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Mit dem Handwagen durch die Nacht

Werner Mische ist der älteste SZ-Zusteller in der Dippser Region. Auch mit 80 will er diese Arbeit nicht aufgeben.

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© Egbert Kamprath

Von Franz Herz

Reichstädt. Ich sage immer: Ich wohne in Bad Reichstädt. So schön ist es hier, sagt Werner Mische. Obwohl er erst vor 13 Jahren zugezogen ist, kennt er den Ort bestens. Jeder Steg, jeder Weg und jeder Briefkasten sind ihm vertraut. Denn der 80-Jährige ist Zusteller der Sächsischen Zeitung, der Älteste in der Region Dipps. Jede Nacht ist er mit dem Ziehwägelchen unterwegs. Damit schließt sich für ihn ein Lebenskreis. Mit einem Handwagen hat er schon als kleiner Junge ein paar Pfennige verdient. Er hat in der Nachkriegszeit in Ludwigshafen Gepäck für Eisenbahnpassagiere gefahren. Dazwischen ist er einen beeindruckenden Berufsweg gegangen, der ihn rund um die Welt geführt und mit bekannten Firmen in Kontakt gebracht hat. Mische hat im Ruhrgebiet Kaufmann gelernt und sich dabei auf den Verkauf von Schmiedeprodukten spezialisiert. Das hat er dann für Saarstahl in Völklingen 30 Jahre lang gemacht. Sein Spezialgebiet waren Wellen für Energiemaschinen, Turbinen, Generatoren. Er zeigt in seinem Wohnzimmer kleine Modelle. In Wirklichkeit ging es um tonnenschwere Metallwellen.

Werner Mische war in der ganzen Welt unterwegs, hat häufig in China, Indien oder den USA verhandelt. Bekannte Konzerne wie Fuji, Toshiba oder Siemens waren seine Partner. Es hat ihm Spaß gemacht, und er war erfolgreich. Das hat sich in der Branche herumgesprochen.

Daher hat er im Alter von 58 Jahren die Anfrage bekommen, ob er nicht als Vertriebsleiter im Stahlwerk Gröditz anfangen wolle. Er ließ sich überzeugen und zog mit seiner Frau aus dem Saarland nach Bad Liebenwerda, um den Geschäftszweig für Energiemaschinen neu mit aufzubauen. Als das Ruhestandsalter nahte, ließ er sich überzeugen, noch einmal zwei Jahre länger zu bleiben. Bis 68 hat er gearbeitet.

In dieser Zeit suchten er und seine Frau ein neues Haus. Denn seine Frau bekam gesundheitliche Probleme. „Wir telefonierten bis Berlin, Dresden und die Lausitz“, erinnert sich Mische. Schließlich wurden sie in Dippoldiswalde fündig, wo die Stadt ein schönes Grundstück in Reichstädt anzubieten hatte. Dort ließen sie einen Bungalow bauen nach ihren Bedürfnissen – ohne Stufen und mit breiten Türen. Die letzten sechs Arbeitsmonate pendelte Mische von Reichstädt nach Gröditz. „Das war anstrengend“, erinnert er sich.

Aber ohne Anstrengung kann er auch nicht leben. Als er Rentner war, suchte er eine neue Aufgabe. Erst führte er für das Tierheim Hunde aus und legte sich schließlich einen eigenen zu, Robbie. Doch das genügte ihm nicht. Er ging zum Medienvertrieb, um Zeitungen auszutragen. Heute ist er der älteste Austräger, und nicht nur das, sondern sehr zuverlässig und immer einsatzbereit, wie Evelin Köhler sagt. Sie leitet die Außenstelle des Medienvertriebs in Dippoldiswalde. Erst hat Werner Mische in Dippoldiswalde Zeitungen ausgetragen, danach einen Bezirk in Unter-Reichstädt übernommen. Wenn aber sein Kollege in Beerwalde einmal nicht kann, springt er auch dort noch mit ein. Nachts um 1.30 Uhr steht er auf, und ab zwei Uhr macht er seine Runde. „Besonders schön ist es in klaren Nächten. In Reichstädt brennen ja keine Straßenlampen. Dann sieht man die Sterne so hell“, erzählt er. „Und nachts begegnen einem Tiere, die man am Tage nie sieht. Da läuft schon mal ein Igel lang.“ Er kommt auf 15 bis 20 Kilometer Gehstrecke am Tag, erst trägt er die Zeitung aus, dann geht er mit dem Hund. Das ist sein Rezept, gesund zu bleiben. „Ich hatte mal eine OP am Auge wegen grauem Star. Und wenn ich sitze, spüre ich meinen Rücken. Wenn ich gehe, ist das weg. Andere Altersbeschwerden kenne ich nicht“, erzählt Werner Mische. Er denkt auch mit 80 nicht daran, diese Arbeit aufzugeben. Er zieht sein Wägelchen heute weniger wegen des Geldes wie einst als Junge, sondern weil es für ihn eine sinnvolle Aufgabe ist.