Merken

Mit Händen, Füßen und Bildern

Erst mit 15 Jahren lernt Akif Lesen und Schreiben. Ohne zusätzliches Personal wäre das nicht zu schaffen.

Teilen
Folgen
© André Braun

Von Elke Görlitz

Waldheim. Stolz nennt Akif Buchstabe für Buchstabe des Alphabets. Eigentlich nichts Besonderes für Jugendliche seines Alters. Für den 15-jährigen Mazedonier aber schon. Bis vor drei Wochen hatte der freundliche Junge mit den dunklen Augen noch keine Schule von innen gesehen. Warum das so ist, bleibt vorerst noch sein Geheimnis. „Akif kann kaum Deutsch und ist außerdem Analphabet“, begründet Jürgen Köber, der Rektor der Waldheimer Oberschule. Denkbar schlechte Voraussetzungen, hierzulande zurecht zu kommen. Das soll sich ändern.

Den 15-Jährigen fit fürs gemeinsame Deutschlernen zu machen, sei eine „gigantische Herausforderung“ für die Lehrer. Auch nach mehr als 20-jähriger Erfahrung, in denen in Waldheim Ausländern Deutsch als Zweitsprache in sogenannten DaZ-Klassen gelehrt wird. „Die Schüler kommen meist mit null Deutsch-Kenntnissen aus völlig anderen Kulturen, haben Probleme mit unserer Mentalität und ein sehr unterschiedliches Bildungsniveau. Darauf haben wir uns inzwischen gut eingestellt“, so der Schulleiter. Aber: Einen Analphabeten sofort in eine DaZ-Klasse zu integrieren, sei unmöglich. „Er braucht Einzelunterricht, den wir ohne zusätzliche Hilfe gar nicht leisten könnten“, gibt Jürgen Köber zu.

Diese extra Unterstützung bekommt Akif, der mit seinem Vater in Döbeln lebt, von Sigrid Dietrich. Die gelernte Maschinenbauzeichnerin arbeitet seit Oktober 2010 an der Oberschule. Erst als Ein-Euro-Jobberin, dann ehrenamtlich, inzwischen im Bundesfreiwilligendienst. Und keiner will sie mehr missen, sagt Jürgen Köber. Acht Stunden täglich ist die Schulbibliothek Sigrid Dietrichs Reich, in dem sie längst nicht mehr nur Bücher verwaltet und Kinder in unterrichtsfreier Zeit betreut, sondern inzwischen als Hilfs-Lehrerin für Schüler aus den DaZ-Klassen unabkömmlich ist. Obwohl sie Akif erst seit Kurzem betreut, ist er ihr schon richtig ans Herz gewachsen.

Als freundlich und lernwillig bezeichnet sie den 15-Jährigen. Anfangs klappt die Verständigung nur „mit Händen, Füßen und Bildern“. Mit Akif übt sie wie mit einem Erstklässler: Stift halten, Schwung für Schwung Buchstaben in eine Zeile schreiben und den passenden Artikel zum Wort finden. Dafür nutzt Sigrid Dietrich vor allem Arbeitsblätter. Viele davon hat sie im Laufe der Zeit selbst entwickelt. Damit es Akif und ihren anderen Schützlingen nicht langweilig wird, schneiden sie Wörter aus, um sie später wieder an die richtige Stelle im Satz zu kleben. „Wörter kann Akif freilich noch nicht lesen, aber er merkt sich, wie sie aussehen, und erkennt sie wieder“, erklärt Sigrid Dietrich. Bis er mit den anderen Flüchtlingskindern in einer DaZ-Klasse lernen kann, braucht es noch viel Zeit und Geduld. Erst wenn er Lesen und Schreiben sowie gut genug Deutsch sprechen und verstehen kann, wird Akif wie die anderen Schüler aus den beiden DaZ-Klassen schrittweise in den normalen Unterricht integriert. Erst darf er zum Sport, dann auch am Musik-, Kunst- und Englischunterricht teilnehmen. Es folgen Deutsch und Mathematik, bevor er Physik, Chemie und Biologie lernt.

So wissbegierig wie der junge Mazedonier Akif sind aber längst nicht alle Schüler in den DaZ-Klassen, die von den Lehrerinnen Bärbel Engler, Katrin Sattler und Sylvia Eggert unterrichtet werden. Besonders anstrengend sei es gewesen, als im letzten Jahr die große Flüchtlingswelle die Region erreichte. „Die Jungs aus dem arabischen Raum akzeptieren es nicht, von Frauen angeleitet zu werden“, berichtet Rektor Köber. „Sie bildeten Gruppen, unterhielten sich miteinander, aber nicht mit der Lehrerin. Für uns Selbstverständliches wie das Einhalten von Regeln, Pünktlichkeit und Disziplin mussten sie erst lernen.“ Dafür entwickelte die Waldheimer Oberschule eine bildreiche Hausordnung, in der mit Piktogrammen und in verschiedenen Sprachen unter anderem vermittelt wird, dass Handys ebenso verboten sind wie Alkohol und Zigaretten, und dass es hilfreich für den Unterricht ist, die Arbeitsmittel in die Schule mitzubringen. Meist funktioniere das, sagen Jürgen Köber und Sigrid Dietrich übereinstimmend. Aber es gab da auch die ganz Unbelehrbaren, die nicht nur in der Schule, sondern auch auf dem Weg nach Waldheim im Zug und im Bus auffielen. „Sie haben gepöbelt, verschmutzt, zerstört“, zählt der Schulleiter auf und ist nicht traurig darüber, „dass sie inzwischen in speziellen Einrichtungen untergebracht sind“. Denn seine Hilferufe an Polizei und Bahn hätten kaum Wirkung gezeigt.

Zurzeit lerne „eine bunte Mischung“ von etwa 25 bis 30 Schülern in den beiden Waldheimer DaZ-Klassen. So genau kann Köber es gar nicht sagen, denn es herrsche ein ständiges Kommen und Gehen. Manche der Schüler lassen später noch einmal von sich hören. „So habe ich noch Kontakt zu einem indischen Mädchen, das jetzt in der elften Klasse am Gymnasium lernt“, erzählt Sigrid Dietrich. Ihr den Weg dorthin mit geebnet zu haben, mache sie stolz. Vielleicht berichtet ihr Akif später auch, was aus ihm geworden ist.