleichen, weiß die Mutter, aber sie freue sich über jeden Fortschritt.

Schritt in die Selbstständigkeit

Einen großen Schritt hat die 49-Jährige nun auch selbst getan – den in die Selbstständigkeit. Durch Tobias hat sich die gelernte Bankkauffrau mit vielen Dingen beschäftigt, mit denen sie sonst wahrscheinlich nie in Berührung gekommen wäre. Als er zwei war, suchte sie, weil sie im Umgang mit ihm an ihre Grenzen stieß, Rat bei einer Therapeutin, die ein spezielles Konzept für „lösungsorientiertes Verhaltenstraining“ entwickelt hat. Nach und nach wurde Kristina Schormann klar, was nottat: Bindungsarbeit.

Heute weiß sie, dass schon die ersten Augenblicke nach der Geburt so entscheidend für die Bindung zwischen Mutter und Kind sind – und dass da viel schief gehen kann. Sie wurde zwei Mal – Tobias hat noch einen zwei Jahre älteren Bruder – per Kaiserschnitt entbunden. „Ich hab’ mich irgendwie um mein Geburtserlebnis betrogen gefühlt“, sagt sie. Aber reden habe sie darüber mit niemandem können. „Meist heißt es doch nur: Hauptsache, es ist alles gut gegangen.“

Mittlerweile wisse sie, dass sie viel falsch gemacht hat. Obwohl sie viel Zeit investierte – „ich konnte es mir zum Glück leisten, zu Hause zu bleiben“ –, um Tobias zu fördern, der neben dem Down-Syndrom auch autistische Züge hat. Aber meist habe sie nicht gemerkt, welche Signale sie dabei aussendete. Aber genau darum gehe es, „das Unbewusste, bewusst zu machen“, sagt sie. Heute fällt ihr schnell auf, wenn’s in der Beziehung zwischen Eltern und Kind nicht stimmt – „wenn es zum Beispiel keinen Blickkontakt gibt“.

Fernstudium absolviert

Kristina Schormann hat sich weitergebildet, unter anderem ein Fernstudium zum psychologischen Berater absolviert und vor wenigen Wochen unter dem Titel „Miteinander wachsen“ in Bautzen eine Beratungspraxis eröffnet. Dort arbeitet sie mit Familien, wobei es nicht nur um behinderte Kinder geht.

Im neuen Jahr will sie richtig durchstarten, ihr Angebot auch bei Hebammen, Kinderärzten und in Kitas vorstellen. Aber auch das Thema Inklusion liegt ihr nach wie vor sehr am Herzen. „Ich würde mir mehr wünschen“, sagt sie – nicht nur mit Blick auf Tobias, für den sie sich in nicht allzu ferner Zeit mit der Frage beschäftigen muss, wie es nach der Grundschule weitergeht. Wie die Gesellschaft mit Behinderten umgeht, gehe jeden etwas an. „Jeder kann ganz schnell selbst behindert sein, und dann möchte man doch auch noch dazugehören und nicht abgeschoben werden.“