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Mit dem Schleicher um die Häuser

Udo Kühn führt durch Königstein und ist der Geschichte verpflichtet. Für die Vogtei hat er besondere Pläne.

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© Kristin Richter

Von Peter Salzmann

Königstein. Mit schrillem Hornsignal kündigt er sich an, wenn er sich der Postsäule nähert. Sein authentisches Outfit kopiert einen mittelalterlichen Nachtwächter, der einst auch tagsüber durch die düsteren Königsteiner Gassen schlich. Ziegenlederhut, zopfgeschmückte Blondperücke, mit Senkel geschnürtes Leinenhemd, dazu eine Kutte, die bis zu den Knöcheln reicht und keine langen Schritte zulässt: Der Stadtschleicher scheint echt. Der derbe Rucksack birgt Tagesutensilien, die Acht-Kilo-Hellebarde, handgeschmiedet, verleiht der historischen Gestalt Wahrhaftigkeit.

Seit wenigen Monaten führt Udo Kühn auf geschichtsträchtigen Wegen durch das Festungsstädtchen. Der 52-jährige Lehrer und Kommunikationsfachwirt ist in Radebeul zu Hause, doch Königstein ist seine Wahlheimat. Er habe vor Jahren zum Weihnachtsmarkt einen Imbissstand betreut und sei seither mit Königstein verknüpft, sagt Udo Kühn. Außerdem betreut er ehrenamtlich das Stadtarchiv.

Bis zu 35 Menschen aller Altersgruppen – aus Erfurt, Zwickau, Chemnitz, Dresden und den alten Bundesländern, auch Einheimische – lauschen seinen Schilderungen, die er mit Geschichte und Geschichten bildhaft illustriert. Ausgangspunkt ist die Distanzsäule, die auf Adam Friedrich Zürner zurückgeht und die sächsische Meile mit 4,5 Wegekilometer vermisst. Der Stadtschleicher erntet oft ungläubiges Kopfschütteln, wenn er vor der früheren Stadtbrauerei an der Pfaffenbergstraße erzählt, dass vom 17. bis ins 19. Jahrhundert 46 Brauereien für den edlen Gerstensaft gesorgt haben. „Wöchentlich“, so erklärt Udo Kühn, „hat das Bierschiff das schäumende Getränk über die Elbe nach Dresden transportiert“, um des Königs Durst zu stillen. Kaum zu glauben: In Königstein gab es damals mehr als 20 Kneipen, darunter das urige ’Schiffchen‘ das an der Bruckmühle stand, die später abgerissen wurde.

Udo Kühn berichtet seinen Gästen auch, dass am Pfaffenbergweg bis zum Zweiten Weltkrieg „Donnerscher Wein“ regen Zuspruch fand. „Dünnschisskneipe“ habe das Volk den Schank genannt, der neben kroatischem Wein auch heimische Obstweine auftischte.

Der ehrenamtliche Stadtarchivar mutiert zunehmend zum historischen Gewissen Königsteins. Mit viel Liebe und Sachkenntnis hat er sich der alten Vogtei angenommen, deren Dasein im 15. Jahrhundert beginnt und zum betagtesten Gemäuer des Elbestädtchens zählt. Mächtige Gewölbe prägen die Vogtei, in der der Stadtschleicher allerlei Daten und Fakten über längst vergangene Zeiten mit Farbe und alter Schrift auf Holz gebracht hat. Auf einer Tafel sind „Die privilegierten Gesellschaften der Stadt“ verewigt, die sich am 18. Mai 1676 zu ihrem „Ersten Convent“ trafen.

Udo Kühn hat Pläne. So soll ein limitiertes Reprint der „Chronik des Städtgens Königstein“ mit 275 Seiten erscheinen, anno 1755 von Pfarrer Johann Gabriel Süssen verfasst. Der Stadtschleicher will auch der Vogtei unter die Arme greifen. So sollen die Toiletten erneuert werden. Denn Veranstaltungen aller Art werden die Kasematten mit Leben erfüllen. Nicht nur mit Musik von den „Königsteiner Krawallos“ und den „Basteifüchsen“ aus Rathen.

Führungen mit dem Stadtschleicher Udo Kühn können vereinbart werden unter Telefon: 03518 362400 oder unter 0172 266974.