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Mit Hängen und Würgen

Man will nicht hinschauen – und tut es doch. Mario Sempf dokumentiert die gruseligen Seiten der Dresdner Geschichte.

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© Sven Ellger

Von Henry Berndt

Es gibt diese Leute, denen man am liebsten aus dem Weg geht. Weil sie zu viel quatschen, weil sie schlecht riechen oder weil sie regelmäßig Menschen köpfen. So wie der Scharfrichter. Es ist nicht weiter verwunderlich, dass der Henker in vergangenen Jahrhunderten ein nicht unbedingt beliebter Zeitgenosse war. Einen Fan hat er bis heute aber auf jeden Fall. Er heißt Mario Sempf, ist Dresdner Hobbyforscher und schreibt gern Bücher über die gruselige Vergangenheit seiner Heimatstadt.

Wer sich einst nicht freiwillig zur Hexerei bekannte, der wurde nicht selten mit drastischen Mitteln dazu gedrängt, wie eine der Illustrationen von Thomas Zahn zeigt.
Wer sich einst nicht freiwillig zur Hexerei bekannte, der wurde nicht selten mit drastischen Mitteln dazu gedrängt, wie eine der Illustrationen von Thomas Zahn zeigt. © Dresdner Buchverlag
„Vom Hängen und Würgen – Dresdens schaurige Geheimnisse“ von Mario Sempf erscheint im März im Dresdner Buchverlag, 192 Seiten, Hardcover, 14,90 Euro
„Vom Hängen und Würgen – Dresdens schaurige Geheimnisse“ von Mario Sempf erscheint im März im Dresdner Buchverlag, 192 Seiten, Hardcover, 14,90 Euro © Dresdner Buchverlag

Der 47-Jährige bezeichnet sich selbst als Richtstätten-Archäologe. Statt in der Erde, gräbt er lieber in Archiven und Chroniken und bringt alte Geschichten über die einstigen Bestrafungstorturen unserer Vorfahren wieder ans Tageslicht. Auch alte Mauerreste im Stadtbild bleiben nicht vor ihm verborgen. „Ich will Geschichten dokumentieren, die zwar viele Dresdner abschrecken, sie aber gleichzeitig faszinieren“, sagt Sempf. Geschichten von Galgen, Folter und Hexenverbrennungen an jenen Orten, über die wir heute beim Einkaufen oder im Park schlendern.

Seit 2015 brachte Sempf zwei kleine Bücher unter dem Titel „Dresden zum Gruseln“ im Alwis Verlag heraus – ein Kinderbuchverlag. Entsprechend zensiert werden mussten die grauenvollen Geschehnisse vergangener Tage, die, darauf legt der Autor wert, alle historisch belegt seien. „Es geht hier nicht nur um den Hu-Effekt“, betont er. „Alles hat so auch stattgefunden.“

Wer scharf auf die ganze schauerliche Wahrheit ist, der wird ab März die Gelegenheit bekommen, sie zu erfahren. Dann erscheint Sempfs neues Buch „Vom Hängen und Würgen – Dresdens schaurige Geheimnisse“ im Dresdner Buchverlag. Auf 192 Seiten erfährt man, dass ein Scharfrichter weit mehr Aufgaben hatte als nur Hinrichtungen zu vollstrecken. Er musste die Galgen bauen, foltern, gebrochene Finger wieder richten, den Kerker säubern und die Aussätzigen mit dornenbesetzten Ruten aus der Stadt jagen. In Dresden soll der „Angstmann“ zunächst nahe dem „Pirnaischen Tor“ am südlichen Ausgang der Dresdner Altstadt gelebt haben. Genauso wie die Huren, die er nebenberuflich mit beaufsichtigte und aus deren Einnahmen er bezahlt wurde. Später habe seine Wirkungsstätte am „Rabenstein“ am Ausgang der Wilischen Gasse gelegen, der heutigen Wilsdruffer Straße. „Der Mann, der berufsmäßig den Tod brachte, wurde von den Einwohnern der Stadt streng gemieden. Er musste sich stets in auffälligen Kleidungsstücken in der Öffentlichkeit zeigen, und im Wirtshaus hatte er sogar seinen eigenen Schemel“, schreibt Sempf.

Wenn der Scharfrichter dann an sein Werk ging, wurde daraus nicht selten ein öffentliches Schauspiel.

Und wieder lodern die Flammen am Rabenstein unweit des Wilsdruffer Tors. Begleitet wird die Szenerie von markerschütterndem Geschrei. Es stinkt nach verbranntem Holz und verkohltem Fleisch. Wir schreiben das Jahr 1585. Es ist der 20. Tag im Juli, als die aus Glashütte stammende Heidine Wiedemann als „Hexenweib und Zauberin“ – an einem der hölzernen Pfähle festgebunden – dem Feuer übergeben wird. Viele Dresdner Bürger verfolgen das Spektakel begeistert. Und kaum einer zweifelt daran, dass die Hexe ihre gerechte Strafe erhält. T

rotzdem sind Hexenverbrennungen in Dresden eher die Ausnahme – im Gegensatz zu anderen Landesteilen, wo die Balken fast immer rauchen. Während beißender Qualm nach oben steigt, scheint die gefesselte Hexe ein letztes Mal zu lächeln. Dieses Phänomen des „Hexenschlafs“ beobachten die Zuschauer immer wieder bei den im Feuer stehenden Frauen.

Nach dieser gespenstischen Szenerie ist es kurz still. Dann verschlingen die Flammen alles, was sich ihnen an Nahrung bietet. Die Meute grölt begeistert. Schon in einigen Tagen wird es die nächste Hinrichtung geben. Dann soll die Adlige Sophia von Taubenheim auf dem Alten Marktplatz zu Dresden den Kopf verlieren. Sie ist die zweite Verurteilte in einem der aufsehenerregendsten Hexenprozesse, die es je in Kursachsen gegeben hat.

Illustriert werden Anekdoten wie diese mit Skizzen des Künstlers Thomas Zahn, mit dem Mario Sempf übrigens nicht nur das Interesse für historische Richtstätten teilt, sondern auch die Leidenschaft für den historischen Schwertkampf.

Für das Vorwort landeten die beiden einen kleinen Coup und gewannen den weithin bekannten Fernseh-Kriminalbiologen Dr. Mark Benecke. „Lassen Sie sich (...) hinaus zu Köpfungen, Nagelungen und einigen verdammt zähen Hinrichtungen mit dem Schwert führen, bei denen auch schon mal die Ehefrau des Henkers glaubt, einspringen zu müssen“, schreibt dieser über Sempfs Werk.

Als Benecke vergangene Woche mit seinem Buch „Mumien in Palermo“ zu einer Signierstunde in den Bahnhof Neustadt kam, traf er dort zum ersten Mal persönlich auf Mario Sempf. In seinem Rucksack hatte der eine historische Schandgeige und ein Richtschwert dabei. Mitbringsel unter Gruselfreunden eben.