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Mit Volldampf in die Kinderzimmer

Sind Modellbahnen nur etwas für Erwachsene? Die Hersteller lassen sich etwas einfallen.

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© dpa

Die Diesellok quält sich den schneebedeckten Berg hinauf, auf dem Bahnsteig warten warm eingepackte Menschen mit Skiern. Fahrkartenautomat, Mülleimer, ein Briefkasten vor dem Bahnhof – die Szene auf der Nürnberger Spielwarenmesse ist bis ins Detail ein Nachbild der Realität. Modelleisenbahnen ziehen viele Menschen in ihren Bann. Dennoch ging es in der Branche in der Vergangenheit heiß her: Gleich mehrere Top-Marken wurden zum Sanierungsfall. Jetzt werden die Weichen für die Fahrt in die Zukunft gestellt. Die sächsischen Hersteller Tillig in Sebnitz und Gützold in Zwickau sind dabei.

„Die Modelleisenbahn ist in einer Stabilisierungsphase“, sagt Steffen Kahnt vom Bundesverband des Spielwaren-Einzelhandels. Zwar zeige sich bei den Händlern die Tendenz, die meist teuren Produkte aus dem Sortiment zu nehmen – denn die seien bei Kindern und Jugendlichen nicht so populär. Doch es gibt eine stabile Fangemeinde, die oft in spezialisierten Fachhandelsgeschäften fündig wird: „Die machen ein gutes Geschäft“, betont Verbandsgeschäftsführer Willy Fischel.

Tillig in Sebnitz versorgt Tausende Fans als „Club-Mitglieder“, bis hin nach Australien und Kanada, mit jährlich vier Katalogen und einem Klub-Modell – das sichert Kundentreue. Das Unternehmen mit 130 Mitarbeitern in Sebnitz und gleich vielen im tschechischen Nachbarort Dolni Poustevna ist mit mehreren Neuheiten-Prospekten zur Nürnberger Spielwarenmesse gereist. Die Einkäufer aus der Branche können zum Beispiel einen neuen Containertragwagen und ein Rheingold-Set ansehen, berichtet Kundenbetreuer Uwe Hoffmann.

Mit mehreren Lok-Modellen im Gepäck ist das Zwickauer Unternehmen Gützold zur Messe gereist. Das Unternehmen stand vor anderthalb Jahren fast vor dem Aus, weil der Eigentümer sich zur Ruhe setzen wollte. Doch fünf Gesellschafter aus dem Raum Dresden haben Gützold wiederbelebt, laut Geschäftsführer Stefan Kühn können aus den 18 Mitarbeitern mehr werden.

Die Modellbahnbranche hat voriges Jahr ein kleines Wachstum erlebt, sagt Thomas Kohnen vom Händlerverbund Idee + Spiel. Dem gehören unter anderem rund 200 reine Modellbahnhändler an. Gegen großen Zuwachs sprächen drei Gründe: angestaubtes Image, Überangebot und oft hoher Preis. Kohnen räumt unumwunden ein, dass andere Spielsachen oder Technikprodukte bei Kindern und Jugendlichen besser ankommen. „Wenn ein Kind sich als Modellbahnliebhaber bekennt, kommt das eher einem Outing gleich.“

Außerdem machten sich die Hersteller mit einer Vielzahl von Modellen gegenseitig Konkurrenz. Es gebe „eigentlich viel zu viele Produkte im Markt bei stagnierender, wenn nicht sogar leicht sinkender Abnehmerzahl“, sagt Kohnen. Die Folge: Die meisten Modellbahn-Käufer sind Männer im fortgeschrittenen Alter, die Geld, Zeit und die handwerklichen Fähigkeiten besitzen, für ihre Bahn auch eine ansprechende Umgebung zu bauen.

Eine oft gehörte Forderung der Branche lautet deshalb: „Die Bahn muss zurück in die Kinderzimmer!“ Nur so könne der Sammler-Nachwuchs gesichert werden. Mit großem Interesse wird deshalb verfolgt, dass Platzhirsch Märklin vor drei Jahren ein Produkt für Kindergartenkinder in den Regalen der Spielzeugläden platziert hat. Die Branche nutzt zunehmend moderne Technologien.

Schienenkreis mit Tablet-Anschluss

Märklin-Geschäftsführer Florian Sieber sagt, die Branche müsse sich „von den Produkten her noch weiter an die Tablet-Welt heranschmiegen“. Der 28-Jährige hat mit seinem Vater vor knapp einem Jahr Märklin nach einem Insolvenzverfahren übernommen, was in der Branche für große Erleichterung gesorgt hat.

Auch die Modelleisenbahn Holding, unter deren Dach der österreichische Hersteller Roco und der fränkische Konkurrent Fleischmann nach wirtschaftlichen Schwierigkeiten untergekommen sind, will mit Hightech punkten. „Nur im Kreis zu fahren, ist für Kinder fad“, glaubt Geschäftsführer Leopold Heher.

Das neue Einsteigerset hat deshalb sogenannte Actionpoints: Sobald die Lok diese Punkte überfährt, werden dem Kind auf einem Tablet-PC Geschicklichkeits-, Geschwindigkeits- oder Lernaufgaben gestellt. Ob das die Branche wirklich unter Dampf setzt, wird sich nach der Messe in den Läden zeigen. (dpa/SZ/mz)

Die Spielwarenmesse in Nürnberg ist nur für Facheinkäufer geöffnet. Das Werksmuseum bei Tillig in Sebnitz ist montags bis freitags von 10 bis 17 Uhr geöffnet, sonnabends bis 16 Uhr. Adresse: Lange Straße 58.