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Mit der Armbrust geschossen

Ein Großenhainer drangsaliert alle Angehörigen auf dem Hof. Nur, er hat dort Wohnrecht.

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© Holm Helis

Von Birgit Ulbricht

Großenhain. Ein Großenhainer (35) schießt mit einer Armbrust auf Mutter und Schwester, die auf dem gemeinsamen Hof gerade Holz für die Feuerung auf eine Karre laden. Ja, das ist abstrus. Nur das eigentliche Drama ist ein anderes. Die Mutter und ihr langjähriger Lebensgefährte, die Tochter mit ihrem Mann und deren Tochter sowie der angeklagte Sohn leben zusammen auf diesem Hof und teilen seit Jahren ein Martyrium.

Ein Leidensweg aus Schlägen, Demütigungen und ständiger Angst vor dem Sohn. Angeklagt sind vor dem Dresdner Amtsgericht am Montag sechs Fälle vorsätzlicher Körperverletzung, räuberischer Erpressung, Bedrohung. Die Sache mit der Armbrust ist nur eine. Der Angeklagte sagt aus, er habe nur zeigen wollen, was er Neues habe und gerufen: „Geht mal rüber!“, bevor er den Pfeil abschoss. Das mit dem Rübergehen bestätigen aber weder die Mutter noch die Tochter. Panisch flüchteten die Frauen. Und sie haben allen Grund dazu.

Der Angeklagte, der jeden Tag über den Hof zur Mutter geht und sich dort „seine“ Zigaretten abholt, drangsaliert seit Jahren alle. Besonders perfide ist die Begebenheit, als er die Mutter zu seiner Wohnung herüberruft, er wolle ihr etwas zeigen. Als die Frau in der Wohnung des Sohnes ist, drückt der sie gegen die Wand, schlägt und bespuckt sie, nennt sie Schlampe. Sie muss unter Gebrüll hinter ihm über den ganzen Hof zu ihrer eigenen Wohnung gehen, um ihm „seine“ Autoschlüssel auszuhändigen und muss sich vor den anderen bei ihrem Sohn entschuldigen.

Auslöser dieses Ausrasters ist, dass „die da drüben ihn wieder mal verarscht hätten und seine Autoschlüssel verstecken“. Nur: Der Audi A4 ist nicht sein Auto, er gehört der Mutter, die ihm das Fahrzeug nach eigenen Worten nicht mehr geben will, weil die ihm doch schon drei Autos gekauft hat, die er schrottete. Alles hat diese Frau für ihn getan, wie die Befragung nach und nach ergibt. Sie hat den jungen Mann, der nur eine Woche in seinem erlernten Beruf als Holzmechaniker gearbeitet hat, bekocht, ihm Geld und auch ihr Auto gegeben

Sie fährt ihn jeden Tag zur Arbeit, als er sich durchringt, noch mal eine richtige Ausbildung zu machen, und die auch abschließt. „Da war ich das einzige Mal stolz und heute stehen wir wieder da, wo wir damals standen“, sagt sie leise. Das Problem: Der Junge nahm damals Drogen und er hat ganz offenbar erneut einen Schub hinter sich. Zwei Entzüge in Wermsdorf hatte er bereits, einen Anti-Aggressionskurs und eine Behandlung, die er aber abbricht. Immer hilft die Familie. Mutter und Schwester bringen zum Beispiel selbstgekochtes Essen nach Wermsdorf, weil er dort nicht essen will.

Von ihren Verletzungen spricht die Mutter inzwischen fast beiläufig. Das ist sogar dem Richter zu viel. Er hält große Farbfotos der gewürgten, verschwollenen Gesichtszüge der Frau hoch, zitiert aus dem Gutachten der Elblandkliniken. „Sie waren aber schon schwer verletzt“, sagt der Richter, als wollte er die Beteiligten daran erinnern, worüber sie hier reden. Auch der Lebensgefährte, ein 66-Jähriger zurückhaltender, auf Korrektheit bedachter Ingenieur, bekommt seinen Teil.

Der Angeklagte holt eines Tages den Zimmermannshammer, als ihm der Lebensgefährte aus Angst nicht öffnen will, weil er alleine ist. Der 35-Jährige, ein durchtrainierter Kick- und Thaiboxer, zerschlägt die Eingangstür. „Die großen leeren Augen werde ich nie vergessen“, sagt der Lebensgefährte vor Gericht – und die hammerschwingende Hand. Der Rentner hat später Prellungen, Hämatome. Ein anderes Mal bekommt er eine volle Kaffeetasse an den Kopf geworfen, seinen Laptop schmeißt der Angeklagte auf den Hof. Wer mutmaßt, der Zorn des Angeklagten richte sich gegen den neuen Lebensgefährten, lässt sich täuschen.

Wie Befragungen ergeben, hat der Angeklagte auch schon vor elf Jahren seinen Vater mit einer Bullenkette geschlagen. Daraufhin macht der Vater die Aufteilung des elterlichen Hofes unter den Geschwistern rückgängig und vermacht schließlich alles der Tochter – allerdings mit lebenslangem Wohnrecht für den Sohn. Just Letzteres wird nun zum eigentlichen Problem für die Familie. Der 35-Jährige hat schon zwei Bewährungsstrafen hinter sich, so dass er diesmal damit rechnen muss, im Knast zu bleiben, wo er bereits seit Dezember sitzt.

Nur, irgendwann kommt er heraus und dann? Es ist die Schwester, die kämpft. Auch sie spricht von ihren Prellungen, Kopfschmerzen, aber vor allem dem psychischen Druck, der Angst, die alle haben. Der Angeklagte nickt nur immer, aber es ist dieses aggressive Angespanntsein, als wollte er die Angehörigen noch von der Anklagebank aus einschüchtern. Auch die Schwester hat ihrem Bruder geholfen. Sie hat Schreiben ausgefüllt, ihm die Steuerberatung vermittelt und bei der Buchführung geholfen, als sich der Bruder selbstständig machen will.

Allerdings habe der „von heute auf morgen keine Lust mehr gehabt“, so die Schwester vor Gericht. Seinen erlernten Beruf übte der Großenhainer nicht mehr aus, weil er von der Leiter gefallen ist und sich den achten Rippenbogen angebrochen habe. Danach habe er sich erst mal zwei, drei Jahre ausgeruht, Reha gemacht – so seine Worte. Nur auch dann wurde aus Arbeiten nichts mehr. Er bekommt jetzt Hartz IV, isst nebenan bei der Mutter, bekommt dort seine Zigaretten und gibt auch nichts zu Heizkosten oder sonst etwas dazu, wie die Mutter berichtet.

Die Schwester bringt es schließlich auf den Punkt, als sie direkt an den Bruder gewandt sagt: „Unsere Mutter hat ein Recht darauf, ihre letzten Jahre in Frieden zu leben und von Dir nicht geschlagen und bespukt zu werden.“

Eigentlich wollte das Gericht gestern ein Urteil sprechen, doch der Verteidiger will noch einen Zeugen persönlich vorladen, obwohl seine Aussage vorliegt. Ein Fleischer, nach dem der Angeklagte eine volle Bierflasche geworfen haben soll. Am 3. April ist der nächste Termin.