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Mit Stolz und Trotz

Romy Stotz aus Moritzburg kämpft sich durch Hawaii. Der legendäre Triathlon soll der Wettkampf ihres Lebens werden, beginnt aber mit Tritten im Wasser – und Panik im Kopf.

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© Robert Michael

Von Tino Meyer

Das Jahr der Deutschen ist auch ihr bestes. Schwimmen, Radfahren und Laufen auf der Langdistanz kann niemand besser als die Triathleten „made in Germany“. Warum das so ist? Weiß auch Romy Stotz, Ironman-Finisherin bei der WM auf Hawaii in diesem Jahr, nicht wirklich zu beantworten. Überhaupt fühlt sich die 42-Jährige aus Moritzburg komplett fehl am Platz, wenn es um Heldengeschichten geht.

Ein Motivationsmoment, wenn auch nur ein kurzer. Romy Stotz sieht ihre Eltern am Streckenrand.
Ein Motivationsmoment, wenn auch nur ein kurzer. Romy Stotz sieht ihre Eltern am Streckenrand. © privat

Kann man so sehen, wenn mit Jan Frodeno, Sebastian Kienle und Patrick Lange gleich drei Deutsche beim wichtigsten und größten Ironman die Plätze eins bis drei belegen, Anja Beranek Vierte wird – und Stotz nach 11:23 Stunden auf Rang 1 289 einkommt. Beinahe peinlich ist ihr deshalb das Interesse an ihrer Geschichte, also der einer Hobby-Triathletin, die in Dresden als Friseurin arbeitet und erst vor sieben Jahren überhaupt mit Sport begonnen hat: beim Jedermann-Triathlon mit Brustschwimmen und Mountainbike vor der Haustür in Moritzburg.

Stotz’ Geschichte ist im Jahr der Deutschen dennoch eine besondere. Sie erzählt wie bei den anderen von täglichem Training, von Verzicht und Qualen, aber eben außerdem von einem Rennen ohne Uhr.

Tatsächlich hat Stotz den Ironman in Hawaii ohne Uhr bestritten. Das mag sich banal anhören, ist aber eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit. Diese modernen Geräte am Handgelenk – oder wahlweise am Radlenker – zeigen ja längst mehr als nur die Zeit an. Alles Mögliche ist auf den Mini-Computern programmiert, da machen Amateure keinen Unterschied zu den Größen der Szene. Nur das Stotz allein für den Trip nach Hawaii rund 3 500 Euro zahlt.

Die Uhr hat zudem 500 Euro gekostet. Der Verlust mitten im wichtigsten Wettkampf ihres Lebens ist für Stotz jedoch so etwas wie ein Bankrott.

Passiert sein muss ist es irgendwann während der 3,8 Kilometer Schwimmen durch den Pazifik. „Das ist so ein Geprügel im Wasser, dass du froh bist, nicht unterzugehen“, erzählt sie und mutmaßt, dass sich bei einem der Tritte der Konkurrentinnen der Schraubverschluss der Uhr gelöst haben muss.

Gemerkt hat sie das jedoch erst in der Wechselzone, was bei ihr eine noch nie dagewesene Panik im Kopf auslöste. „Das hat mich völlig aus der Bahn geworfen. Was ist das jetzt“, hat sie sich gefragt – und sich ihr Trauma drei Tage später via Facebook-Eintrag von der Seele geschrieben. „Ich konnte förmlich spüren, wie sich der Schalter in meinem Kopf umlegte. Mein Wegweiser für die kommenden Stunden... wie soll das funktionieren. Fahren nach Gefühl, gegen diesen Wind, die langen Hügel nach Hawi, die Ernährung, Wattzahlen, Puls beim Laufen, Pace...“

Die Lösung liegt nahe: Entweder Ersatz geben lassen, um wenigstens die Zeit im Blick zu haben – oder aussteigen. Jegliche Hilfe von außen ist jedoch strikt verboten und der zweite Gedanke erst recht keine Alternative. „Aufgeben? Niemals, da müssten sie mich schon von der Straße kehren“, sagt Stotz und meint das vermutlich auch so. Bei ihrem Qualifikationswettkampf für Hawaii, einem Ironman in Wales, hat sie sich beim Schwimmen mehrfach übergeben müssen, um dann im Ziel zusammenzubrechen. Doch solche Grenzerfahrungen gehören nicht nur für sie unbedingt dazu, sie sind Teil dieses Sports, Teil der Heldengeschichten wie der vom Olympia- und Ironman-Sieger Frodeno.

Nachdem der Triumphator seinen Erfolg vom Vorjahr wiederholt hatte, erklärte selbst er mit glücklich-entrücktem Blick, noch nie so gelitten zu haben. Gut neun Stunden sind da vorbei – und Stotz mit den Kräften längst am Ende. Wie sie im Rennen liegt? Keine Ahnung, gänzlich abgeschnitten von Raum und Zeit.

36 km/h sind als durchschnittliche Geschwindigkeit nötig, um die angepeilte Radzeit von 5:15 Stunden für die 180 Kilometer zu erreichen, dazu eine Wattzahl von 190, um mit den Kräften zu haushalten. Erfühlen lässt sich das unterwegs natürlich nicht. Stattdessen registriert Stotz, wie sie bei ihrer Lieblingsdisziplin mehr und mehr überholt wird, wie sie zunehmend die Lust verliert. Eigentlich ist sie diejenige, die vorbeifährt. Und der letzte Funken Motivation schwindet, als sie kurz vor dem Wechsel zum abschließenden Marathon ihren Freund am Straßenrand entdeckt und sich die Uhrzeit zurufen lässt.

14.12 Uhr – das ergibt eine Radzeit von fast sechs Stunden. „Da war alles aus. Am liebsten hätte ich mich sofort in eine Ecke gesetzt. Mit jedem Schritt denkst du darüber nach und schleichst die 42 Kilometer nur noch im Schleppschritt so dahin“, sagt sie.

Mit Stolz und Trotz hat Stotz den Marathon beendet und das in einer Zeit von 4:10 Stunden – und damit auch das Rennen, das sie im Rückblick mit „Erfahrung statt Erfolg“ überschreiben würde. Während Frodeno, Kienle und Lange allerdings als Helden gefeiert werden, fällt Stotz in ein mentales Loch – und wird von ihren Freunden, aber auch wildfremden Menschen wieder rausgeholt. Unzählige Mails und Handy-Nachrichten erreichen sie.

Die Glückwünsche trösten. Abhaken aber kann sie Hawaii trotzdem nicht. „Die Erkenntnis, mich durchgekämpft zu haben, hilft wenig. Der Schmerz wird bleiben, dafür bin ich zu sehr Kopfmensch“, sagt sie und weiß: eine Stunde schneller und sie hätte ihre Altersklasse gewonnen. Ob sie das noch mal schafft, noch einmal so eine Form erreicht, noch einmal fast zwei Jahre lang alles auf den einen Wettkampf ausrichten kann? Auch darauf gibt es keine Antwort.

Aber Lust hätte Stotz schon. Mitte Dezember kauft sie sich eine neue Uhr. Der Entschluss, irgendwann nach Hawaii zurückzukehren, steht inzwischen ebenfalls fest. Ihre Geschichte, findet Stotz, ist noch nicht fertig. 2018 will sie noch einmal dabei sein, dann mit zwei Uhren.