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Mit Pappe zurück zu den Wurzeln

Auf der Nürnberger Spielwarenmesse besinnt sich die Branche auf alte Tugenden. Ein Ideengeber ist Bibabox aus Dresden.

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© Ronald Bonß

Von Michael Rothe

Jule Demel und Birgit Knabe haben sich den Termin im Kalender rot angestrichen: Nürnbergs Spielwarenmesse. Bei der 69. Auflage präsentieren sich bis zum Sonntag gut 2 900 Hersteller aus über 60 Ländern, darunter 42 mit Adressen in Sachsen und besagtes Duo aus Dresden. Was die beiden herstellen, ist von Pappe, unbunt und bei Kindern dennoch ein Renner: im doppelten Wortsinn kinderleichte weiße Steckbausätze mit flächendeckendem Platz für Malerei und Kreativität .

Die Branche lechzt nach Innovationen, schließlich haben Spielsachen laut Ernst Kick, Chef der Spielwarenschau, nur eine mittlere Lebensdauer von anderthalb Jahren. Nach Angaben des Branchenverbands DVSI sind jedes Jahr 60 Prozent Neuentwicklungen auf dem Markt.

Die Messemacher haben drei Trends ausgemacht: Naturverbundenheit, Teamgeist, Spaß. Demnach landen die Grafikdesignerinnen Jule Demel und Birgit Knabe mit ihrem Nebenjob gleich drei Volltreffer. Es gibt tatsächlich eine Welt jenseits von Smartphone, Spielekonsole, Tablet und TV. Bibabox präsentiert in Nürnberg erstmals ein kleines Piratenschiff, Bauernhoftiere und Einhörner, die bei Kindern seit Jahren Kult sind.

Laut Christian Ulrich, Marketingdirektor der Messe, finden sich zunehmend Angebote, um Kinder spielerisch wieder zu den Wurzeln zu bringen. Und deren Entdeckergeist sei leicht zu wecken, sagt er.

Wer die beiden Powerfrauen auf dem alten Firmengelände des Energieversorgers Drewag finden will, braucht auch Entdeckergeist. Im Obergeschoss des „Krokodilhauses“ haben sie sich ein kleines Büro eingerichtet mit Regalen voll Hunderter Pappsets. Treppen und Gänge atmen den Charme der 60er-Jahre. Bekriechbare Großteile wie das meterhohe Papphaus lagern bei einem Möbel- und Klamottenhändler am anderen Ende der Brache.

Ostdeutschland war schon vor über 100 Jahren ein Zentrum der Spielzeugproduktion. Zu DDR-Zeiten haben 500 Hersteller, gruppiert in Kombinate, 30 000 verschiedene Artikel hergestellt – gut die Hälfte davon für den Export. Modelleisenbahnen von Piko, Puppen von Sonni, Baukästen von Vero, Blechspielzeug von MSB und Anker, Modellautos von Plasticart waren begehrt. Doch jene Zentren – Thüringen mit Sonneberg und Waltershausen, das Erzgebirge mit Olbernhau, Grünhainichen, Seiffen sowie Brandenburg – waren mit der Währungsunion praktisch tot. Von 27 000 Beschäftigten blieben weniger als 1 000, schreibt das DDR-Museum in Berlin. Märklin, Selecta und andere Hersteller im Westen, anfangs Profiteure der innerdeutschen Marktbereinigung, wurden später Opfer der Globalisierung und gingen pleite.

Heute kommt Spielzeug fast nur noch aus China, hat sich das Marktvolumen in Deutschland bei 3,1 Milliarden Euro eingependelt. Die Überlebenden und noch weniger Neueinsteiger kommen zum Branchentreff nach Nürnberg. Wie die Macherinnen von Bibabox, so der Name der Firma. Jule Demel (43) und Birgit Knabe (44) gehören zu 49 Spielzeugproduzenten im Freistaat, 324 sind es bundesweit. Mehr als 20 Mal so viele Adressen widmen sich dem Verkauf.

„Sei mutig und mal uns an“, ruft ein kleiner weißer Pappdrache von ihrer Website. Die Farblosigkeit der Produkte – ob Zootiere, Mobilés, Zirkuswagen, Kipper oder meterhoher Burgturm, Piratenschiff und großes Papphaus – hat System und kommt gerade deshalb an.

„So ein Teil beim 80. Geburtstag von Opa und die Party der Erwachsenen kann steigen, weil die Zwerge für Stunden zu tun haben“, sagt Jule alias Julia Demel. Die Pakete mit den mobilen Immobilien gingen von Dresden in die ganze Welt. Neulich hätten sie eins nach Kuwait geschickt. Um die hierzulande höheren Produktionskosten auszugleichen, seien die Teile standardisiert. „So geht unsere Zootierbox für 3,45 Euro als Maxibrief nach Australien“, sagt Jule Demel, eine gebürtige Hamburgerin.

Die kleine Pappwelt wird vom stationären Handel geordert, aber auch von Onlineshops. „Außerdem statten wir Firmenevents und Kinderfeste aus“, sagt Jule Demel. „Unsere Produkte aus recyceltem Material sind nicht nur ökologisch korrekt, sondern auch komplett Made in Sachsen“, wirbt sie. Die Lieferanten der Pappteile säßen in Leißnig und Radebeul.

Ausgerechnet am 1. April 2011 hätten die Studienfreundinnen begonnen, „einfach so aus Quatsch“, sagt die Dresdnerin Birgit Knabe. Der damals vierjährige Sohn der einen hatte beim Sohn der anderen versehentlich eine Verpackungskiste gelyncht, dessen Lieblingsspielzeug. Folge: Tränen. Noch in der Nacht bastelte der Vater des „Täters“ ein Papphaus. Heute sind die Jungs zehn und elf – und womöglich Auslöser einer großen Firmengeschichte.

Den Quatsch von einst nahmen die Gründerinnen doch ernst, stellten einen Businessplan auf und verschickten 20 Vorschläge zur Namensfindung an Freunde und Verwandte. „Eine Portion Blauäugigkeit war aber immer dabei“, räumen beide Mütter ein. „Wir hatten null Ahnung von Handel und Gewinnmargen“, sagt Birgit Knabe. Dennoch hätten sie schon gleich nach der Gründung auf der Nürnberger Messe ausgestellt. Ein sächsischer Gemeinschaftsstand habe es möglich gemacht. Noch immer wird ihr mittlerweile eigener Auftritt in der Holzspielzeughalle von Sachsens Aufbaubank gefördert. „Die Teilnahme dort ist Pflicht“, sagt Knabe. „Die denken doch sonst, uns gäbe es nicht mehr.“ Ein Eckstand müsse es aber sein, „sonst hat man keine Chance“. Allerdings sei die Messevorbereitung sehr aufwendig.

„Wir sind erst reingerutscht und dann reingewachsen, auch dank der Unterstützung durch unsere Männer“, sagt Birgit Knabe. „Das verflixte siebte Jahr ist fast rum, und das Schlimmste wohl überstanden.“ Ein Nebenjob soll es bleiben und vor allem Spaß machen. Mal sehen, was sie am Sonntag von der Messe mitbringen. Jules Mann habe im Vorfeld prophezeit: „Jetzt bis Du gestresst, aber wenn Du zurückkommst, dann leuchten Deine Augen.“