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Mit Flugangst auf den Pilotensitz

Als Qimonda 2009 pleiteging, stand Steffen Herberg vor dem Nichts. Inzwischen verdient er mit seinem Hobby Geld und baut Airbus-Simulatoren.

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Von Tobias Wolf

Leise summt das Netzteil eines Lötkolbens in Steffen Herbergs Hightech-Werkstatt vor sich hin. In den penibel aufgeräumten Regalen im Nachbarraum stapeln sich Elektronikbauteile. Herberg schaut versonnen aus dem Fenster. Nur ein paar dünne Schneeflocken tanzen vor den Scheiben. Der 43-Jährige Unternehmenschef wirkt zufrieden. Mit sieben Mitarbeitern baut er in einem Bürogebäude in der Lohrmannstraße Flugsimulatoren für Luftfahrtschulen in aller Welt. Gerade ist er von einer Dienstreise aus Holland zurückgekehrt. Im Dezember hat er einen Simulator nach Äthiopien geliefert. Damit trainieren jetzt Piloten der staatlichen Fluglinie.

Sekt gegen die Panik

Denkt Herberg ein paar Jahre zurück, mag er es selbst manchmal nicht glauben. Zu frisch sind die Erinnerungen an den großen Bruch in seinem Leben. 2008 ging sein Privatleben kaputt, 2009 machte sein Arbeitgeber Qimonda dicht. „Ich war mit einem Schlag ruiniert“, sagt er ernst. „Aber man darf den Kopf nicht in den Sand stecken.“ Herberg hatte Glück. Nicht vielen gelingt es, aus ihrem Hobby einen Beruf zu machen. Dazu ein aus Angst geborenes Hobby: die Angst vor dem Fliegen. „Im Sommer 1992 sollte es nach Mallorca in den Urlaub gehen“, sagt Herberg. „Aber ich wollte nicht fliegen.“ Seine damalige Frau überzeugt ihn. Herberg nimmt allen Mut zusammen und steigt in die Maschine. „Mit viel Sekt konnten mich die Stewardessen ruhigstellen“, sagt er und lacht. „Geschwitzt wie ein Affe hab ich trotzdem.“ Es muss so etwas wie ein Weckruf gewesen sein.

Plötzlich interessiert sich der junge Elektroniker für Flugtechnik, vor allem für das, was die Piloten damit so machen. 1993 schraubt er seinen ersten Simulator zusammen. Als Basis dient ein inzwischen hoffnungslos veralteter Computer mit einem 13-Zoll-Monitor. Das allein ist Herberg zu wenig. „Ich wollte ein bisschen das Gefühl haben, in einem Flugzeug zu sitzen“, sagt der Tüftler. Um den winzigen Bildschirm herum baut er ein Foto eines Boeing-Cockpits. Herberg sitzt immer öfter vor dem PC – und „fliegt“. Aus Interesse wird Passion. Der Familie bleibt die Leidenschaft nicht verborgen. Sie schenkt ihm einen Flug in einem Fullflight-Simulator in Berlin, einer hydraulischen Kabine, die jede Flugbewegung nachahmt. „Das war der Moment, in dem bei mir im Kopf eine Sicherung durchgebrannt ist“, sagt Herberg. „Da wusste ich: Ich muss so etwas haben.“ Nach Verhandlungen mit seiner Frau bekommt er vier Quadratmeter zugesprochen, neben der Treppe. Herberg baut eine Kanzel auf die Minifläche. Weil dort nur ein Pilotensitz hinpasst, nennt er seinen „Flieger“ liebevoll A160, ein halber Airbus A320. Bald reicht ihm die Software nicht mehr. Herberg lernt Programmieren, entwickelt Airbus-Displays für den Bildschirm, die es sonst nicht gäbe. Nebenbei studiert er Elektrotechnik. Auf einer Messe in Amsterdam lernt er einen Kanadier kennen. Dessen Firma baut Anlagen für Flugschulen. „Der hat mich gefragt, warum ich meine tolle Software nicht verkaufe“, sagt Herberg.

Schließlich kommt sein erster Auftrag – von der kanadischen Firma. Herberg soll eine Software für einen neuen Großsimulator schreiben. Als der 2004 in Holland aufgebaut wird, gibt es Probleme. Die Schule wendet sich verzweifelt an Herberg – und der fährt hin. Für ihn immer noch eine „Mission Hobby“. Er nimmt Urlaub, verlegt die Kabel neu und schließlich „fliegt“ das Ding. Die Holländer sind begeistert. Dann kommt das erste gemeinsame Projekt. „Als klar war, dass das mit Qimonda nichts mehr wird, hab ich die Chance genutzt“, sagt Herberg. Er macht sich als Ein-Mann-Firma mit dem Namen „Multi-Pilot-Simulations“ selbstständig, entwickelt eigene Schalterpanele. Flugschulen haben hohe Ansprüche. Alles muss original wirken. „Wenn ich den Schalter für den Feuerlöscher bediene, muss das im virtuellen Cockpit der
Boeing 737 genauso rüberkommen“, sagt Herberg.

Der Schalter ist eines der wenigen Bauteile, die er vom Flugzeughersteller kauft – 27.000 Euro pro Stück. Ein kompletter Simulator liegt bei rund 700.000 Euro – eine halbe Million unter den billigsten der Konkurrenz. Herbergs Rezept: selber bauen. Was er nicht fertigen kann, produzieren regionale Firmen. Ein Jahr lang hat Herberg jeden Tag 15 Stunden gearbeitet, bis der erste Simulator geplant war. Jetzt fertigen seine Angestellten die Anlagen in Serie. 2012 hat er sechs Stück verkauft. 2013 peilt er zehn an und will weitere Mitarbeiter einstellen. Und die Angst vorm Fliegen? „Welche Angst?“