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Mit Zschäpe unter vier Augen

Nach dem Auffliegen des NSU vertraut sich Zschäpe einem Anwalt an. Vor Gericht soll er sie vom Vorwurf des versuchten Mordes entlasten.

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© dpa

Von Wiebke Ramm, München

Es sind Beate Zschäpes letzte Stunden in Freiheit, als sie am 8. November 2011 gegen Mittag plötzlich in der Kanzlei von Anwalt Gerald Liebtrau steht. Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos sind tot, der „Nationalsozialistische Untergrund“ (NSU) ist aufgeflogen, das letzte Versteck des NSU, die Wohnung in der Zwickauer Frühlingsstraße, liegt in Schutt und Asche. Zschäpe irrte tagelang per Zug durch Nord- und Ostdeutschland. Schließlich kehrt sie in ihre thüringische Heimatstadt Jena zurück, gibt ihre Flucht auf und sucht sich einen Anwalt. Dass Zschäpe die Kanzlei von Liebtrau betritt, ist wohl Zufall. Sie spricht eine Stunde, vielleicht zwei Stunden mit ihm.

Was hat Zschäpe Anwalt Liebtrau in jener Extremsituation anvertraut? Liebtrau muss über alles schweigen, was sie ihm erzählt hat. Das gebietet die anwaltliche Schweigepflicht. Dennoch ist er an diesem 154. Verhandlungstag im NSU-Prozess der einzige Zeuge. Auf Antrag von Zschäpes aktuellen Verteidigern soll Liebtrau zu einem einzigen Punkt aussagen.

Anwalt Liebtrau soll Zschäpe vom Vorwurf des versuchten Mordes an ihrer alten Nachbarin Charlotte E. entlasten. Er tut es. Zuvor verliest Verteidiger Wolfgang Heer eine Erklärung, indem er ihm den Text quasi vorgibt, für den Zschäpes Ex-Anwalt von der Schweigepflicht entbunden wird. Heer trägt vor, dass Zschäpe Liebtrau mitgeteilt habe, dass sie am 4. November 2011 bei Charlotte E. geklingelt habe, um festzustellen, ob die damals 89-Jährige zu Hause ist. Zschäpe habe nicht gewollt, dass jemand verletzt oder getötet wird. Den Brand, der die alte Frau in Lebensgefahr brachte, und – daran besteht kaum noch ein Zweifel – den Zschäpe gelegt hat, erwähnt Heer mit keinem Wort. Liebtrau bestätigt das danach mit eigenen Worten. Der Senat, die Bundesanwaltschaft, die Opferanwälte geben sich nicht damit zufrieden und haken nach. Die Verteidigung will hingegen verhindern, dass Liebtrau zu viel preisgibt. Verteidiger Wolfgang Stahl geht wieder und wieder dazwischen, erinnert an die Schweigepflicht. Die juristischen Scharmützel gehen über Stunden.

Zschäpe schweigt weiter beharrlich. Sagt sie auch nur in einem Punkt aus, darf ihr Schweigen in anderen Punkten negativ ausgelegt werden. Deshalb geht die Verteidigung den Umweg über den Anwalt. Auch Charlotte E. kann keine Auskunft mehr geben. Die nunmehr 92-Jährige ist geistig verwirrt, weiß nicht einmal mehr, dass sie durch ein Feuer ihr Zuhause verloren hat.

Liebtrau gibt an diesem Tag vor Gericht keine Geheimnisse preis. Doch er sagt: „Ein Mandant mit einem solchen Problem kommt nicht oft in meine Kanzlei.“